Emile Cioran: "Werke"
Mit einem Nachwort von Cornelius Hell
Schreiben als Heilung
'Auf den Gipfeln der Verzweiflung' kündet dieses 'Buch der
Täuschungen' 'Von Tränen und von Heiligen' und einer
'Gedankendämmerung' - es ist ein 'Leidenschaftlicher Leitfaden'
über die 'Lehre vom Zerfall', welche die 'Syllogismen der
Bitterkeit' beinhaltet, denn das 'Dasein als Versuchung' lässt
'Geschichte und Utopie' als 'Absturz in die Zeit' vermuten. 'Die
verfehlte Schöpfung' zeugt eben 'Vom Nachteil, geboren zu sein' -
so als wäre man 'Gevierteilt' künden 'Widersprüchliche
Konturen' von der Mühsal. 'Über das reaktionäre Denken'
erschließt sich 'Der zersplitterte Fluch' als Essenz im
'Glossar'. So könnte man den Inhalt dieses Buches allein mithilfe
der Titel der abgedruckten Texte referieren - was freilich zu einem
Gutteil zunächst nur albern wäre. Allerdings haben die Titel
bei Cioran durchaus substanzielle Bedeutung und entbehren selten der
Originellität.
Im Jahr 1988 äußerte Cioran: "Das Schicksal meiner Bücher ist mir gleichgültig. Dennoch glaube ich,
dass einige meiner Unverschämtheiten überdauern werden." Im Jahr 1986 schrieb er: "Publizieren ist eine Befreiung, wie wenn man jemandem eine Ohrfeige gegeben hat." Im Jahr 1984 verriet er: "Meine
Bücher geben einen fragmentarischen Eindruck von mir, aus einem
ganz konkreten Grund: weil ich nur in Augenblicken der Entmutigung
schreibe. Wenn ich zufrieden bin, schreibe ich nicht ... Was sollte ich
dann schreiben?" Ja, es ist fast spannender, Cioran von hinten nach vorne zu lesen, man entdeckt womöglich dialektische
Entwicklungsdiagonalen.
Cioran wächst in Transsylvanien auf, fühlt sich
Marc Aurel
verwandt und beginnt mit 37 auf Französisch zu schreiben - was
für ihn "einerseits eine Befreiung ... andererseits eine fast schmerzliche Erfahrung" bedeutet. Er sieht im Leben keinen Sinn, ist vom Scheitern fasziniert und schreibt "um mich von einer Bürde zu befreien." Im Jahr 1984 erkannte er für sich: "Schreiben
ist die einzige Behandlung, wenn man keine Arzneien nimmt. Das
Schreiben allein ist eine Genesung. (...) Formulieren ist Heilung, auch
wenn man Unsinn schreibt, auch wenn man kein Talent hat. Man sollte in
der Irrenanstalt jedem Insassen Papier geben. Der Ausdruck als
Medikament."
Dabei fühlt sich Cioran der Romantik verbunden, dem Weltschmerz, den "russischen Byronisten". Er ist vom Negativen eingenommen und hat oft der "religiösen Versuchung" widerstanden. Eine zentrale Erkenntnis ist wohl die folgende: "Für mich ist jeder, der nicht Selbstmord macht, in einem gewissen Sinne prostituiert." Cioran ist beileibe kein Menschenfreund - er verachtet den Menschen eher und denkt,
"dass es besser gewesen wäre, wenn er niemals existiert hätte." Und dennoch hält er gegen seinen eigenen Fatalismus: "Jedes meiner Bücher bedeutet einen Sieg über die
Entmutigung." Mit seinen Publikationen möchte er durchaus "das Leben des Lesers wie auch immer verändern." Er selbst hat "niemals an etwas geglaubt" und "nichts ernst genommen" - aber ihn trägt 'Die Leidenschaft für das Absurde', so der Titel eines Aufsatzes, in welchem er für "die Liebe des absolut Sinnlosen" plädiert. Und an anderer Stelle ergänzt er:
"Die Tatsache, dass ich lebe, beweist, dass die Welt keinen Sinn hat."
Das sind natürlich echte Kracher, solche Sätze - in ihrer
Radikalität kaum noch zu überbieten! Höchstens noch
durch eine Sentenz wie: Die Tatsache, dass ich existiere, beweist, dass
es keinen Gott gibt! Träfe er eine solche Aussage, bewiese der
Rezensent allerdings, dass er noch radikaler als Cioran sei - ob das
sachdienlich im Sinne einer Cioran-Renaissance wäre?! Jedenfalls
spekuliert Cioran auch über den Wahnsinn, indem er sich fragt, ob
er denn "kein Entrinnen aus dem Elend des Lebens" bewirken könne. Er versteigt sich gar zu dem Wunsch: "Ich
möchte unter einer einzigen Bedingung dem Wahnsinn verfallen: wenn
ich nämlich
wüsste, dass ich ein heiterer, lebhafter und beständig
hochgemuter Irrer würde, der sich in keinerlei Grübeleien
verspönne und den keine Obsession befiele, der allerdings vom
Morgengrauen bis zum Einbruch der Nacht sinnlos lachte." Ach ja, das
Lachen ist womöglich unsere stärkste Waffe gegen die Metaphysik.
Aber was sollen wir eigentlich von einem Autor lernen, der immer wieder seine "innerliche Nichtigkeit"
und die Sinnlosigkeit des Lebens beschwört?! Da stößt
man ganz unvermittelt in dem Aufsatz 'Des Leidens satanisches Prinzip'
auf die Kernaussage: "Das einzige, was den Menschen noch retten kann, ist die Liebe"! Und er ergänzt: "Sosehr ich auch auf der Verzweiflung Höhen ringe, will und kann ich nicht auf die Liebe verzichten."
Wollte man zunächst bei Cioran das Credo der absoluten
Illusionslosigkeit vermuten,
muss man nun stutzen und zumindest auch fragen, ob die Liebe denn mehr
sei als eine Illusion?! Womöglich beweist sich diese Annahme,
indem nämlich Cioran auch sagt: "Es gibt keine Liebe, welche dich über den Ekel vor allem, was seiend und nicht seiend ist, hinwegtröstet." Dasselbe gilt quasi auch für die Reflexion:
"Jede Erkenntnis ist Verlust (...) der Erkenntnisakt vergrößert den Abstand zur Welt (...) du gelangst dahin,
dass ... alle wesen dich ekeln."
Und sozusagen recht raffiniert setzt Cioran Liebe und Erkenntnis zueinander in Beziehung: "Woher
rührt die Tiefe der Liebe, wenn nicht aus der Verneinung der
Erkenntnis? Was in der Erkenntnis seicht ist, wird in der Liebe
absolut." Das könnte man ja sozusagen auch genau umdrehen in
der Formulierung: was in der Liebe absolut scheint, ist in der
Erkenntnis doch nur seicht! Und so sieht Cioran Eros und Logos im existenziellen Kampf miteinander - wobei der "Triumph des Eros als höchster Lebensausdruck" betont wird. Allerdings stößt uns Cioran durchaus in vehemente Ratlosigkeit, wenn er schließlich sagt: "Das Leben lieben ist das größte Verbrechen." - Aber: "Wer das Leben nicht liebt, reißt unter sich eine Leere auf, die er mit nichts auszufüllen vermag." Denn: "die Erkenntnis ist leere Unendlichkeit." Für Cioran gelten als "Surrogate des Lebens": Gott, Geist, Kultur, Sittlichkeit, Geschichte. Der letzte Beweis könnte sein: "Keine Idee hat der Natur ein neues Gesetz aufgezwungen." Fast mit logischer Zwangsläufigkeit verkündet Cioran, "wie wenig ich von den großen
Philosophen zu lernen habe!" Und über allem schwebt dann noch der Satz: "Nur die Unvollkommenheit kann geliebt werden." Naja, immerhin empfiehlt uns Cioran, "poetisch und zynisch zugleich" zu sein.
Wir erleben hier die konsequente Absage an den Idealismus klassischer Prägung: "Die Idee des Wahren, Guten, Schönen? Sie gebären kein Leben ..." Und so empfindet er "Ekel angesichts alles Erhabenen"
- v.a. weil auch schon in dessen Namen so viele Kriege geführt
wurden! Spricht hier der Realist, der Fatalist, der Nihilist, der
Materialist, der Determinist?! Oder, so könnte der Rezensent auch
fragen: wie soll man Lesern ein Buch schmackhaft machen, in dem auf
über 2000 Seiten der Sinn des Lebens (und damit auch der Sinn des
Lesens?) bestritten wird?! Und Cioran liefert nicht eigentlich
Begründungen - eher schier nicht enden wollende Variationen seines
(wohlgemerkt: romantisch abgeleiteten) Ennui. Er tut dies alles
sehr eloquent unter Vermeidung jeglicher niveauloser
Wortschatzentgleisungen, wie dies so manche "moderne" Existenzkritiker
zu tun pflegen. Ein Querulant auf hohem Niveau also. Ein
Gefühlsphilosoph, den sein Geist aber nicht in Ruhe lässt.
Dessen letztes Ziel womöglich lautet: "Sterben ohne etwas aufgeben zu müssen."
Generell leidet Cioran sichtlich an seiner Einsamkeit - welche er auch
verantwortlich dafür macht, dass Menschen an Gott glauben, welcher
nur "zum Gebrauch der Geschundenen und Verzweifelten ... lanciert" werde - denn: "Ein harmonisches Geschöpf kann nicht an ihn glauben." Und so hält es Cioran mit der Musik und der Mystik als "Nimbus jeder Kultur". Schließlich bringt er das auf den Punkt: "Die
Sterblichen sprechen von Gott, um ihren Wahnsinn zu tarnen. Solange wir
uns um ihn kümmern, haben wir Ausreden für unsere
Verwirrungen. Gott? Ein anerkannter, offizieller Irrsinn."
Kultur beruht darauf, wie sehr man über den
Tod nachdenkt - und befremdlicherweise resümiert Cioran: "Je mehr ich die großen Pessimisten lese, um so mehr liebe ich das Leben." Und er fühlt sich "nicht unglücklich genug, um Dichter zu sein ... nicht gleichgültig genug, um Philosoph zu sein." Das klingt ebenso naiv wie provokant. Unser menschliches Dilemma besteht aber offensichtlich darin, "über alles bejahend und verneinend zugleich zu denken."
Uns rettet weder das 'Entweder-Oder' noch das 'Sowohl-als-Auch'. Sowie
der Geist eben seine Identität und seinen Widerspruch zugleich
entdeckt.
Und so sind auch Ciorans Texte Alles und Nichts, Vieles und Weniges,
Konkretes und Allgemeines, Persönliches und Absolutes, Komplexes
und Naives - Konglomerationen aus Essayistischem und Aphoristischem -
vieles wirkt wie Tagebuchnotizen: von spontan bis tiefschürfend -
zergrübelt, ernüchtert - scheinbar unzusammenhängend -
wie das Leben. Und irgendwie findet sich alles in der schlicht
klingenden Frage: "Wann werde ich mich an mich selbst gewöhnen?"
Das fragt sich eigentlich jeder Mensch, der zu sehr fühlt oder
denkt. Ein ungeheuer reichhaltiges Buch wird uns hier präsentiert
von einem Autor, der weder Poet noch Philosoph, weder Mensch noch Gott
sein möchte - und doch zwangsläufig von allem etwas hat.
(KS; 02/2009)
Emile
Cioran: "Werke"
Aus dem Rumänischen von Ferdinand Leopold
und aus dem Französischen von François Bondy, Paul Celan u. A.
Mit einem Nachwort von Cornelius Hell.
Suhrkamp, 2008. 2085 Seiten. Mit zahlreichen Abbildungen.
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