Knut Hamsun: "Pan"
"Der Jäger mit dem Tierblick"
"Sie sind gespalten und bruchstückhaft, nicht gut und nicht
schlecht, sondern beides, launisch von Gemüt und unberechenbar in
ihren Handlungen. [Allesamt] ohne sogenannten Charakter", bezeichnet der norwegische Schriftsteller Knut Hamsun die Figuren in seinen Romanen, um im selben Atemzug hinzuzufügen: "Und so bin zweifellos auch ich."
"Pan" reiht sich in die Tradition des nervösen, eigensinnigen
Stils und der Vorliebe für exzentrisches, individualistisches
Dasein am Rande der Zivilisation des umstrittenen
Literaturnobelpreisträgers (1920) ein. "Der
häufige, oft schroffe Wechsel zwischen erzählter Gegenwart
und Vergangenheit, sogar mitten im Satz, ist ein bewusst eingesetztes
Stilmittel, das Irritation und Spannung erzeugt. Die Dialoge weisen
Brüche auf: Da steht ein 'Nein', wo der Leser ein 'Ja', oder ein
Fragezeichen, wo er ein Ausrufezeichen erwartet hätte",
erläutert Aldo Keel im Nachwort der vorliegenden Ausgabe des
Romans, den er gemeinsam mit Ingeborg Keel aus dem Norwegischen neu
übersetzt und der nun Einzug in "Manesses Bibliothek der
Weltliteratur" gefunden hat.
Zusammen mit "Hunger" und
"Mysterien"
bildet "Pan", das der damals Vierunddreißigjährige im Januar
1894 in Angriff nahm, das Dreigestirn, mit dem sich Hamsun von der
realistischen Erzähltradition verabschiedete und an die Spitze der
skandinavischen Moderne setzte.
Der Roman nimmt den Leser mit in das Land der Mitternachtssonne, das
Hamsun zwanzigjährig verließ, um ein besseres Leben zu
finden.
Der damals in Oslo mit Herablassung betrachtete wilde Norden Norwegens wurde mit diesem Buch salonfähig. "Was für ein Sommer hier im Norden!",
lässt Hamsun seinen Protagonisten und Ich-Erzähler Thomas
Glahn, einen dreißigjährigen Sonderling und Aussteiger,
Naturschwärmer und leidenschaftlichen Jäger, der einige
Monate, vom Erwachen des Frühlings bis zum Einbruch des Winters,
in einer Hütte am Waldrand nahe der fiktiven Handelsstation
Sirilund lebt, jubilieren. Die Handlungszeit des Romans verlegt der
Autor ins Jahr 1855 zurück, in die Epoche der mächtigen
Handelsherren, im Volksmund "Fjordbarone" genannt.
Selbstzerstörerisches Liebeswerben
Der seltsame Held, über dessen Herkunft und Vergangenheit im Buch
nichts erwähnt wird, ist eine eigentümliche Figur. Ein
christliches Weltbild scheint ihm nicht zugrunde zu liegen. Thomas
Glahn (und gleichfalls Hamsun) verehrt Pan, den bocksbeinigen und
schalkhaften Schutzgott der Ziegen, Hirten und Jäger aus der
griechischen
Mythologie, den Herrscher des Waldes und der Natur. Der Wald
steckt für den Protagonisten voller Geheimnisse und Traumgesichte.
Jeder Zweig, jedes Blatt, selbst die Steine sprechen zu ihm. Hier
spürt er Glück, Lebensfülle und tiefen Frieden.
Und liebestrunken wie Pan, als er die Nymphe Syrinx verfolgt,
lässt sich auch Glahn von Reizen und Impulsen steuern. Er geht
eine obsessive und wunderliche Liebesgeschichte mit Edvarda, der
Tochter des mächtigen "Fjordbarons" Mack, ein. Ein ständiges,
beinahe wahnhaftes Hin und Her bestimmt ihre "Beziehung". Sobald der
Eine glaubt, sie erobert zu haben, zieht diese sich zurück. Sobald
sie sich hingeben will, verweigert er sich. Hinzu gesellt Hamsun zwei
Nebenbuhler, die ebenso um das hochgestellte Fräulein werben. Aber
auch die selbstlose Liebe der sanften, warmherzigen Eva tröstet
ihn nicht in seinem Kummer. Ein verwirrendes,
selbstzerstörerisches, ja mörderisches Liebeswerben entspinnt
sich, das Leutnant Thomas Glahn nach vier Jahren in Indien, wohin er
sich letztendlich zurückzieht, erneut einzuholen scheint.
Vor allem Hamsuns grandiose Landschaftsschilderungen spiegeln die tiefe
Naturverbundenheit des berühmten norwegischen Erzählers
wider: "Das
monotone Sausen und die altbekannten Bäume und Steine sind
für mich zu viel, eine seltsame Dankbarkeit erfüllt mich,
alles lässt sich mit mir ein, vermengt sich mit mir, ich liebe
alles." Seine Sprache ist schnörkellos, unprätentiös
und schlicht, gleichzeitig aber auch kraftvoll, lyrisch und voller
Empathie.
Knut Hamsun (1859-1952) schlug sich nach einer ärmlichen und
lieblosen Kindheit als Verkäufer, Bauarbeiter und Laienprediger
durch. Erst 1890 gelang ihm der literarische Durchbruch mit seinem
Erstling "Hunger", dem in rascher Folge die weiteren Romane folgten und
der in der Preisverleihung mit dem Literaturnobelpreis seinen
Höhepunkt finden sollte. Wegen seiner Sympathie für die
Nationalsozialisten verurteilte man ihn 1945 in Norwegen als
Landesverräter. Nur seines hohen Alters wegen wurde er nicht
inhaftiert, musste jedoch eine Geldstrafe zahlen, die ihn finanziell
ruinierte. Reue über seine Verirrung zeigte er bis zum Schluss
nicht.
"Pan" ist ein facettenreicher, ambivalenter Roman über den
unlösbaren Gegensatz zwischen Liebe und Natur,
Identitätsproblematik, das Schwanken zwischen gegenseitiger
Anziehung und Abneigung und die zerstörerische Macht der
Eifersucht bis hin zur Selbstzerstörung. Ein Buch, das
ständig zwischen Wahnsinn und Normalität, Glückseligkeit
und Verderben,
Natur und Kultur changiert, kunstvoll verwebt mit teilweise mythisch-balladenhaften Erzählsträngen.
(Heike Geilen; 07/2009)
Knut Hamsun: "Pan"
(Originaltitel "Pan. Af Løjtnant Thomas Glahns Papirer")
Mit Nachwort von Aldo Keel.
Aus dem Norwegischen von Dr. Aldo und Ingeborg Keel.
Manesse Bibliothek der Weltliteratur, 2009. 256 Seiten.
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Knut Hamsun (1859-1952), Sohn eines Schneiders und Landpächters, wuchs zweihundert Kilometer nördlich des Polarkreises auf. Ausgedehnte Reisen führten ihn bis nach Amerika und in den Orient, ehe er vor dem Ersten Weltkrieg schließlich in seine Heimat Norwegen zurückkehrte. 1920 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.