Romain Gary: "Die Liebe einer Frau"
Die
unerträgliche Traurigkeit der Liebe
"Ich stieg aus dem Taxi, und sie lief in die
geöffnete Wagentür: Brot, Eier und Milch fielen auf
den Gehsteig
- und so begegneten wir uns im Nieselregen ..."
... und so beginnt die Geschichte einer einzigen, sehr langen Nacht.
Zwei aus verschiedenen Gründen leidende Seelen treffen sich,
begünstigt durch Fortuna, und klammern sich manisch verwirrt
aneinander. Keiner der beiden weiß, was ihm der Andere geben
kann. Keiner der beiden ist frei für etwas Neues. Beide leben
in einer anderen Welt und hoffen, durch eine verrückte Nacht,
durch die Nähe, oder eine Umarmung, den kurzen Akt der Liebe
mit einem ebenso untergehenden Anderen, den rettenden Strohhalm
erwischt zu haben.
Der Flugkapitän Michel, der seiner großen Liebe
Yannik ein letztes Versprechen aus Liebe gegeben hat, das er nur mit
der Hilfe Lydias halten kann.
Auch Lydia, die ihr Kind und in gewisser Art und Weise auch ihren Mann
verloren hat, braucht Michel.
Beide wissen, dass es kein Morgen,
keine Zukunft geben kann.
Romain Gary hat mit "Die Liebe einer Frau" einen wunderbaren, kostbaren
Roman über eine eigenartige und manische Art der Liebe
geschrieben. Einen Roman, der vermutlich autobiografische Züge
hat, der gewissermaßen ein Spiegel seiner Beziehung zu Jean
Seberg ist, obschon Yannik garantiert nicht Jean Seberg ist und Michel
sicherlich nicht Romain Gary.
Die Zusammenhänge sind viel zu subtil, um sie als
unbeteiligter Leser wirklich verstehen zu können. Jean Seberg
verübte am Tag nach der Premiere der Verfilmung mit
Romy
Schneider und Yves Montand Selbstmord. Romain Gary
folgte ihr anderthalb Jahre später.
Michel versucht weiter, Paris und somit auch Yannik ihrem Wunsch
gemäß hinter sich zu lassen, kehrt aber immer wieder
zu Lydia zurück. Lydias Wohnung und Arme als Magnet und
einzige Möglichkeit.
"Es handelt sich vor allem darum, eine Frau zu retten, nicht
wahr? Sie hat Ihnen gesagt: Mach mich zu einer anderen. Nicht wahr?
Aber ich habe keine Lust, Ihnen nur zum Wiederkäuen Ihrer
Erinnerungen zu dienen ... Ach, entschuldigen Sie. Ich weiß
überhaupt nichts mehr ..."
Beeindruckend, wie konsequent Romain Gary seine Handlung
vorwärts treibt; das einzige Seitenthema mit dem
todessüchtigen Senor Galba, dem Mann mit dem Pudel, entpuppt
sich gegen Ende des Romans als ein weiterer roter Faden, der sich um
das alles durchpflügende
Thema
Tod windet.
"Auf Serbisch heißt der Tod smrt. Ich spreche sieben
Sprachen, aber die Slawen waren es, die den besten Begriff
dafür gefunden haben, mit dem treffendsten Klang ... smrt auf
Serbisch, smert auf Russisch, smierc auf Polnisch ... schlangenhaft,
reptilartig ... Bei uns im Westen klingt es immer so edel: der Tod, la
mort, la muerte, Aber smrt ... Klingt es nicht wie ein
erbärmlicher Furz, der sich an einem Bein entlangschleicht,
giftiger als ein giftiger Skorpion? Ich finde, dass man im Allgemeinen
dem Tod zu viel Ehre erweist."
Lydia und Michel versuchen krampfhaft, die eigenen Leidensgeschichten
loszuwerden; Lydia erfährt die Geschichte der großen
Liebe Yanniks und Michels, während Michel die Wahrheit
über Lydias Kind und Mann in einer beklemmenden und
großartigen Szene in der Wohnung von Lydias Schwiegermutter
erfährt.
Man folgt gebannt Romain Garys die Verzweiflung der Protagonisten mehr
als überzeugend vermittelnden fein instrumentierten Dialogen,
merkt schnell, wie fest Romain Gary den Leser in der Hand hat und
lässt sich in diesem Kammerspiel um ein Versprechen aus Liebe
fallen.
Die Symbolik der letzten Szene macht ein wenig Mut, ganz wenig nur, ist
aber wie ein zart leuchtender Lichtstrahl am Ende dieser dunklen Nacht.
Wie sehr dieser Roman autobiografisch ist, werden wir wahrscheinlich
nie erfahren, er steht jedoch auch ohne Kenntnis der
Hintergrundgeschichte für sich und ist ein beeindruckendes
Buch über die Liebe. Über eine besondere, dunkle,
verzweifelte und unzerbrechliche Liebe, auch wenn die Umstände
es vermuten lassen.
Die Übersetzung und die Ausstattung mit vielen Bildern aus dem
Privatarchiv des Sohnes von Jean Seberg und Romain Gary ist
vorzüglich.
Romain Garys Roman hallt nach, lässt nicht los und ist eine
kleine literarische Sensation.
(Roland Freisitzer; 08/2009)
Romain
Gary: "Die Liebe einer Frau"
(Originaltitel "Clair de femme")
Überarbeitete Erstübersetzung von Helmut Kossodo.
Mit einem Nachwort von Sven Crefeld.
SchirmerGraf, 2009. 185 Seiten (inkl. Fotos).
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