Antje Hinz: "Griechenland hören"
(Hörbuchrezension)
Homines
maxime homines
"Menschen, die im höchsten Sinne Menschen sind"
nannte der römische
Senator Plinius um 100 n. Chr. die Griechen. Ein Volk, "das
eine Kultur
bildete, die so anders war als all die andern großartigen
Hochkulturen, die vor
und neben ihm in der Weltgeschichte entstanden sind",
schreibt
Christian Meier, einer der bekanntesten Historiker Deutschlands in
seinem Buch
"Kultur,
um
der Freiheit willen". Vielleicht legten die Griechen gar das
Fundament
für Europa und dessen ungeheuerliche Kapazität "des
Handelns,
Erkennens, Gestaltens, des Aufgreifens und Veränderns",
um noch einmal
den emeritierten Professor für Alte Geschichte zu zitieren.
In seiner bekannten Länderreihe hat sich der
Silberfuchs-Verlag mit diesem Hörbuch
auf die Spuren dieser einzigartigen Kultur begeben. "Griechenland
hören"
bietet dem Hörer eine Reise zu untergegangenen oder immer noch
zu bewundernden
Orten und Plätzen der griechischen Geschichte,
abwechslungsreich gestaltet
durch eine Fülle an "Zwischenstopps" mit jeder Menge
Hintergrundinformationen aus den Themenbereichen Geschichte,
Philosophie,
Literatur, Musik, Kunst und Kultur.
Nur wo anfangen? Die Autorin Antje Hinz entleiht die "Stunde Null" dem
griechischen Dichter Hesiod (ca. 700 v. Chr.), der sich
die Entstehung
der Welt
und der Götter wie folgt vorstellte: "Siehe, vor
allem zuerst ward
Chaos; aber nach diesem / Ward die gebreitete Erd', ein dauernder Sitz
den
gesamten / Ewigen, welche bewohnen die Höhn des beschneiten
Olympos."
Und "dem Chaos", so fährt der Sprecher
Rolf Becker, unterlegt
mit kraftvollen Violinen und Pauken, fort, "entsprang die
Erde Gaia und
gebar aus sich selbst den Himmel Uranos. Gemeinsam zeugen sie das
Göttergeschlecht
der Titanen, sechs Töchter und sechs Söhne. Ihre
Geschwister sind Kyklopen -
drei einäugige Riesen und drei hundertarmige
monströse Wesen. Vater Uranos stößt
sie aus Hass wieder in den Leib der Mutter Erde zurück.
Zornentbrannt schmiedet
Gaia ein Komplott: Mit einer Sichel entmannt ihr jüngster Sohn
Kronos den
eigenen Vater." Dessen einziger überlebender Sohn
wiederum wächst vor
der Mordlust seines Vaters geschützt in einer
Berghöhle auf Kreta auf. Er wird,
zum Manne gereift, der Göttervater und besteigt den Olymp -
sein Name: Zeus.
Das Resultat einer seiner außerehelichen
Amourösitäten wiederum, dieses Mal
mit der schönen orientalischen Prinzessin Europa, ist Minos.
Er wurde zum
Namensgeber der ältesten Epoche der griechischen Geschichte -
der minoischen
Kultur.
Mit den Minoern, die eigentlich gar keine Griechen waren und deren
Hauptstadt
Knossos noch heute als Ausgrabungsstätte
auf Kreta zu
bewundern ist, beginnt
die 5000 Jahre währende Reise - eine akustische Gefangennahme.
Sie führt den Hörer
3000 Jahre vor unserer Zeitrechnung von den Griechen des Festlandes,
den
Mykenern, bis in die heutige Gegenwart. Er nimmt an den gewaltigen
Völkerwanderungen
zwischen dem 12. und 8. Jahrhundert v.u.Z. teil, schaut Homer beim
Schreiben
seiner "Ilias" und "Odyssee" über die Schulter, erlebt die
ersten Olympischen Spiele 776 v.u.Z. oder besucht
abendliche
Trinkgelage - die
Symposien. Doch nicht immer lief alles friedlich ab. "Im
Schutz zweier
Gebirgsmassive entwickelte sich unterdessen im Süden der
Peloponnes eine militärische
Supermacht: Sparta", berichtet Rolf Becker. Demokratie,
Persische
Kriege, das goldene Zeitalter von Athen oder Kampf um Troja wechseln
sich ab.
Doch nicht nur auf geschichtliche und politische
"Grabenkämpfe" wird
im Hörbuch eingegangen, sondern ebenso auf die "Liebe zur
Weisheit" -
die Philosophie - und deren bekannteste Vertreter Sokrates,
Platon und
Aristoteles.
Eine wechselvolle Geschichte bis in die Gegenwart folgt. "11
Millionen Bürger
leben heute in Griechenland", intoniert der wunderbare
Sprecher Rolf
Becker mit seiner sonoren, klangvollen und wohl modulierten Stimme und
leitet
damit das Finale ein, "Fast ebenso viele Griechen halten die
hellenische
Kultur im Ausland lebendig und geben ihr neue Impulse. Das
Aufeinandertreffen
verschiedener Kulturen hat der in Istanbul gebürtige Grieche
Petros
Markaris zum Gegenstand seiner Kriminalromane gemacht. Sein
Protagonist, ein
Kommissar, schildert den Alltag im Ballungsraum Athen, reflektiert
über
Einwanderung, Überfremdung, Korruption und organisiertes
Verbrechen. Persönliche
Schicksale eingebettet in globale Zusammenhänge - die
griechische Tragödie
lebt so in moderner Weise fort."
Erneut ist ein überaus spannendes, lebendiges,
abwechslungsreiches und
ausdrucksstarkes Hörbuch über ein Land und seine
Kultur entstanden. Das überaus
ansprechende Begleitheft, welches einen kurzen geschichtlichen Abriss
bietet und
verschiedene historische Abbildungen enthält (u.A. Minoische
Wandmalerei, eine
Panathenäische Preisamphore, einen Ausschnitt aus dem
Parthenon-Fries der
Akropolis oder die Bronze-Skulptur der Laokoon-Gruppe) tut ein
Übriges zum
Gelingen dieser Produktion.
Fazit:
Die Entstehung und Geschichte Europas ist unzweifelhaft
mit dem antiken
Griechenland verbunden, wenn sie nicht gar ihren Ursprung in der
Ägäis hat.
"Griechenland hören" lässt in zwanzig, etwa zwei- bis
sechsminütigen
Kapiteln, allesamt mit authentischer Musik unterlegt, noch einmal den
Hellenismus, der schon Alexander den Großen prägte,
aufleben.
Das Hörbuch erschien übrigens im Mai 2009 und
erinnerte damit an den 30.
Jahrestag der Vertragsunterzeichnung zum EU-Beitritt Griechenlands
(1981) in
Athen.
(Heike Geilen; 08/2009)
Antje
Hintz: "Griechenland hören"
Sprecher: Rolf Becker.
Silberfuchs-Verlag, 2009. 1 CD; Laufzeit ca. 80 Minuten.
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