Thomas Junker und Sabine Paul: "Der Darwin-Code"
Die Evolution erklärt unser Leben
"Paläokraft"
im modernen Alltag
Über
Charles Darwin kann man derzeit viel in den Medien lesen
und hören. Feierte der große Evolutionsbiologe doch
am 12. Februar 2009 seinen 200. Geburtstag. Und auch die
Veröffentlichung seines spektakulärsten Werkes "Die
Entstehung der Arten" begeht in diesem Jahr einen runden, den 150.
Jahrestag.
Dass sich gerade dieses Werk und eine spätere
Veröffentlichung "The decent of man, and selection
in relation to sex" (1871) auch als wissenschaftlicher
Begleittext zu Bizets berühmter Oper "Carmen" lesen
lässt, hätte man dann doch nicht vermutet. Doch die
beiden Autoren des vorliegenden, äußerst
unterhaltsamen, fundierten und interessanten Buches "Der Darwin Code.
Die Evolution erklärt unser Leben" stellen nicht nur diese
gewagte These auf, sie versuchen sie auch zu "beweisen".
Warum lieben wir Hamburger, Schokolade und Pommes? Warum sind Frauen
schön? Woraus beziehen Menschen ihre Macht gegenüber
den Tieren? Warum hat Kunst solch immense Bedeutung für die
gesamte Menschheit? Dies sind nur einige Fragen, die sich der Professor
für Geschichte der Biowissenschaften und Mitherausgeber von
Darwins Briefwechsel in Cambridge Thomas Junker sowie die Molekular-
und Evolutionsbiologin Sabine Paul stellen. Obwohl die Darwin'sche
Revolution in den Naturwissenschaften bereits weit fortgeschritten ist,
hat sie in anderen Bereichen und vor allem im Bewusstsein vieler
Menschen kaum begonnen. Nun kann sicherlich die Evolutionstheorie
(noch) nicht alles erklären, aber gerade derlei
ungelöste Probleme eröffnen faszinierende neue
Forschungsfelder, von denen dieses Buch berichtet.
So vermutete bereits der Philosoph
Immanuel Kant in seinem 1786
erschienenen Werk "Metaphysische Anfangsgründe der
Naturwissenschaft", dass in der Wissenschaft vom Menschen "nur
so viel eigentliche Wissenschaft angetroffen werden kann, als darin
Evolutionstheorie anzutreffen ist". Ob diese auch bestimmte
Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen des modernen Menschen
erklären kann, dem nehmen sich die beiden Autoren an. "Viele
für Menschen typischen Eigenschaften werden erst
verständlich, wenn man sie aus der Darwin'schen Perspektive
betrachtet", sind sich die Thomas Junker und Sabine Paul
sicher. Exemplarisch zeigen sie dies in ihrem Buch und dokumentieren
damit die "Deutungsmacht einer neuen, evolutionären
Kulturwissenschaft".
Wir sind immer noch steinzeitliche Jäger und Sammler
In drei große Kapitel ist das Sachbuch gegliedert.
Im ersten Teil befassen sich Junker und Paul mit den in jedem Menschen
biologisch angelegten Verhaltensweisen, die doch vielfach fremd und
unerklärlich wirken. Dazu gehören die
größtenteils ungesunde Ernährungsweise mit
fetten, süßen und salzigen Speisen, die sexuelle
Partnerwahl, die zu einem entscheidenden Faktor in der Evolution der
Menschen wurde, und das biologisch paradox anmutende Verhalten der
modernen Selbstmordattentäter.
Der zweite Teil steht unter dem großen Leitspruch:
Geheimwaffe Kunst.
Hier wenden sich die Autoren Eigenschaften zu, "die
für Menschen charakteristisch sind und bei anderen Tieren nur
ansatzweise beobachtet werden können - der Kultur, der Kunst
und der Religion." Sie diskutieren mögliche
Selektionsvorteile dieser Eigenschaften, auch in Bezug auf das
Aussterben des
Neandertalers,
legen eine neue Theorie vor, die zeigt, warum Kunst bis heute einen
zentralen Stellenwert beim modernen Menschen einnimmt und kommen auf
die Frage zu sprechen, wie und warum die
Religion aus der Kunst
entstand.
Im letzten Kapitel begeben sie sich auf ziemlich glattes Terrain, denn
zum freien Willen und dem Sinn des Lebens trägt nach Meinung
vieler Autoren die Evolutionstheorie rein gar nichts bei. Thomas Junker
und Sabine Paul sind jedoch anderer Meinung. Sie vermuten, dass es sich
gerade andersherum verhält.
Eines vertreten beide jedenfalls mit Vehemenz: "Darwins
Theorie ist der Code, der geheime Schlüssel, der das
Verständnis vieler rätselhafter Verhaltensweisen der
Menschen erst ermöglicht. [...] Denn in unseren typisch
menschlichen Gefühlen, Gedanken und Verhaltensweisen sind wir
noch steinzeitliche Jäger und Sammler." Für
die Autoren ist die Biologie zweifelsohne "ein wichtiges
Korrektiv, wenn sie die Missachtung der menschlichen Natur durch
gesellschaftliche Vorgaben offenlegt und Menschen als biologische Wesen
versteht, die mit Gefühlen, Bedürfnissen und
Interessen ausgestattet sind, ohne deren Erfüllung sie nicht
glücklich werden können."
Fazit:
Thomas Junker und Sabine Paul haben mit "Der Darwin Code" ein
anschauliches, verständliches und durchaus
überzeugendes Buch vorgelegt, welches einige
ausgewählte Verhaltensweisen und Eigenschaften des modernen
Menschen anhand der von Charles Darwin begründeten
Evolutionstheorie vorurteilsfrei und unkonventionell zu
erklären versucht. Dabei bleibt sicher noch einiges im
spekulativen Bereich angesiedelt, aber interessant ist es allemal,
darüber nachzudenken.
Eines sollte jedoch klar sein, und darauf weisen die Autoren auch hin,
für Leser, "die wissenschaftliche Ergebnisse und
Theorien nur dann akzeptieren, wenn sie emotional gefällig,
moralisch einwandfrei und politisch korrekt sind", ist dieses
Buch nicht geeignet.
(Heike Geilen; 03/2009)
Thomas
Junker und Sabine Paul: "Der Darwin-Code. Die Evolution
erklärt unser Leben"
C.H. Beck, 2009. 224 Seiten.
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