Alfred Grosser: "Von Auschwitz nach Jerusalem"

Über Deutschland und Israel


Klare Argumente in einer fortwährend aktuellen Diskussion

Das nationalsozialistische Deutschland hat an den Juden den umfangreichsten Völkermord der Geschichte durchgeführt, und es ist nur natürlich, dass sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel nicht einfach gestalten - nachdem es schon erstaunlich schien, dass Adenauer den Kontakt überhaupt zustande brachte.

Alfred Grosser ist einer der bekanntesten französischen Politologen und Publizisten. Als Sohn jüdischstämmiger Eltern wurde er in Frankfurt am Main geboren; mit seiner Familie emigrierte er 1933 nach Frankreich. Schon bald nach dem Krieg setzte er sich für die deutsch-französische Annäherung ein, und auch andere Aspekte der Völkerverständigung waren ihm immer ein Anliegen.

Der mit vielen Preisen ausgezeichnete Autor befasst sich in diesem Buch mit verschiedenen, in der Vergangenheit wie aktuell kontrovers diskutierten Fragestellungen. In der Einleitung erläutert er seine Motivation, und schon in den ersten Kapiteln, in denen es um Identitäten und um die Schuldfrage geht, stellt er seine stets gut begründete Meinung der deutschen politischen Korrektheit gegenüber, wenn er erläutert, warum es nicht "die Deutschen", "den Islam" und "die Juden" gibt und somit im Prinzip auch keine Kollektivschuld. Grosser führt auch andere Beispiele an, auf die bezogen er Pauschalisierungen für falsch hält - ohne je eines der Gräuel kleinzureden. Er erlaubt es sich auch, verschiedene Verbrechen gegen Bevölkerungsgruppen oder ganze Völker zu "vergleichen", wie er es nennt, ohne dabei Leid gegen Leid aufzurechnen: Es geht ihm lediglich darum, neben den besonders großen menschlichen Katastrophen der letzten hundert Jahre die weniger in der internationalen Erinnerung verankerten nicht verblassen zu lassen.

Sehr differenziert betrachtet Grosser den Islam und dessen Beziehung zu den anderen monotheistischen Religionen; und umgekehrt. Ein eigenes Kapitel ist Israel mit seiner wechselhaften Geschichte gewidmet.

Die genannten Kapitel bilden das Fundament für den umfangreichsten Abschnitt mit dem Titel "Deutschland, Israel, Juden und Muslime". Grosser bildet die entsprechenden höchst komplexen Interaktionen ab und zeigt auf, welche Fehlentwicklungen es in der Politik gegeben hat und nach wie vor gibt.
Im abschließenden Ausblick findet der Leser Angaben zu bestehenden erfreulichen Entwicklungen und mögliche Lösungsansätze.

Als Geisteswissenschaftler, der im politischen und kulturellen Leben Frankreichs und Deutschlands seit Jahrzehnten verankert ist, bringt Grosser einen einzigartigen Erfahrungsschatz in sein Buch ein. Und da er Atheist ist, beeinflussen keine religiösen Überzeugungen seine Sicht auf das komplizierte Zusammenwirken von Religion und Politik in Israel, aber durchaus auch in Deutschland und Frankreich.
Grossers Ausführungen sind geprägt von der Suche nach Gerechtigkeit und Objektivität, nach Ausgleich - wenn immer möglich - und Versöhnung. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Autor vage bliebe, um niemandem auf den sprichwörtlichen Schlips zu treten; im Gegenteil: Er findet klare Worte, wenn es darum geht, auf Fehlentwicklungen und -entscheidungen, Lügen, Unmenschlichkeit und ideologische Engstirnigkeit hinzuweisen. Dies geht häufig auch an die Adresse Israels im Zusammenhang mit den Eskalationen des Palästinenser-Konflikts; Tabus akzeptiert Grosser nicht. Mehrfach schildert er seine Auseinandersetzungen mit anders denkenden Größen aus Politik und Kultur bezüglich der im Buch betrachteten Themen. Im Gegenzug lobt er zahlreiche individuelle oder von Institutionen ausgehende Beiträge zur Völkerverständigung.

Grossers in einem angenehmen, unkomplizierten Stil verfasstes Buch vermittelt nicht nur die historisch-politischen Grundlagen, die vor allem jüngere Leser benötigen, um die Ereignisse in Israel und Palästina zu verstehen, sondern auch persönliche, gut begründete Einschätzungen zu vielen Aspekten der jüngeren Geschichte, die nicht zuletzt, wie erwähnt, auf Grossers reicher politischer wie menschlicher Erfahrung basieren - und Lösungsansätze; es besteht nicht aus Kritik allein. Ein interessanter Beitrag zu einer immer wieder aktuellen Diskussion!

(Regina Károlyi; 10/2009)


Alfred Grosser: "Von Auschwitz nach Jerusalem"
Rowohlt, 2009. 203 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Lien: Interview mit Alfred Grosser über "Von Auschwitz nach Jerusalem. Über Deutschland und Israel"