Judith Hermann: "Alice"


Der dritte Band von Erzählungen, den die schon nach ihrem ersten Buch bejubelte Schriftstellerin Judith Hermann innerhalb eines Jahrzehnts veröffentlicht.

Der Leseeindruck war widersprüchlich. Es geht um das Sterben und den Tod, und wenn eine Schriftstellerin dieses verdrängte Thema aufgreift, dann spitzt der Rezensent schon einmal erwartungsvoll die Ohren. Judith Hermanns Protagonistin Alice begegnet in sämtlichen fünf Erzählungen dieses Buches dem Tod. Ihr nahe Männer sterben, und immer ist Alice dabei, hält eine Hand, wacht des Nachts oder steht den Angehörigen bei. Man fragt sich, wieso es eigentlich nur Männer sind, die da sterben? Welches (Lebens)Thema wird da berührt und durch den "literarischen" Tod zu einem vermeintlichen Ende gebracht?

Zunächst ist da Micha, ein Ex-Liebhaber von Alice, die im Übrigen relativ geschlechtslos durch die Geschichten und ihr Leben wandert, der in Zweibrücken (Sinnbild der Provinz) in einer Krebsklinik im Sterben liegt. Alice steht der Frau Michas und deren Kind zur Seite. Dann fährt sie zu einem befreundeten älteren Paar an den Gardasee, wo der Gastgeber nur kurz nach Alices Ankunft plötzlich stirbt. Schon hier drängt sich die Vermutung auf, Alice sei eine Art Todesengel. Als der Mann einer Freundin in Berlin an Krebs stirbt, leistet Alice nach besten Kräften ihren Beistand. Auf ihr eigenes Drängen hin trifft sie sich in der nächsten Geschichte mit einem einstigen Partner ihres schwulen Onkels, der sich mit Schlaftabletten umbrachte, als Alice noch gar nicht auf der Welt war.
Und in der letzten Geschichte stirbt ihr Lebensgefährte, der in einer anderen Geschichte des Buches schon einmal erwähnt wurde. Alice entsorgt seine Kleider und sortiert ihre Erinnerungen.

Sonst wird von dieser schemenhaften Frau nichts deutlich. Dort, wo sie hinkommt, herrscht der Tod, dem sie nicht ausweicht, mit dem sie sich aber auch nie wirklich auseinandersetzt. Da ist keine Trauer spürbar, keine Wut, kein Aufbegehren gegen ein unerbittliches Schicksal. Nein, da wird anekdotenhaft ein Tod an den anderen gereiht, und am Ende fragt man sich, woraus das Leben dieser nun um fünf Männer (die sie aber nicht zu vermissen scheint) ärmeren Frau besteht.

So plätschern die in teilweise sehr knappen Sätzen verfassten Geschichten am Leser vorbei und hinterlassen einen schalen, einsamen, seltsam melancholischen Eindruck, ohne jedoch in der Lage zu sein, auch nur ein einziges echtes Gefühl hervorzurufen.

(Winfried Stanzick)


Judith Hermann: "Alice"
Fischer, 2010. 189 Seiten.
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Ein weiteres Buch der Autorin:

"Aller Liebe Anfang"

Judith Hermann hat einen Roman geschrieben über die Zumutungen der Liebe und die Schutzlosigkeit im Leben.
Stella und Jason sind verheiratet, sie haben eine Tochter, Ava, sie leben in einem Haus am Rand der Stadt. Ein schönes, einfaches Haus, ein kleiner Garten, ein alltägliches ruhiges Leben, meist ohne Jason, der viel arbeitet.
Aber eines Tages steht ein Mann vor der Tür dieses Hauses, ein Fremder, jemand, den Stella nie zuvor gesehen hat. Er sagt, er wolle sich einfach einmal mit ihr unterhalten, mehr sagt er nicht. Stella lehnt das ab. Der Fremde geht und kommt am nächsten Tag wieder, er kommt auch am Tag darauf wieder, er wird sie nicht mehr in Ruhe lassen. Was hier beginnt, ist ein Albtraum, der langsam, aber unbeirrbar eskaliert.
In einer klaren, schonungslosen Sprache und irritierend schönen Bildern erzählt Judith Hermann vom Rätsel des Anfangs und Fortgangs der Liebe, vom Einsturz eines sicher geglaubten Lebens. (S. Fischer)
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