Thomas Metzinger: "Der Ego-Tunnel"
Vom Mythos des Selbst zur Ethik des Bewusstseins
Die
Bewusstseinsrevolution
Steht uns eine Bewusstseinsrevolution ins Haus mit weitreichenderen
Folgen und
Konsequenzen, als wir es uns heute überhaupt vorstellen
können? Nach Thomas
Metzinger ist diese Revolution bereits in vollem Gange, und in den neun
Kapiteln
seines Buches "Der Ego-Tunnel" unternimmt er es, seinen Lesern diese
Bewusstseinsrevolution nahe zu bringen. Der Begriff des Ego-Tunnels ist
dabei
die zentrale Metapher, mit welcher der Autor das Phänomen des
Bewusstseins zu
erklären versucht. In Metzingers Worten: "Bewusstes
Erleben gleicht
einem Tunnel. Unser bewusstes Wirklichkeitsmodell ist eine
niedrigdimensionale
Projektion der unvorstellbar reicheren und gehaltvolleren
physikalischen
Wirklichkeit, die uns umgibt und uns trägt. Aus diesem Grund
ist der
kontinuierlich ablaufende Vorgang des bewussten Erlebens weniger ein
Abbild der
Wirklichkeit als vielmehr ein Tunnel durch die Wirklichkeit. Durch die
Einbettung unseres Selbstmodells in das Weltmodell wird ein Zentrum
geschaffen.
Dieses Zentrum ist das, was wir als unser Selbst erleben, das Ego. Wir
leben
unser bewusstes Leben im Ego-Tunnel."
Zu Anfang seiner Ausführungen im ersten Kapitel definiert der
Autor den Begriff
Bewusstsein als das Erscheinen einer Welt. Und weiter: "Bewusstsein
ist
eine neue Art von Organ." Zum besseren Verständnis
zieht er recht
anschauliche Vergleiche heran, indem er die Funktionsweise des
Bewusstseins
beispielsweise mit der Funktionsweise eines Flugsimulators vergleicht.
Überhaupt
ist Anschaulichkeit bei Thomas Metzinger Trumpf,
Unverständlichkeit bleibt
weitgehend außen vor. "Der Ego-Tunnel" sollte ja auch nach
eigenem
Bekunden des Autors ein eher populärwissenschaftliches Buch
werden und keine
Fachpublikation für Neurowissenschaftler oder Philosophen. Und
Metzinger bewegt
sich auch mit erstaunlicher Trittsicherheit im Terrain des
Allgemeinverständlichen,
wenn auch den Lesern manchmal schwindeln mag angesichts der fantastisch
anmutenden Ausblicke, die Metzinger in die Zukunft wirft.
In den weiteren Kapiteln werden dann unter Anderem folgende Themen
diskutiert:
die Einheit des Bewusstseins, also die Integration verschiedener
Bestandteile in
ein Ganzes; das Phänomen außerkörperlicher
Erfahrungen, das man heute bereits
durch eine elektrische Stimulation des rechten Gyrus angularis
experimentell
hervorrufen kann. Das Thema der Willensfreiheit nimmt einen breiten
Raum ein,
wobei der Autor die Ansicht vertritt, dass Determinismus und ein freier
Wille
sehr wohl miteinander vereinbar sind. Das fünfte Kapitel
befasst sich mit dem
Phänomen des Traumes, der ja auch eine Form von Bewusstsein
darstellt, und hier
lenkt Thomas Metzinger sein besonderes Augenmerk auf das luzide
Träumen, was
bedeutet, dass der Träumende sich der Tatsache bewusst ist,
dass er träumt,
mehr noch, der Träumende verfügt zudem noch
über seine Willens- und
Handelnsfreiheit. Die Funktionsweise von
Spiegelneuronen
wird im sechsten Kapitel erläutert, und ganz futuristisch wird
es dann im
siebten. Es geht dort um die Erschaffung eines künstlichen
Bewusstseins auf
nicht biologischer Basis. Metzinger hält es nicht nur
für möglich, sondern für
wahrscheinlich, dass eines gar nicht mehr so fernen Tages die
Konstruktion sich
selbst bewusster Maschinen gelingen wird, eine Überzeugung,
die ich nicht so
ganz teilen kann. Ich habe doch einige Schwierigkeiten mit der
Vorstellung, "dass
die erste nicht mehr rein biologische Form von bewusstem
Ichgefühl in einer
postbiotischen Ego-Maschine realisiert wird." Etwas weit
hergeholt und
wie aus einem Science-Fiction-Roman zitiert,
erscheint mir das fiktive
Gespräch zwischen einem Menschen und dem postbiotischen
Philosophen, einer
bewussten und denkenden Ego-Maschine.
Die Quintessenz aus all der modernen
Bewusstseinsforschung
ist
folgende: Wir
Menschen sind selbstlose Ego-Maschinen, wir haben nicht nur keine Seele
oder
etwas Vergleichbares, wir haben nicht einmal ein Selbst. Und die
Evolution
unseres Gehirns und unseres Bewusstseins lief auch nicht zielgerichtet
ab,
sondern basierte auf rein zufälligen Ereignissen. Und der
Autor vermutet gar,
dass die Toleranz in unserer westlichen Kultur gegenüber
Leuten, die noch an
eine Seele oder an ein Leben nach dem Tod glauben, immer weiter
schwinden wird.
Dass diese Entwicklung Gefahren birgt, das sieht Thomas Metzinger sehr
wohl: "Nachdem
die Neurowissenschaften nun das jüdisch-christliche Bild vom
Menschen als einem
Wesen mit einem unsterblichen Funken des Göttlichen
unwiderruflich aufgelöst
haben, beginnen wir zu erkennen, dass sie nichts anzubieten haben, was
das
entstandene Vakuum füllen, die Gesellschaft zusammenhalten und
eine gemeinsame
Grundlage für moralische Intuitionen und Werte liefern
könnte. Dies ist eine
gefährliche Situation."
Diese immer wieder anklingende Hybris des Wissenschaftlers, dieses ein
wenig zu
protzig auftrumpfende Autoritätsgehabe des Autors ist das
Einzige, was mich an
diesem ungemein lesenswerten Buch etwas gestört hat. Und die
Frage ist ja auch,
wann die stetig weiter schreitende Forschung das Buch eingeholt hat und
seine
Thesen zerpflücken wird, um neue Erkenntnisse auf den Punkt zu
bringen, über
dem sich dann aber auch bald wieder ein bohrendes Fragezeichen erheben
wird. Ein
Hintertürchen lässt Thomas Metzinger der
Seele übrigens doch noch offen,
versteckt quasi in den Anmerkungen am Schluss des Bandes: "...
und
selbst wenn meine Hypothese über die Geschichte des Begriffs
der Seele richtig
ist -, ist es nach wie vor logisch möglich, dass Seelen
existieren. Und es
bleibt immer möglich, dass wir eines Tages einen neuen Sinn
entdecken, in dem
die Seele alles andere als ein leerer Begriff wäre."
Trotz dieses trostvollen Gedankens wird das Buch sicher bei manch einem
Leser
ein beklemmendes Gefühl hinterlassen. Egal wie man es mit der
Spiritualität
oder Religiosität halten mag, ein lesenswertes Buch ist Thomas
Metzingers
"Ego-Tunnel" in jedem Fall. Zu erwähnen wäre dann
noch, dass Thomas
Metzinger sein Buch zunächst auf Englisch verfasst hat. Dies
ist also eine Rückübersetzung
ins Deutsche.
(Werner Fletcher; 09/2009)
Thomas
Metzinger: "Der Ego-Tunnel. Vom Mythos des Selbst zur Ethik des
Bewusstseins"
Übersetzt von Thomas Metzinger und Thorsten Schmidt.
Berlin Verlag, 2009. 382 Seiten.
Buch
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Thomas
Metzinger, geboren 1958
in Frankfurt am Main, lehrt Theoretische
Philosophie an der Universität Mainz, leitet dort den
Arbeitsbereich Neuroethik und gilt weltweit als einer der
profiliertesten Philosophen des Geistes. Neben zahlreichen
Fachaufsätzen und Fachbüchern schreibt er
regelmäßig Beiträge für eine
breite Leserschaft von Magazinen und Zeitungen. "Der Ego-Tunnel" ist
sein erstes Buch für ein breites Publikum. Wolfgang Prinz: "Selbst im Spiegel" Georg
Northoff: "Die
Fahndung nach dem ICH. Eine neurophilosophische Kriminalgeschichte"
Weitere Buchtipps:
Maryanne
Wolf: "Das
lesende Gehirn. Wie der Mensch zum Lesen kam - und was es in unseren
Köpfen
bewirkt"
Wie hat die Menschheit das
Lesen gelernt? Und wie lernen Kinder lesen?
Was
geschieht in unseren Gehirnen, wenn wir uns diese Kulturtechnik
aneignen? Wie
werden aus den kleinen schwarzen Schnörkeln in unseren
Köpfen Bilder,
Vorstellungen, Gefühle und fremde Welten? Was bedeutet Lesen
für unsere
individuelle Entwicklung - nicht nur in unserer Kindheit, sondern unser
ganzes
Leben hindurch -, und in welcher Wechselwirkung stehen Lesen und
Schreiben mit
Kultur und Zivilisation? Was können wir aus
Lese-Rechtschreib-Schwächen über
die Prozesse im Gehirn lernen? Sind wir, was wir lesen?
Lesen ist ein großes Thema - und eines, das bislang
neurowissenschaftlich noch
kaum für eine größere
Öffentlichkeit aufgearbeitet worden ist. (Spektrum
Akademischer Verlag)
Buch
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Anna
Trökes, Bettina Knothe: "Yoga-Gehirn. Wie und warum Yoga
auf unser
Bewusstsein wirkt"
"Yoga-Gehirn" ist zweifellos ein Meilenstein, insofern erstmalig der
Versuch unternommen wird, zentrale Begriffe des Yoga auf ihre
naturwissenschaftliche Relevanz hin "abzuklopfen". Wo gibt es
Überschneidungen
in den Kernaussagen der "Yoga-Sutras" von
Patanjali mit den neuesten
Erkenntnissen der Hirn- und Bewusstseinsforschung? Wie und warum wirkt
Yoga? Was
ist Bewusstsein? Wie funktioniert Wahrnehmung?
Wie manifestiert sich Yoga-Praxis
im Gehirn? Wie wirkt sie sich auf die Neuro-Plastizität und
auf die
neuromodulatorischen Kreisläufe in der Gesamtheit des
Körpers aus? Wie können
also neue positive und heilsame neuronale Verknüpfungen
geschaffen werden? Dass
wir unseren selbstgeschaffenen leidvollen psychischen und mentalen
Mustern nicht
mehr bedingungslos ausgeliefert sind, hat schon Patanjali gezeigt.
Bereits vor
2000 Jahren gab er uns mit den Yoga-Sutras ein wirkungsvolles
Instrumentarium an
die Hand. Wie und warum es wirkt, erfahren wir heute aus den
Forschungen der
Neurowissenschaften. Yoga und Bewusstseinforschung sagen
übereinstimmend, dass
wir uns als Persönlichkeit immer wieder neu definieren
dürfen. Gibt es dennoch
ein unhinterfragbares Ich-Bewusstsein? Die Hirnforscher sind ihm bis
jetzt noch
nicht auf die Spur gekommen. Vielleicht bietet uns der Yoga mit seinen
Konzepten
von Ich und Selbst ja eine lebbare Ebene, die es uns erlaubt, zwischen
den
Extremen unserer eigenen Ich-Perspektive und dem Postulat des Fehlens
dieser
zentralen Ich-Instanz umzugehen? Spannende Fragen, denen die beiden
Autorinnen
auf kompetente und anregende Weise nachgehen und des Lesers Horizont
erweitern.
(O.W. Barth)
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Die soziale Konstruktion von Subjektivität
"Der Mensch ist eine Maschine, die ihre Lebenswelt kollektiv erfindet."
Wie ist der menschliche Geist aufgebaut? Wie entsteht Subjektivität? Wie funktioniert Denken? Und was hat es mit dem ominösen freien Willen auf sich? Fragen wie diese beschäftigen seit jeher die Philosophie, aber auch die Psychologie. Wolfgang Prinz, einer der herausragenden Vertreter dieses Fachs, legt nun mit "Selbst im Spiegel" eine Theorie des Geistes vor, die den traditionellen kognitionspsychologischen Rahmen maßgeblich erweitert und zahlreiche Anknüpfungspunkte zur
Philosophie, zu den Neurowissenschaften und zu den Sozialwissenschaften bietet.
Kraftzentrum des Buches ist die These, dass der individuelle menschliche Geist ein radikal offenes System ist, das keineswegs "fertig" auf die Welt kommt. Seine Architektur und seine zentralen Funktionen müssen erst geschaffen und geformt werden - und zwar von ihm selbst in Interaktion mit anderen geistbegabten Wesen. Prinz zeigt, wie angeborene Repräsentationsmechanismen und soziale Praktiken - Spiegelsysteme und Spiegelspiele - zusammen ein mächtiges Instrument bilden: zur Abstimmung einzelner geistbegabter Wesen aufeinander, aber auch zur Gestaltung des eigenen Geistes nach dem Vorbild Anderer.
Erst im Spiegel der Anderen sehen und verstehen wir, was Denken und Handeln ist. Erst nachdem wir Subjektivität bei Anderen entdeckt haben, schreiben wir sie uns selbst zu. Sie ist ein soziales Artefakt - ebenso wie der freie Wille und andere Überzeugungen
über den menschlichen Geist. Dass sie gleichwohl keine Illusionen sind, sondern ebenso real wie Naturtatsachen, ist eine der Pointen dieser bahnbrechenden Untersuchung.
Wolfgang Prinz, geboren 1942, ist emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig sowie Honorarprofessor an den Universitäten München und Leipzig. Er wurde u.A. mit dem "Leibniz-Preis" der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem "Oswald-Külpe-Preis" ausgezeichnet. (Suhrkamp)
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Gibt es ein ICH, ein Selbst? Ist das ICH das, was uns erst beseelt?
Gibt es
einen freien Willen? Der Neurowissenschaftler und Philosoph Georg
Northoff geht
genau diesen Fragen nach. Eingewoben in einen kriminalistischen Rahmen,
schreibt
er das ICH zur Fahndung aus und schickt seine zwei Ermittler, einen
Hirnforscher
und einen Philosophen, los, um den Fall zu lösen. Dabei steht
der Tatort fest: das
menschliche Gehirn. Dies führt zu weiteren Fragen,
nämlich, ob man den
religiösen
Glauben in Zusammenhang mit bestimmten
Aktivitäten im Gehirn
bringen kann oder wie unser Selbst im Kontext von Emotionen zu sehen
ist.
Kurzweilig und fundiert werden die neuesten Erkenntnisse der
Hirnforschung präsentiert
und philosophisch hinterfragt. Dieser besondere Perspektivenwechsel
erlaubt es,
die in der gegenwärtigen Diskussion stattfindende starre
Grenzziehung zwischen
Philosophie und Neurowissenschaft endlich zu durchbrechen.
Die Menschheitsfrage nach dem ICH beleuchtet aus Sicht der Philosophie
und der
Neurowissenschaften.
Neue Methodik: Die Neurophilosophie verknüpft philosophische
Konzepte mit den
empirischen Daten aus der Hirnforschung.
Georg Northoff gehört weltweit zu den wenigen
Wissenschaftlern, die eine
interdisziplinäre Kombination aus Psychiatrie, Philosophie und
Neurowissenschaften vertreten. (Irisiana)
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