Umberto Eco: "Die Kunst des Bücherliebens"
Liebe Bücher
"Ein Buch ist unersetzbar. Was in ihm 'drinsteht', kann man
vielleicht auch anders mitteilen, doch jeder wirkliche Leser
weiß, dass ihm sein Lieblingsbuch nur in der Form etwas
bedeutet, wie es bei ihm im Schrank steht" (Klappentext) -
das ist eigentlich das Credo des vorliegenden Buches und jedes
Bücherliebhabers - eine Spezies, die sich ja bekanntlich auch
"Büchernarr" titulieren lässt. Und wer
möchte ernsthaft bestreiten, dass mit dem Medium Buch "eine
ganze Kultur auf dem Spiel" steht - gerade auch wenn man auf
dem Titel einen Blick in die altehrwürdige
'Biblioteca de la Real Academia de la Lengua' in Madrid werfen darf.
Wir haben es hier mit einer Sammlung von Vorträgen zu tun, in
denen Eco das Buch als eine Art Gedächtnis definiert, durch
welches ein Individuum quasi überlebt: "Das Buch ist
eine Lebensversicherung, eine kleine Vorwegnahme der Unsterblichkeit."
Wir leben heute in der widersprüchlichen Situation, dass immer
weniger gelesen wird, die Anzahl der Bücher aber eskaliert. "Drucken
jetzt praktisch alles", könnte man mit Leopold Bloom
seufzen, der am Morgen mit seiner Zeitung im Klohäuschen
seines Gartens sitzt (vgl. James Joyce,
Ulysses).
Jedenfalls scheut sich Eco nicht zu empfehlen: "Also, wenn
Sie vor der Erfahrung des Lesens noch ein bisschen
zurückscheuen sollten, fangen Sie ruhig damit an,
Bücher auf der Toilette zu lesen. Sie werden entdecken, dass
auch Sie eine Seele haben." Das ist freilich eine
Provokation, die sitzt!
Bücher können nüchterne Arbeitsmittel sein
oder kostbare Liebhaberstücke - beiden gehört eine
bestimmte Art Bibliophilie - man schätzt den Inhalt, man
schätzt die Aufmachung. Irgendwie hat der
bücherverliebte Leser oder Sammler immer das Gefühl,
etwas Besonderes vor sich zu haben - manchmal sogar etwas
Singuläres. Eco erläutert uns die Entwicklungsstufen
von der Bibliophilie zur Bibliomanie, welche in einer Art
"Büchervergraben" in der eigenen Bibliothek münden
kann, die dann schon verwandt ist mit dem Biblioklasmus - der
Bücherzerstörung, welche bedeuten kann, dass man
Bücher aus Nachlässigkeit verkommen lässt
oder sie mutwillig, quasi "fundamentalistisch" zerstört wie
bei der Bücherverbrennung.
Für Eco ist eine Bibliothek "ein lebendiger
Organismus mit eigenem Leben", und sie ist ein "Ort
des universalen Gedächtnisses". Und er
erläutert uns, dass es eigentlich keine dümmere Frage
gibt als die eines Besuchers an den Besitzer einer Bibliothek: "Haben
Sie die schon alle gelesen?" Denn im Grunde sucht der Liebhaber die
Gesellschaft der Bücher, welche er womöglich sogar
der vieler Menschen vorzieht. Und er stellt mit Recht und einer
gewissen Ironie die Frage, ob man sich denn in eine CD-ROM
oder ein E-Book genauso "verlieben" könne
wie in ein Buch?! Eco hat uns ein wunderbares Zitat über
Bücher ausgegraben, nämlich von Richard de Bury
(Philobiblon, 1344): "Wir betrachten in ihnen, wie in einem
Spiegel der Ewigkeit, die Dinge, die sind, und die Dinge, die nicht
sind." Kompakter lässt es sich wahrlich nicht
artikulieren, wenn wir dabei an die Spannweite von wissenschaftlichen
Büchern und Literatur denken.
Im Mittelteil des vorliegenden Bandes beschreibt Eco seine Begegnung
mit für ihn besonderen Büchern respektive
Handschriften gerade auch unter dem Gesichtspunkt der
Ästhetik, wie etwa dem "Book of Lindisfarne" oder den
"Très Riches Heures" oder das "Amphitheatrum Sapientiae
Aeternae". Gerade die älteren Bücher sind
für ihn Kunstwerke, die "zu tausend verschiedenen
Lesarten der Fantasie ermuntern." So wird ihm gerade ein
mittelalterliches Buch zu einem Hortus Deliciarum.
Ein gefährliches Gebiet für jeden Bibliophilen ist
der Bereich, den Antiquare in ihren Katalogen mit "Varia et
Curiosa" betiteln, weil man sich hier in allzu viele
unerwartete Entdeckungen verlieren kann. Ein kleines Kapitel geht hier
‚Über die literarischen Narren‘, wobei Eco
"Les fous littéraires" von Gustave Brunet
aus dem Jahre 1880 als das berühmteste antiquarische Werk
dieses Genres bezeichnet. Brunet ging nebenbei bemerkt mit der
Klassifizierung "verrückt" sehr großzügig
um und nannte auch Autoren wie Sokrates, Newton und Whitman.
Ein weiteres Kapitelchen widmet Eco den 'Autoren der Vierten
Dimension', worunter er diejenigen versteht, die auf eigene Kosten
publizieren. Auch von diesen "tragisch Unverstandenen"
könnte man inzwischen einen eigenen antiquarischen Markt
aufmachen. Aber wie tröstlich soll es denn sein zu erfahren,
dass auch Werke von später berühmt gewordenen Autoren
anfangs abgelehnt wurden:
Proust,
Melville,
Orwell,
Faulkner, Wells usw.!? Etliche dieser Autoren haben es zu Weltruhm
gebracht, andere rangieren weiterhin unter "Varia et Curiosa"
- wer letztendlich darüber entschieden hat, weiß man
nicht mehr so genau. So mancher Aufsatz im vorliegenden Band
gerät
etwas zu
spezifisch-wissenschaftlich, auch ist nicht einzusehen, was hier ein
Text über die Bacon-Shakespeare-Kontroverse zu suchen hat -
und der abschließende
'Innere
Monolog eines E-Books' erscheint auch nur gebremst originell.
Alles in allem ist das vorliegende Buch eher ein Kompendium mit
mühsam zusammengewürfelten Bestandteilen, von denen
nur einige wenige für ein größeres
Leserpublikum interessant sein dürften. Die "Liebe zum Buch"
wird von dem hier vorgelegten nicht unbedingt gefördert!
(KS; 02/2009)
Umberto
Eco: "Die Kunst des
Bücherliebens"
Übersetzt von Burkhart Kroeber.
Hanser, 2009. 197 Seiten.
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Candida Höfer: "Bibliotheken"
Bibliotheken sind - ganz offensichtlich - magisch anziehende Orte:
Kathedralen
des Wissens, Tempel der Weisheit, Oasen der Stille ...
Auch die nüchternste, funktionalste Architektur durchweht noch
ein Hauch
sakraler Feierlichkeit, ganz zu schweigen von den prächtigen
Klosterbibliotheken des Barock, den Bücherspeichern
altehrwürdiger Universitäten
oder den Studienkabinetten aufgeklärter Fürsten.
Candida Höfer "sammelt"
seit ihren Anfängen Mitte der 1970er-Jahre
öffentliche Räume: Museen, Foyers,
Ausstellungshallen, Vorlesungssäle - und immer wieder
Bibliotheken. Diskretion
ist das Markenzeichen ihrer Fotografie. Und so kommen Menschen
praktisch nicht
vor in ihren Bildern von Bibliotheksräumen in Europa und den
USA, darunter die
"Bibliothèque nationale de France", der "Escorial", die
"Pierpont Morgan Library" in New York, die "Villa Medici" in
Rom und die Weimarer "Anna Amalia Bibliothek" vor dem verheerenden
Brand. Die 137 Farbtafeln werden begleitet von einem Essay des
italienischen
Autors und Philosophen Umberto Eco. Im Zusammenklang von Bildern und
Text ist
das Buch ein Fest für Bücherliebhaber, ein bis an den
Rand gefülltes "kunstvolles"
Gefäß für alle, die mit Büchern
leben. (Schirmer / Mosel)
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Estelle Ellis, Caroline
Seebohm, Christopher Simon Sykes (Fotos):
"Mit Büchern leben. Buchliebhaber und ihre Bibliotheken"
"Mit Büchern leben" stellt 40 Bibliotheken und ihre Besitzer
vor: Bücherliebhaber,
die sich über ihre zwanghafte, verzehrende Besessenheit
definieren, ihre
Buchbestände unablässig zu mehren. Bücher
sind Sinn und Inhalt ihres Lebens,
Bücher bestimmen ihre Interessen, Berufe und Wertvorstellungen.
Der ausführliche Anhang wurde für diese Sonderausgabe
vollständig überarbeitet.
Er ist eine Fundgrube und enthält die ersten Adressen
für: Antiquariate und
Auktionshäuser, Antiquariatsmessen, Buchbinder und
Restauratoren,
Bibliothekseinrichtung, Beleuchtung, Accessoires und Zubehör
sowie künstlerische
Buchobjekte in Deutschland, Österreich, der Schweiz,
Großbritannien und den
USA. (Gerstenberg Verlag)
Buch
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Leseprobe:
Innerer Monolog eines E-Books
Bis vor kurzem wußte ich nicht, was ich war. Ich bin leer
geboren, wenn ich
mich so ausdrücken darf. Ich konnte nicht einmal "ich" sagen.
Dann
ist etwas in mich eingeströmt, ein Fluß von
Buchstaben, ich fühlte mich voll
und fing an zu denken. Natürlich habe ich das gedacht, was in
mich eingeströmt
war. Ein wunderschönes Gefühl, denn ich konnte
entweder als Ganzes spüren,
was ich in meinem Gedächtnis hatte, oder es Zeile für
Zeile durchgehen oder
von einer Seite zu einer anderen springen. Der Text, der ich war,
hieß "Vom
Buch zum E-Book". Es war ein
Glücksfall, daß jemand, ich muß ihn wohl
meinen Benutzer
oder Besitzer nennen, gerade diesen Text in mich eingegeben
hatte, aus dem ich so viele Dinge über das, was ein Text
ist, gelernt habe. Hätte er mir etwas anderes eingegeben (ich
habe aus meinem Text gelernt, daß es Texte gibt, die sich
nur,
wenn man so sagen kann, mit dem Lob des Todes befassen), dann
würde ich etwas anderes denken und vielleicht jetzt
glauben, ich wäre ein Sterbender oder
ein Grab. So aber
weiß
ich, daß ich ein Buch bin und was ein Buch ist. Ich
bin etwas Wunderbares: Ein Text ist ein Universum, und
- soviel ich verstanden habe - ein Buch wird zu dem Text, den
man auf seinen Seiten gedruckt hat. So ist es jedenfalls bei den
traditionellen Büchern, deren detaillierte Geschichte mein
Text erzählt. Die traditionellen Bücher sind
Versammlungen von
soundso vielen Papierbögen, und ein Buch, in das,
sagen wir, die Odyssee gedruckt worden ist (ein altgriechisches Epos,
von dem ich aber nicht genau weiß, was es erzählt),
denkt
und lebt alles, was in der Odyssee geschieht und gesagt
wird. Es lebt es sein ganzes Leben lang, und das kann sehr lange sein,
es gibt
Bücher, die fast fünfhundert Jahre alt sind.
Natürlich können die Benutzer dieses Buches auch
Randnotizen
hineinschreiben, und dann - stelle ich mir vor - denkt
das Buch auch diese. Ich weiß nicht, was mit einem Buch
geschieht, in dem etwas unterstrichen worden ist, ob es dann
die unterstrichenen Sachen intensiver denkt oder einfach nur
zur Kenntnis nimmt, daß diese Zeilen seinen Benutzer
besonders
interessiert haben. Ich stelle mir auch vor, daß ein
Buch, das vierhundert Jahre alt ist und oft den Benutzer gewechselt
hat (aus meinem Text entnehme ich, daß die Benutzer der
Bücher sterblich sind und in jedem Fall kürzer leben
als
ein Buch), daß ein so erfahrenes Buch die Hand seiner
verschiedenen
Leser erkennen kann und ihre verschiedenen Arten,
den Text zu lesen und zu interpretieren. Vielleicht gibt es
Leser, die an den Rand schreiben "Das ist ja bestialisch!", und
ich weiß nicht, ob sich das Buch dann beleidigt
fühlt oder eine
Gewissensprüfung vornimmt. Es wäre schön,
wenn eines
Tages jemand einen Text schreiben würde, in dem
erzählt wird,
wie das Innenleben eines Buches ist.
Einen schrecklichen Text in sich zu tragen muß für
ein Buch aus
Papier eine Hölle sein, stelle ich mir vor. Wie mag das Leben
eines Buches sein, das eine unglückliche
Liebesgeschichte
erzählt?
Ist das Buch dann auch unglücklich? Und wenn
sein Text eine Sexgeschichte erzählt, fühlt es sich
dann ständig
erregt? Ist es schön, nie aus dem Text austreten zu
können,
den man gedruckt in sich trägt? Vielleicht ist das Leben
eines Papierbuches wunderschön, denn es konzentriert sich
sein Leben lang ganz auf die Welt seines Textes und lebt,
ohne zu zweifeln, ohne an all das zu denken, was außerhalb
von
ihm geschehen könnte - und vor allem ohne den Verdacht,
daß es womöglich andere Texte gibt, die dem seinen
widersprechen
könnten.
Ich weiß nicht, warum ich aus dem Text, den
man in mich eingespeist hat, erfahren habe,
daß ich ein E-Book bin, ein elektronisches Buch,
dessen Seiten über einen Bildschirm laufen. Mir
scheint, ich habe einen größeren Speicherplatz als
Papierbücher, denn
ein Papierbuch kann zehn, hundert oder auch
tausend Seiten haben, aber viel mehr nicht. Ich dagegen könnte
sehr viele Texte beherbergen, alle auf einmal. Ich weiß
allerdings
nicht, ob ich sie alle auf einmal denken könnte oder nur
einen nach dem anderen, je nachdem, welchen mein Benutzer aktiviert.
Immerhin habe ich außer den Texten, die in mich
eingespeist werden, auch noch ein inneres Programm, ein
- sozusagen - eigenes Gedächtnis. Wer ich bin, begreife ich
nicht nur durch den Text, den ich gerade beherberge, sondern auch
durch die Natur meiner inneren Stromkreise. Also ich
meine ... ich kann es nicht so gut ausdrücken, aber es ist,
als
könnte ich aus dem Text, den ich beherberge, hinausspringen
und
sagen: "Sieh an, wie kurios, ich beherberge diesen Text!"
Ich glaube nicht, daß ein Papierbuch das tun kann, aber
wer weiß, ich nehme an, ich werde wohl nie Gelegenheit haben,
mit einem Papierbuch einen Dialog zu führen. (...)