Oliver Hilmes: "Cosimas Kinder"

Triumph und Tragödie der Wagner-Dynastie


Vom Meister, von der Meisterin, vom Meistersohn und ihren Trabanten

Wenn sich im Vorfeld der Bayreuther Festspiele wieder einmal der von den Medien gern aufgenommene Zwist zwischen Mitgliedern der umfangreichen Wagner-Sippe entlädt, so gehört dies offensichtlich ebenso dazu wie "Parsifal", "Der Ring" oder "Tristan und Isolde".
Dass Wolfgang Wagner 2008 die Leitung der Festspiele seinen Töchtern übergab, die eine aus zweiter Ehe, die andere samt Mutter und Bruder nach dem Scheitern der ersten Ehe von ihm verstoßen, ist nur eines von vielen medienwirksamen Ereignissen innerhalb der Familie. Wie Oliver Hilmes in seinem Buch aufzuzeigen vermag, war auch schon die Generation von Wolfgang Wagners Eltern für manchen Skandal gut.

Cosima Wagner, Tochter von Franz Liszt, ist Mutter von fünf Kindern: vier Töchter, ein Sohn. Die beiden ältesten Töchter Daniela und Blandine hat sie von ihrem ersten Mann, Hans von Bülow, und auch die dritte Tochter, Isolde, wird noch während dieser Ehe geboren. Allerdings lässt sich Isolde bereits eindeutig Richard Wagner als Vater zuweisen. Bei Evas Geburt sind die Eheleute Bülow schon getrennt. Siegfried kommt ehelich als Richard Wagners Sohn zur Welt.

Oliver Hilmes berichtet von den Lebenswegen dieser Kinder und knüpft damit an seine Cosima-Wagner-Biografie an, deren Lektüre jedoch nicht vorausgesetzt wird. Er erzählt davon, wie die Schwestern von der Mutter darauf eingeschworen werden, für ihren Bruder Siegfried und die Bayreuther Sache, die Halbreligion, den Kult um Richard Wagner da zu sein. Dennoch gelten die älteren Halbschwestern nicht als vollwertige Mitglieder der Familie, was Daniela verzweifelt durch besondere Treue zu kompensieren versucht, während Blandine nach ihrer Heirat mit einem italienischen Grafen nicht nur geografisch auf Distanz geht.
Sämtliche Kinder Cosimas haben mehr oder weniger tragische Biografien. Daniela ist depressiv und führt eine unglückliche Ehe; ihr Mann trennt sich schließlich von ihr. Auch Blandines Heirat erweist sich als Fehlgriff, hinzu kommen harte persönliche Verluste: Der Ehemann erschießt sich, mehrere Kinder und eine Enkelin sterben jung.
Isoldes Ehemann rebelliert gegen die totale Vereinnahmung durch den Wagner-Clan, sie solidarisiert sich mit ihm und wird von der Familie kurzerhand verstoßen. Auch ihre Ehe scheitert; sie wird nicht alt. Hätte es ihr Genugtuung gegeben, dass ihre intriganten Schwestern Daniela und Eva nach Siegfrieds frühem Tod von dessen Witwe ähnlich ausgebootet werden wie sie zuvor?
Eva heiratet sehr spät - und dann mit dem pathologischen Antisemiten und Kriegshetzer Houston Chamberlain eine umstrittene Person.
Auf dem homosexuell veranlagten Siegfried ruht nun der Zwang, die Dynastie fortzusetzen. Unter Druck von Mutter und Schwestern verehelicht er sich mit einer blutjungen, in Deutschland erzogenen Engländerin, Winifred, die bald zu einer glühenden Hitler-Verehrerin werden und die Wagners und Bayreuth tief in den braunen Sumpf treiben wird - was als hässlicher Beigeschmack bis in die heutige Zeit geblieben ist. Vier Kinder zeugt Siegfried Wagner, und auch sie sorgen für Skandale. Hier sticht Tochter Friedelind heraus, die sich während des Krieges vom nationalsozialistisch geprägten Elternhaus und von Nazi-Deutschland selbst lossagt.

Dies sind nur einige der Höhepunkte aus dem von Oliver Hilmes untersuchten Familiendrama. Es vermag aufzuzeigen, wie sehr Cosima (wesentlich mehr als ihr Mann Richard Wagner) die Kinder prägte und durch ihre Erziehung verantwortlich war für Depressionen, maßlose Selbstüberschätzung oder auch Selbstaufgabe für den Kult zunächst um den Vater, dann um den Bruder, wie die längst vorhandenen antisemitischen und rassistischen Tendenzen durch neue Familienmitglieder, Houston Chamberlain und Winifred, noch verstärkt wurden und dazu führten, dass Bayreuths Festspiele mehr oder weniger vom NS-Staat subventioniert und vereinnahmt wurden. Ein schweres Erbe.
Auch weniger bekannte Familienmitglieder, darunter die angeheirateten, werden porträtiert. Dem Leser erschließt sich, welche unvorstellbaren Forderungen an Schwiegersöhne und Schwäger, schließlich auch an die einzige Schwiegertochter beziehungsweise Schwägerin gestellt wurden, und welche Sanktionen Abtrünnige erwarteten. Hierfür sind Isolde und ihr Mann das beste Beispiel.
Der Autor nimmt wohl durchaus subtil Einfluss auf den Leser, der sich genötigt fühlt, den Clan überwiegend sehr unsympathisch zu finden. Allerdings sprechen die Abläufe und Taten durchaus für sich, sodass man Hilmes keine illegitime Einflussnahme vorwerfen kann.
Das Buch beruft sich auf eine Fülle interessanter und seriöser Quellen und enthält zahlreiche Fotos aus allen relevanten Epochen der Wagner-Dynastie. Es ist insgesamt sachlich gehalten, dabei kurzweilig zu lesen, attraktiv aufgemacht und aufgrund seines Inhaltes ähnlich spannend wie ein Krimi. Nicht nur Musikliebhaber werden es mit Begeisterung lesen, enthält es doch zahlreiche außergewöhnliche Biografien.

(Regina Károlyi; 07/2009)


Oliver Hilmes: "Cosimas Kinder. Triumph und Tragödie der Wagner-Dynastie"
Siedler, 2009. 320 Seiten.
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