Oswald Auer: "Dostojewskis Räume"

Zeichnungen


Wer an Dostojewski einen Narren gefressen hat, der wird sich immer wieder intensiv mit seinen Romanen und Erzählungen auseinandersetzen und die Handlungsorte vor seinem geistigen Auge haben. Oswald Auer erzählte anlässlich der Präsentation seines Buches im "JesuitenFoyer", dass Dostojewski eigentlich nie Landschaften oder überhaupt die Natur schildert, sondern sich auf Räume konzentriert, die sich auf ein bestimmtes Gebiet ausdehnen oder begrenzen.

Die vom Künstler gefertigten Bilder zeigen Räume ohne Menschen. Doch durch die Bilder im Bild (welche etwa auch Dostojewski selbst zeigen) vermitteln diese Artefakte keineswegs einen kalten, entmenschlichten Eindruck. Auer hat sich von Fotos des Arbeits- und des Sterbezimmers von Dostojewski inspirieren lassen. Fotos sind das Ausgangsmaterial, aus dem schließlich mittels einer sehr aufwändigen, heutzutage sehr selten praktizierten Technik (Mezzotinto-Verfahren) die Kunstwerke entstehen.

Den Bildern ist, und darauf wies der Künstler auch hin, nicht anzusehen, wie schwierig der Schaffensprozess war. Tatsächlich gibt es zwei Fragen, die sich dem Betrachter aufdrängen:
Wieso hat der Künstler ausgerechnet diese aufwändige Technik gewählt?
Und weshalb Dostojewski?

Die Antworten hängen natürlich miteinander zusammen. Zumindest kann sich dies dem Betrachter der Bilder aufdrängen. Dostojewski schrieb seine Romane und Erzählungen in rasendem Tempo. Von Leichtigkeit kann aber keine Spur sein. Wer seine Briefe und Aufzeichnungen etwa seiner Tochter und seiner Frau kennt, weiß, wie sehr er sich oft mit seinem Schreiben quälte. Die Bilder sind also da und laden dazu ein, in ihnen zu versinken. Eine leichte Aufgabe. Anders der Künstler, der sein Herzblut in die Entwicklung dieser Bilder steckte.

Der Aufwand war vielleicht so groß wie das Schreiben einer längeren Erzählung oder eines kürzeren Romans, wer weiß. Eine Zeittafel im Buch gibt darüber Auskunft, dass die Bilder im Laufe von sieben Jahren entstanden sind.

Dostojewski mag sich dem Künstler aufgedrängt haben, weil er Räume so gut darzustellen vermochte. Menschen gehen in Zimmern umher, oft ganze Nächte lang, Menschen gehen spazieren, Menschen diskutieren endlos lange in Räumen.

Der Raum, wo der Künstler seinen Lebensmittelpunkt hat, und der Raum, den der Künstler mehr oder weniger erfindet: Sind das zwei Seiten derselben Medaille? Ich sage ja, weil der Künstler nur darstellen kann, was er selbst als herzeigbar definiert. Auch wenn der fiktionale Raum noch so hässlich sein sollte, ist er mehr als nur eine Ahnung des "Erfinders". Autorinnen und Autoren mögen einen Hang zum tragischen Moment haben, doch das Leben ist meist noch tragischer. Ähnlich mit dem fiktionalen Raum, dessen Ausprägung mit einem realen Raum nicht verglichen werden sollte. Der fiktionale Raum kann nur erschaffen werden, weil der reale Raum erfahren wurde. Gerade die kleinen Abweichungen zwischen der Vorstellung eines realen Raums, welcher dann also gemeinhin als fiktionaler Raum geschildert ist, und der Ausprägung des realen Raums sind mehr als nur dichterische Fantasie. Hier entsteht eine Verbindung zwischen zwei Räumen, die wie zwei komplett verschiedene Welten sind. Die eine Welt kann ohne die andere nicht sein, und genau dies könnte in die Bilder hineininterpretiert werden. Muss es aber nicht. Warum nicht einfach die Bilder wirken lassen?

Und die Bilder erzielen eine erstaunliche Wirkung im Kopf des Betrachters, zumindest in jenem des Schreibers dieser Zeilen. Über die Wirkungen in anderen Köpfen kann er nur spekulieren.

Wollen Sie Bilder in sich wirken lassen? Sind Sie bereit, einen fiktionalen Raum zu betreten, der aus einem realen Raum gespeist ist? Oder wollen Sie sich dem Raum eines Freundes von Oswald Auer widmen, der, aus verschiedenen Blickwinkeln gesehen, ganz andere innere Bilder erzeugen mag? Bilder und Räume, Räume und Bilder ...

Ich räume einmal das Feld und bilde mir ein, dass die aufwändig produzierten Bilder von Oswald Auer für sich sprechen und keiner Erklärung bedürfen. Jetzt wundert mich nur, dass ich mir eingebildet habe, es wäre möglich, dieses gleich zu Ende besprochene Buch zu rezensieren. Ach, und jetzt habe ich es sogar geschafft. Fehlt nur noch der Hinweis darauf, dass ich Ihnen dieses Buch anempfehle! Nachdem dies erledigt ist, kann ich die Bilder des Buches in jenem Raum wirken lassen, in dem diese Zeilen entstanden sind, oder aber einen anderen Raum wählen. Vielleicht sogar einen Raum, der in die Welt hinausgeht.

(Jürgen Heimlich; 07/2009)


Oswald Auer: "Dostojewskis Räume. Zeichnungen"
Passagen Verlag, 2009. 64 Seiten.
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Oswald Auer, geboren 1970 in Bruneck/Brunico, lebt in Wien als freischaffender Künstler.

Noch ein Buchtipp:

Eckhard Henscheid: "Dostojewskis Gelächter. Die Entdeckung eines Großhumoristen"

"Meine Herrschaften, Sie dürfen alles für einen Scherz halten." (Dostojewski, "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch")
Als Mystiker und Menschheitsproblematiker, Ersatzchristus, Russlanderneuerer, Verbrechensbekämpfer hat man Fjodor Michailowitsch Dostojewski jahrzehntelang gesehen und vereinnahmt. Doch wer war der große Russe wirklich? Nicht undenkbar, dass der Klassiker unter den Dichtern und Briefeschreibern im deutschsprachigen Raum bislang völlig falsch verstanden wurde. Weithin vergessen jedenfalls ist das besonnene und beinahe revolutionäre Wort Thomas Manns, in diesem Schwer-Romancier könne man einen "ganz großen Humoristen" erkennen - bei dem es vor allem eins gibt: viel zu lachen.
Eckhard Henscheid macht sich daran, diesem Missstand abzuhelfen. Eine gleichermaßen geistreiche wie unterhaltsame Streitschrift, die nichts weniger als die Revision einer hochkulturellen Großtorheit im Sinn hat. (Piper)
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