Yasmine Ghata: "Die Târ meines Vaters"
Der
Roman erzählt eine
faszinierende Geschichte, die von Musik handelt, sich wie ein
Märchen anhört
und von einer dramatischen Wucht ist wie die Geschichten aus dem Alten
Testament.
Schon Yasmine Ghatas erster Roman "Die
Nacht der Kalligraphen" entführte den Leser in eine
fremde und alte
Welt, in der die Uhren anders gehen und die auf den Okzident schon
immer eine
besondere Anziehungskraft ausübte. Ging es damals um die auch
tief religiöse
Bedeutung der aussterbenden Kunst der Kalligrafie, so handelt "Die
Târ
meines Vaters" vom Spiel eines Instrumentes, das es nur im Orient gibt,
der
sogenannten Târ. Sie ist "ein Instrument
indisch-persischen Ursprungs
mit metallischem Klang, das zur Familie der Lauten gehört.
Sein doppelbartiger
Resonanzkörper ist aus Maulbeerholz, die Decke hat die Form
zweier mit der
Spitze aneinanderstoßender Herzen. Der lange Hals ist mit 25
Bändern aus Darm
umwickelt."
Der Roman erzählt die Geschichte von Weissbart, einem Mann,
der letztlich
vergeblich versucht, mit seinem Spiel auf der Târ jenen
göttlichen Dimensionen
näher zu kommen, die andere Târ-Spieler vor ihm
schon erreichten. Die
Geschichte von Weissbart und seiner Familie wird aus den Perspektiven
seines
Sohnes Nur, seines ältesten Sohnes Hossein und seiner Frau
Fourough erzählt.
Weissbart ist, wie gesagt, ein Târspieler, dem etwas
Entscheidendes zur
Vollkommenheit fehlt. Vielleicht ist es seine Opiumsucht, die dem
entgegensteht,
vielleicht ist er auch wegen seiner Grenzen dem Opium verfallen. Wir
wissen es
nicht. Fourough, seine Frau, jedenfalls erduldet ihn sittsam, bis
Weissbart
eines Tages Besuch bekommt.
Er hat von einem blinden Târspieler namens Mohsen
gehört, dessen Ruf seines
gottnahen Spiels weit über die Grenzen seines Heimatdorfes
gelangt ist, und ihn
eingeladen.
Als Weissbart diesen begnadeten Mann hört und sieht, der in
seinem Dorf als
Heiliger verehrt wird, stürzt er sich frustriert in seinen
nächsten
Opiumrausch. Derweil nähern sich Mohsen und Fourough einander,
und sie zeugen
Hossein, was Weissbart und Mohsen allerdings nie erfahren werden.
Mohsen wird
bald nach diesem Vorfall von Weissbart erschlagen, als dieser sich
voller Wut
und mit von Neid zerfressener Seele zu dessen Dorf aufmacht, um seinen
Konkurrenten zu töten. Weissbart entkommt ungestraft.
Viele Jahre später, Hossein und sein einige Jahre
später geborener Bruder Nur
sind schon junge Männer, stirbt Weissbart. Als Hossein, der
Tradition folgend,
versucht, als ältester Sohn auf seines Vaters Târ zu
spielen, entzieht sich
ihm das Instrument. Voller Zorn verbrennt er die Saiten und macht sich
später
zusammen mit seinem Bruder in jenes Dorf auf, aus dem Mohsen stammt und
das für
seine Târ-Werkstätten bekannt ist. Sie wollen
Weissbarts Târ reparieren
lassen. Parvis, Mohsens Sohn, hat schon jahrelang auf die Beiden
gewartet und
nimmt die Brüder gefangen. Hossein wird so lange im Dunkeln
eingesperrt, bis er
erblindet und die Rache Parvis' sich erfüllt. Nur muss derweil
Fronarbeit
verrichten.
Doch dann geschehen seltsame und wunderhafte Dinge. Der Ausdruck von
Hosseins
blinden Augen
erinnert die Menschen des Ortes an Mohsen, und sie
drängen Parvis,
ihn auf dessen jahrelang unberührt gebliebener Târ
spielen zu lassen, die sich
auch für Parvis ähnlich verschlossen hatte, wie
Weissbarts für Hossein.
Und er spielt so wunderbar, dass die Menschen
in
heilige Taumel
geraten, und das
lange geschützte Geheimnis ist offenbar ...
(Winfried Stanzick; 04/2009)
Yasmine
Ghata: "Die Târ meines Vaters"
(Originaltitel "Le tar de mon pere")
Aus dem Französischen von Andrea Spingler.
Ammann Verlag, 2009. 128 Seiten.
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