Tymofiy Havryliv: "Wo ist dein Haus, Odysseus?"
Im
Mittelpunkt des Romans, der stark lyrische Anteile aufweist, steht ein
Ich-Erzähler, der den Leser recht direkt mitnimmt in sein
Leben und die Gedanken, die er sich macht. Ohne durchgängige
Ordnung folgen kurze Kapitel aufeinander, deren Überschriften
einmal länger, dann wieder kürzer sind, manchmal
inmitten eines laufenden Absatzes stehen oder auch ein zweiter oder
dritter Teil eines Kapitels sind, das zuvor von anderen unterbrochen
wurde.
Der offenbar sehr rat- und rastlose Erzähler macht sich
Gedanken um Gott und die
Welt,
vor allem aber über Letzteres.
Bis ins kleinste Detail wird über Alltägliches
philosophiert, und eher in Nebensätzen ist "das
große Ganze" erkennbar. So handelt das Buch von
Globalisierung,
von dem Näherrücken der Nationen,
aber zugleich auch von der Entfremdung und dem fehlenden Heimat-
und
Identitätsgefühl, das mit der Globalisierung
einhergeht. Darauf kommt man, wenn man sich durch die knapp dreihundert
Seiten der Aneinanderreihungen kämpft, durchaus von alleine,
allerdings ist es sehr hilfreich, dass der Autor dies auch in
Interviews zum Buch erzählt. Zugegebenermaßen sorgt
der Roman nämlich für einen derart leeren Kopf, dass
man sich nach dem Lesen nicht unbedingt noch über das "Was
will der Autor damit sagen?", das einen ohnehin über einen
Großteil der Lektüre des Buches begleitet, Gedanken
machen möchte.
Sieht man das eher lyrische Werk, auf dem Buch selbst und ebenso durch
den Autor beschrieben als experimentell und "Literatur aus
Osteuropa, die das Sprachspiel der
Avantgarde wieder aufnimmt", unter diesen Gesichtspunkten, so
kann man es stilistisch nur als rundum gelungen bezeichnen.
Die Frage, die bleibt, ist: Hätte man das nicht auch in
lesbarerer Form transportieren können oder vielleicht sogar
besser als Kurzgeschichte? Natürlich ist die Frage eine
müßige, da sich "Wo ist dein Haus, Odysseus?" nun
einmal anders darstellt, dennoch bleibt sie im Hinterkopf haften.
Bei Szenen wie
"Jedes Mal, wenn ich den Hahn hebe, fließt Wasser
ohne Unterlass - mein Hahn wird nicht gedreht, sondern angehoben, er
lässt sich um bis zu neunzig Grad seitwärts bewegen,
je nachdem, ob ich heißes oder kaltes Wasser
wünsche; ich muss zugeben, es beunruhigt mich, dass sich der
Hahn nicht drehen, sondern heben lässt, dieses an und
für sich vernachlässigenswerte Detail stürzt
mich in einen grammatikalisch-hydrotechnischen Konflikt, den ich mir
sehr gern erspart hätte"
denke ich persönlich eher, dass ich mir auch diese
Wasserhahndarstellung, die sich über etwas mehr als
zweieinhalb Seiten zieht, einmal unterbrochen von einem anderen Thema,
sehr gern erspart hätte, so philosophisch oder poetisch sie
auch gemeint sein mag. Und dieses Beispiel ist im Rahmen des Buches, um
einmal bei dem Bild des Wasserhahns zu bleiben, nur ein Tropfen in
einem Meer voller überflüssiger
Umständlichkeiten (und das gleich zu Anfang, Zitat ab Seite
10).
(Tanja Thome; 09/2009)
Tymofiy
Havryliv: "Wo ist dein Haus,
Odysseus?"
(Originaltitel "De tvij dim, Odisseju?")
Aus dem Ukrainischen von Harald Fleischmann.
Ammann Verlag, 2009. 298 Seiten.
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Tymofiy
Havryliv wurde 1971 in
Ivano-Frankivs'k (Ukraine)
geboren und lebt heute in Lviv. Er übersetzte u.A.
Georg
Trakl,
Joseph
Roth,
Thomas
Bernhard und Paul Celan ins Ukrainische.
Weitere Lektüretipps:
Evelyn
Scheer (Hrsg.): "Ukraine-Lesebuch.
Literarische Streifzüge durch die Ukraine"
Galizische Schnapsbrenner, Karpatenräuber, Wunderrabbis,
schrullige Hexen,
bolschewistische Revolutionäre, heißblütige
Kosaken, fluchende Grenzwächter
oder einfach nur Reisende begleiten den Leser auf einem literarischen
Streifzug
durch die Ukraine. Die eindrucksvollen Schilderungen von
Autoren wie
Juri
Andruchowytsch, Rose Ausländer, Joseph Roth,
Andrej
Kurkow,
Karl Schlögel und vielen anderen
eröffnen einen faszinierenden
Einblick in die Vielfalt der ukrainischen Landschaft und die Kultur
eines Volkes
mit einer großen Seele. Eine auf dem deutschsprachigen Markt
einzigartige
Anthologie.
(Trescher Verlag)
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Tanja Maljartschuk: "Neunprozentiger
Haushaltsessig"
Ein Mann, der seine Freundin so sehr liebt, dass er sich nach ihrem
Betrug in
ihr Muttermal verwandelt. Ein Tierarzt, der ein fremdes
Mädchen nach einem
Autounfall beim Sterben begleitet und ihr nicht den erlösenden
Satz sagt. Eine
Frau, die ihren Mann und ihr Dorf verlässt, um den Tod zu
suchen, und fröhlich
wiederkehrt.
Tanja Maljartschuk verbindet in drei Teilen drei unterschiedliche
Welten: Die
Welt des "Ichs" aus der Gegenwart, die archaische Welt eines Dorfes
außerhalb
jeglicher Zeit und die Welt eines Kindes aus der späten
Sowjet- und frühen
Ukrainezeit der 1980er- und 1990er-Jahre. Sie erzählt in einem
beinahe beiläufigen
Ton über große Momente, die in einer Sekunde das
Leben verändern. Es sind
Geschichten über
Sehnsüchte,
Träume und
subjektive Realität.
Die Mosaiksteine in "Neunprozentiger Haushaltsessig" haben eines
miteinander gemein: die Beziehungslosigkeit zwischen den Menschen und
die
Grausamkeit des Moments. Leichtfüßig und im
Plauderton kommen diese
Geschichten daher, zwischen Wirklichkeit und Absurdität. Der
kraftvolle,
poetische Ruf einer ukrainischen Autorin, der gehört werden
muss. (Residenzverlag)
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