Veit Heinichen: "Die Ruhe des Stärkeren"
In seinem mittlerweile sechsten Roman mit Commissario Proteo Laurenti
entführt Veit Heinichen den Leser abermals in die auch historisch bewegte Grenzregion um die Hafenstadt
Triest.
Schon im 19.Jahrhundert war diese Region immer wieder umstrittenes
Gebiet und kann insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg auf eine
bewegte Geschichte zurückblicken. Als dann 1989 die Grenzen
nach Osten aufgingen, begann für die Stadt noch einmal eine
völlig neue Zeit, nicht immer zu ihrem Vorteil, wie Veit
Heinichen in seinen Büchern nicht müde wird zu
betonen. Wo sich bislang schon in den Grenzregionen des Karst das
Schmugglerwesen mit all seinen kriminellen Begleiterscheinungen
etabliert hatte, beginnt nun nach der Grenzöffnung eine
völlig neue Ära aus Osten kommender krimineller
Banden, die sich aber mit dem Triester und italienischen
Verbrechersyndikaten sowie ihren politischen Hintermännern und
Gewährsleuten prächtig verstehen.
Proteo Laurenti ist mittlerweile ein auch überregional
bekannter und wichtiger Polizist geworden. In dieser Rolle hat er
gerade an einer EU-Sicherheitskonferenz in Brüssel
teilgenommen, die zur Vorbereitung der Feierlichkeiten dient, die an
der italienisch-slowenischen Grenze am 21.12.07 stattfinden sollen. Mit
großem Aufwand soll der Wegfall der Zollschranken und
Passkontrollen nach der Aufnahme Sloweniens in die EU gefeiert werden.
Gerade mit durchaus skeptischen Einschätzungen
bezüglich Wirkung und Sinn der gesamten Veranstaltung aus der
EU-Zentrale zurückgekehrt, erfährt Laurenti von einem
Mordfall, der in seinen Zuständigkeitsbereich fällt.
Im selben Zug, den auch Laurenti nahm, wurde der
Tierpräparator Marzio Manfredi ermordet. Er war Laurenti schon
auf der Reise aufgefallen, und so hängt er sich trotz der
immensen
Vorbereitungen für die
Feierlichkeiten in den Fall hinein.
Derweil ist seine aus dem Süden Italiens stammende Kollegin
Pina in einen Zusammenstoß mit einem Pitbull-Terrier verwickelt,
der sie auf einer Radtour in den slowenischen Teil des Karsts
angefallen hat. Dieser Hund erzählt quer durch das ganze Buch
seine furchtbare Leidensgeschichte und gibt Einblick in eine besonders
abstoßende Form von Tierquälerei, illegale
Wettgeschäften und Hundekämpfe, für die es
offenbar in vielen Ländern Europas durchaus hochgestellte und
wohlhabende, vor allem männliche Interessenten gibt.
Pina liegt verletzt am Boden, als ein Reiter in einem Damensattel sie
findet und sie in sein mondänes Haus bringt. Es ist der
behinderte und nach einem Unfall auf den Rollstuhl angewiesene Sohn
Goran Newmans, eines umstrittenen Geschäftsmannes mit
einflussreichen Beziehungen bis in die us-amerikanische Regierung. Pina
und Sedem, so heißt der berittene Retter, freunden sich an;
es könnte, so denkt der Leser, auch Liebe werden.
In diesem Strang des Buches erfährt man viel über
internationale Börsengeschäfte, mit denen sowohl
Goran Newman, als auch seit einigen Jahren sein Sohn Sedem Millionen
verdienen.
Sedem erzählt Pina stolz davon, dass er seine
Börsengewinne,
die er vor allen Dingen mit seinen
weitsichtigen Wetten auf fallende Börsen und zusammenbrechende
Banken erzielt hat, in eine wohltätige Organisation steckt,
die er gegründet hat und die überall auf der Welt in
die Bildung der Armen investiert mit Schulen etc. Und er
erklärt Pina und dem Leser die Zusammenhänge:
"Die Nahrungsmittelkrise und die steigenden Preise
für Lebensmittel sind nur dem Finanzmarkt zu verdanken, die
Hedgefonds haben mit dem Anbau nichts zu tun, sie spekulieren auf
zukünftige Ernten, und ihre Gewinne können sie nur
mit explosionsartig steigenden Preisen realisieren. Also setzt man alle
Mittel ein, damit das passiert, bis hin zur Desinformation durch die
Medien, die sich dem wirklichen Problem nicht annehmen."
Er findet das schlimm und fordert andere Regelungen. Die
Geschäfte seines Vaters verachtet er, auch wenn er sonst um
ein gutes Verhältnis zu ihm bemüht ist. Doch
insgeheim spürt man beim Lesen, dass dieser Mann so verbittert
in seinem Denken ist, dass man nicht genau weiß, was daraus
wird.
Im anderen Strang der Erzählung versucht Proteo Laurenti eben
jenen Goran Newman davon zu überzeugen, nicht zu den
öffentlichen Grenzöffnungsfeierlichkeiten zu fahren,
denn es gibt Hinweise auf einen geplanten Anschlag eines Gruppe namens
"Istria
libera", die gegen den spekulativen Ausverkauf der istrischen
Küstenregionen an Finanzhaie wie zum Beispiel Goran Newman
Front macht und auch nicht vor Terror zurückschreckt.
Der Anschlag kann nicht verhindert werden, und die weiteren
Ermittlungen bringen sehr überraschende Ergebnisse und
offenbaren ungeahnte Zusammenhänge.
Wieder hat Veit Heinichen eine spannende Geschichte mit politischen,
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Analysen seines Lebensumfeldes
verknüpft. Herausgekommen ist ein guter Kriminalroman mit
vielen Informationen und auch deutlicher Kritik am
gegenwärtigen Wirtschaften (nicht nur) im Herzen Europas. Aus
allem dringt dennoch immer wieder jene besondere italienische
Lebensart, die sich eben mit den Realitäten, der korrupten
Verfassung des ganzen Staates und weiter Teile der Gesellschaft
arrangiert. Was man bei Veit Heinichen in fast allen seinen
Büchern immer wieder findet, ist das Aufzeigen der
historischen Hintergründe aktueller Konflikte. Der Autor
recherchiert genau und ist mit seinen Geschichten immer auf der
Höhe der Zeit.
Seine Hauptfigur Proteo Laurenti ist ein sympathischer Mensch mit einem
dicken Schädel, der sich nicht von Vorgesetzten und Politikern
verbiegen lässt und in seinem Privatleben mit Frau, ehemaliger
Geliebter und seinen schon erwachsenen Kindern die üblichen
Probleme hat.
Fazit:
Eine Serie, die einem nicht langweilig wird und der man noch viele
weitere Bücher wünscht.
(Winfried Stanzick; 02/2009)
Veit
Heinichen: "Die Ruhe des Stärkeren"
Gebundene Ausgabe:
Zsolnay, 2009. 317 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
dtv, 2010. 320 Seiten.
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Zwei weitere Bücher des Autors:
"Die Zeitungsfrau"
zur Rezension ...
"Keine Frage des Geschmacks"
Korruption, Manipulation, Ausbeutung. Vor der Kulisse Triests muss Kommissar
Laurenti seine ganze Erfahrung aufbieten, um die Drahtzieher eines
folgenschweren Machtspiels aufzuspüren.
Ein deutscher Filmproduzent wird bei Triest tot aus der Adria gefischt. Mord?
Der Verdacht fällt auf Lele Raccaro, den politisch einflussreichen Geschäftsmann,
und seine unehelichen Söhne - vierschrötige Kerle, die sich ihr Taschengeld
mit der Erpressung der britischen Politikerin Jeanette McGyver aufbessern
wollen. Geht auch der Einbruch in die exklusivste Kaffeerösterei am Ort auf ihr
Konto? Als die farbige Journalistin Miriam Natisone aus London anreist, um der
McGyver-Erpressung auf den Grund zu gehen, wird es für den Commissario höchste
Zeit zu handeln.
Veit Heinichen richtet auch in diesem Kriminalroman den Blick auf die
Machenschaften hinter den Kulissen, die das Geschehen auf der Bühne weit mehr
bestimmen, als die Weltöffentlichkeit glauben will. (Zsolnay)
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Weitere Buchtipps:
Günther Schatzdorfer: "Triest. Portrait einer Stadt"
Geschichten zur Geschichte. Mit einem Vorwort von Paolo Rumiz und Fotos
von Ferdinand Neumüller.
Durchaus ambivalent ist das Verhältnis, das der Poet und Maler
Günther
Schatzdorfer zu "seinem" Triest pflegt, vor allem aber ist es der
Blick eines Liebenden, mit dem er Vergangenheit und Gegenwart dieser
multikulturellen Hafenstadt an der Adria zeichnet. Das Ergebnis ist
eine kenntnisreiche, sinnliche, kritische und nicht zuletzt humorvolle
Bestandsaufnahme. (Carinthia)
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Veit
Heinichen, Ami Scabar: "Triest. Stadt der Winde. Oasen für die Sinne"
Triest: die Stadt der Winde. Sie haben der italienischen Hafenstadt
zwischen Ost
und West, Nord und Süd schon immer die unterschiedlichsten
Einflüsse
zugetragen. Wein und Oliven
auf dem Karst über der Stadt,
Fischgerichte
aus
aller Welt am Hafen,
auf
den Spuren von James Joyce in den Kaffeehäusern und
mit Gedichten von Rilke
nach Duino wandern - Veit Heinichen und Ami Scabar laden zu einer
Entdeckung des
Mythos Triest ein, bei der alle Sinne geschult werden. (Sanssouci)
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Leseprobe:
Pina in Panik
Das Keuchen kam rasch näher. Zuerst hatte
sie dem Geräusch keine Beachtung geschenkt,
doch jetzt warf sie erschrocken einen Blick
über die Schulter. Mit wild gefletschten Zähnen
näherte sich ein kraftstrotzender,
braunweiß-gescheckter Köter und würde sie
in Kürze einholen. Freundlich sah das Tier
nicht aus mit seinen hochgezogenen Lefzen,
unter denen das rote Zahnfleisch und ein kräftiges
weißes
Gebiß leuchteten. Noch hundert Meter, und es würde
zum Sprung ansetzen. Panisch trat sie in die Pedale und
versuchte, Abstand zu gewinnen, die Straße war kurvig, und
wo sie dem Asphalt folgen und dagegen ankämpfen
mußte,
mit dem Fahrrad im Graben zu landen, hielt das Tier schnurstracks
auf sie zu. Weit unten im Tal sah sie die roten Ziegeldächer
einer kleinen Ortschaft unter der Dezembersonne glänzen,
bis dorthin würde sie es kaum schaffen. Der Hund
jagte ihr nach wie einem Kaninchen, als hätte ihn jemand auf
sie angesetzt, um sie auf Teufel komm raus zu Fall zu
bringen und zu zerfleischen. Endlich erblickte sie auf einer Wiese
eine Miete mit Heuballen, für die der Bauer wohl keinen
Platz mehr in der Scheune gefunden hatte und sie deshalb
unter einer weißen Plastikplane im Freien lagerte. Pina
hielt direkt darauf zu, sprang vom Rad und versuchte auf
dem glitschigen Kunststoff hinaufzuklettern. Für den Bruchteil
einer Sekunde verklang das Keuchen hinter ihr, dann
war auf einen Schlag ihr linker Fuß blockiert, stechender
Schmerz
durchfuhr sie und ein schweres Gewicht hing an ihr,
das sie zu Boden zu ziehen versuchte. Mit wütendem Knurren
hatte sich der Hund in ihren Schuh verbissen und hing
einen Meter über dem Boden, seine Pfoten kratzten auf der
Plane. Sie trat mit dem freien Bein nach ihm, doch in dieser Position
erwischte
sie das Vieh nicht. Unter Einsatz ihrer letzten
Kraft konnte sie sich noch ein Stück emporziehen und
festen Halt finden an einem Seil, das die Plane fixierte. Wieder
trat sie vergeblich nach dem Hund. Eine aussichtslose Situation.
Wo kam das Tier her, und wie lange würde es durchhalten?
Was war das für eine Rasse? Ein Pitbull, eine argentinische
Dogge, ein Mastino Napolitano? Pina konnte Hunde
nicht ausstehen und hatte sich stets verweigert, sie
auseinanderzuhalten.
Dieser hing an ihr wie ein Zappelsack, knurrte
wütend und hatte einen Biß wie ein Schraubstock.
Seine
Reißzähne waren durch das Leder des Sportschuhs
gedrungen, Pinas
Ferse glühte vor Schmerz. Wenn sie wenigstens den
Schuh abstreifen könnte, um dieses blindwütige Tier
loszuwerden, das von ihrem
Blut,
das aus dem Leder tropfte,
offensichtlich noch wilder wurde.
Sie hatte keine Wahl, nichts half ihr, außer aus
Leibeskräften zu
schreien. Während ihrer Ausbildung hatte sie gelernt,
daß
man in solchen Situationen mit der Stimme am meisten
erreichte, doch die aus voller Kehle gebrüllte
Haßtirade, mit
der sie ihren vierbeinigen Feind bedachte, schien den
nicht weiter zu beeindrucken. Nie hätte sie sich
träumen lassen,
einmal in eine Lage zu geraten, in der ihr all ihre Kenntnisse
der härtesten Kampfsportarten so wenig nützten wie
ihr durchtrainierter Körper und ihr blitzschnelles
Reaktionsvermögen. Sie
brüllte wie am Spieß und hoffte, daß
schnell
jemand auf sie aufmerksam würde.
Der
Hund ließ keine
Sekunde nach. Endlich gelang es ihr, sich mit einem Ruck
herumzuwerfen und auf den Rücken zu drehen, um mehr
Bewegungsfreiheit zu bekommen und das Bein anzuwinkeln. Und
endlich konnte sie mit dem rechten Fuß einen gezielten
Tritt ausführen, der in seiner ganzen Härte die
Schnauze
des Tiers traf, dessen Oberkieferknochen krachte. Es
fiel, ohne den geringsten Laut von sich zu geben, auf die Wiese,
taumelte einen Augenblick um die eigene Achse, setzte
dann aber sofort wieder zum Sprung an, als fühlte es keinen
Schmerz. Doch Pina war fürs erste in Sicherheit. Mit laut
klopfendem Herzen sah sie den Hund an, der nur darauf zu
warten schien, daß sie von ihrem erhöhten Sitz
heruntersteigen würde.
Von der Ortschaft im Tal drang vor dem Neun-Uhr-Schlag der Klang der
Kirchenglocken herauf, der die Gemeinde zum
Sonntagsgottesdienst rief. Pina riß den
Reißverschluß ihrer
Gürteltasche auf und kramte nach ihrem Mobiltelefon.
Aus der Ferne vernahm sie einen Pfiff, der sie für
einen Moment ablenkte. Und als sie ihrem Peiniger wieder ins
Auge blicken wollte, war sein Platz plötzlich leer. Der Hund
war wie vom Erdboden verschluckt. (...)