Hazel Rosenstrauch: "Wahlverwandt und ebenbürtig"
Caroline und Wilhelm von Humboldt
In einer Welt im Umbruch: Wilhelm und Caroline von Humboldt
Die Humboldts sind Monumente deutscher aufklärerischer
Gelehrsamkeit. Nach zweihundert Jahren sind sie, jeder auf seine Art,
Teil unserer kollektiven Erinnerung. Es sind in erster Linie
die Brüder Wilhelm und
Alexander,
die die Politik und die Wissenschaften ihrer Zeit formten und sich
damit in unser kulturelles Gedächtnis einprägten. Wilhelm,
der ältere, preußische Politiker, Schulreformer,
Sprachforscher und Philosoph, immer präsent in dem Schlagwort des
Humboldtschen Bildungsideals, und Alexander, der jüngere, gerade
wieder gegenwärtig geworden durch die Wiederveröffentlichung
seines Monumentalwerkes "Kosmos" durch
Hans Magnus Enzensberger und
seine literarische Verewigung durch Daniel
Kehlmann.
Wobei sich uns, die wir mittlerweile gelernt haben, Heldenmythen
genauso wie Geschlechterverhältnisse zu dekonstruieren,
unweigerlich die Frage aufdrängt, welche starken Frauen wohl
dahinterstecken. Nun, Alexander war zeitlebens Junggeselle und
Abenteurer, aber Wilhelm gelang es, gemeinsam mit seiner Frau Caroline,
auch im privaten Bereich neue Blickwinkel zu eröffnen. "Wahlverwandt und ebenbürtig"
nennt die Kulturwissenschaftlerin Hazel Rosenstrauch diese Verbindung.
Es ist zugleich der Titel ihres Buches, das nicht nur das Leben dieses
auch zu seiner Zeit außergewöhnlichen Ehepaares
nachzeichnet, sondern beide Partner als das behandelt, was sie immer
sein wollten: Mann und Frau auf gleicher Augenhöhe.
Das Ehepaar Caroline und Wilhelm von Humboldt hatte ein bewegtes Leben.
Auch für damalige Verhältnisse. Wilhelm von Humboldt
(1767-1835) und Caroline von Humboldt, geborene Dacheröden
(1766-1829) stammten beide aus begüterten Familien, heirateten
jung und führten mit ihren fünf Kindern ein auch nach
heutigen Maßstäben modernes Nomadenleben eines
Privatgelehrten und Diplomaten und einer Kunstmäzenin. Nicht
Wirken sondern Selbstverwirklichung war ihre Devise. Humboldt war nach
seinem juristischen Studium gerade einmal ein Jahr im preußischen
Staatsdienst, als er seinen Abschied nahm und sich mit Hilfe des
Vermögens seiner Frau als Privatgelehrter auf ihre
Familiengüter in Thüringen zurückzog. Seine Tage teilte
er ein in Studium, Korrespondenz, Familie. Als Humboldt nach dem Tod
seiner Mutter durch sein Erbe nun finanziell unabhängig wurde, zog
er mit seiner Familie nach Paris und unternahm Reisen, um seine
Sprachforschungen weiterzutreiben. Mit 35 Jahren schließlich nahm
er den Posten eines preußischen Gesandten am päpstlichen
Stuhl in Rom an, der ihm aber genug Zeit für private Studien
ließ, während Caroline ihre Villa zum Treffpunkt der
Künstler- und Gelehrtenkolonie machte. Nach dem Zusammenbruch
Preußens kehrte er nach Deutschland zurück und übernahm
die Sektion für Kultus und Unterricht im Preußischen
Innenministerium; in dieser Stellung leitete er die grundlegenden
Reformen, durch die ein allgemeines und durchgehendes Erziehungssystem
von der Elementarstufe bis zur Universität errichtet wurde. Die
weiteren Stationen waren Wien, der Wiener Kongress,
Frankfurt, London. 1819 verlor er alle seine Ämter Er war im Kampf
um eine liberale Verfassung für Preußen unterlegen. Soviel
zum bewegten Leben eines Privatgelehrten und Politikers, zu seiner Frau
und seinen Kindern.
Innerhalb dieses äußeren Rahmens gestalteten die Humboldts
ihr Leben. Beide Ehepartner gehörten einer neuen aufgeklärten
Generation an, die sich und ihre Individualität gerade neu erfand.
Bildung, persönliche Entwicklung, Entdeckung der Gefühle, das
waren ihre Parameter. Diese neuen
Möglichkeiten des Denkens und Fühlens wurden in umfangreichen
Korrespondenzen ausgelotet, die durch die häufigen Reisen und
Ortswechsel und damit verbundene Trennungsphasen verursacht waren.
Sieben Bände, rund 3000 Seiten, dieses Briefwechsels sind
erhalten. Mit ihrer Hilfe gelingt es Rosenstrauch ein differenziertes
Bild dieser Beziehung nachzuzeichnen. Ohne zu idealisieren und ohne die
Geschichte in ein Deutungsschema zu pressen. Und sie macht den Lesern
bewusst, dass auch ihr Wissen und Verständnis hauptsächlich
auf diesen Briefen beruht, die, was nicht zu vergessen ist, ja nur in
Zeiten der örtlichen Trennung geschrieben und außerdem von
den Nachkommen bearbeitet wurden. Außerdem weist sie immer wieder
auf die Zeitgebundenheit der Sprache hin, auf die Schwierigkeit, die
Sprache der zeitgenössischen Literatur, die Codes des
"Tugendbundes", dem beide angehörten, und eigenständige
Formulierungen auseinanderzuhalten. Und sie betont, dass die Vermessung
der Innenwelt nicht die Entdeckung natürlicher Gefühle,
sondern die Konstruktion von Natürlichkeit meinte. Die Liebe, so
Rosenstrauch, wurde angelegt wie die englischen Gärten, in denen
mit raffinierter Kunst und Architektur der Anschein von
Natürlichkeit geweckt werden sollte.
Das Bild, das Rosenstrauch von Wilhelm und Caroline von Humboldt
zeichnet, ist nicht mit einem Weichzeichner bearbeitet. Es geht ihr
weder um Heldengeschichten noch um deren Entlarvung, sondern um den
Versuch, aus allen zur Verfügung stehenden Informationen ein Bild
mit vielen Nuancen zu formen. Auch wenn die sich dabei abzeichnenden
Schattenseiten und Ambivalenzen irritierend sind. Da treten dann bei
Wilhelm nicht nur Seitensprünge und Bordellbesuche zutage, sondern
es wird auch ein Frauenbild sichtbar, das nichts gemein hat mit den in
den Briefen an Caroline entworfenen Ideen. Und Caroline ihrerseits, die
so großen Anteil an der Entwicklung liberaler Ideen hatte,
entwickelte sich in späteren Jahren zu einer
engstirnigen, antisemitischen preußischen Patriotin.
"Liebe im Konjunktiv" nennt Hazel Rosenstrauch die Humboldtsche
Beziehung. Der Konjunktiv als Darstellung einer Möglichkeit
bezieht sich auf die Erfindung der Liebe, die Entdeckung und
Beschwörung der Gefühle, wie sie in ihrem Briefwechsel
beschrieben, reflektiert und kommentiert wurden. Sie hatten einander
Freiheit, Respekt und die Wahrung ihrer Individualität versprochen
und daraus einen Lebensentwurf gebastelt, der sich auch als Leben im
Konjunktiv bezeichnen ließe. Wilhelm und Caroline von Humboldt
haben, schreibt Rosenstrauch, jeder für sich und gemeinsam, unter
privilegierten Umständen und auch ausgegrenzt, so aristokratisch
wie bürgerlich, so preußisch-patriotisch wie
europäisch, atheistisch und gläubig,
klassisch und romantisch, gestaltend, scheiternd, in großer
Freiheit eng verbunden, sich den Wirrnissen der neuen Epoche
ausgesetzt.
Eine Beziehung auf gleicher Augenhöhe, wie sie die Humboldts
lebten, war nicht nur in ihrer Epoche ungewöhnlich. Das Bild, das
Hazel Rosenstrauch für uns malt, ist faszinierend und inspirierend
zugleich. Zumal es ihr auch wunderbar gelingt, dieses in ein
größeres Gemälde eines Europa im Umbruch
einzufügen. Zu dem intellektuellen Lesevergnügen gesellt sich
aber noch ein ästhetisches. Die bibliophile Aufmachung des Buches
in der Reihe "Die andere Bibliothek" im Eichborn Verlag ist ein Genuss.
Und macht dem Humboldtschen Weltbild alle Ehre: Man solle das ganze
Leben und jede Regung genießen, sei der Genuss ästhetisch,
sinnlich oder geistig.
(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 06/2009)
Hazel Rosenstrauch: "Wahlverwandt und
ebenbürtig. Caroline und Wilhelm von Humboldt"
Eichborn, Die Andere Bibliothek, 2009. 336 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Buch
bei Libri.de bestellen
Hazel Rosenstrauch, in London als Tochter österreichischer Emigranten geboren, in Wien aufgewachsen, versuchte sie nach USA, Kanada und England auszuwandern und landete in Deutschland. Sie studierte in Berlin und Tübingen, promovierte mit einer kulturgeschichtlichen Arbeit über das Buchwesen im 18. Jahrhundert; sie arbeitet als Wissenschaftlerin, Journalistin und Redakteurin, hat sich mit Preußen schon bei der Ausstellung "Preußen - Versuch einer Bilanz" auseinandergesetzt; sie hat an der Freien und an der Humboldt-Universität Berlin, in Wien und in Tübingen unterrichtet, Essays, Literaturkritiken und Bücher veröffentlicht.