Eva Gesine Baur: "Chopin oder Die Sehnsucht"
Eine Biografie
George
Sand: "Er ist Musiker, nichts als Musiker."
Die Autorin Eva Gesine Baur, Dr. phil., kommt mit einem bunten
Strauß an Themen
und Veröffentlichungen daher. Als gelernte Köchin
studierte sie
Literaturwissenschaft, Psychologie, Kunstgeschichte und
Musikwissenschaften und
absolvierte auch eine Ausbildung in klassischem Gesang. Sie
veröffentlichte
einige Bücher, die mit allen genannten Themen zu tun haben, so
zum Beispiel
kulturgeschichtlich geprägte Reiseführer und
Monografien, die von Verdi über
Witzigmann bis
George Sand reichen, womit man in schon Reichweite Chopins
angelangt ist.
2010 jährt sich der Geburtstag Chopins zum 200. Mal, und das
stellt eine gute
Gelegenheit für Freunde der klassischen Musik dar, sich diesem
Ausnahmemenschen
und -künstler mittels einer umfangreichen Biografie zu
nähern.
Der französische Vater Nicolas Chopin kam in Nancy mit dem
kulturellen Erbe von
Stanislaus Leszczyński zusammen, der Mitte des 18. Jahrhunderts das
Herzogtum Lothringen regiert hatte. Daraus wuchs eine Begeisterung
für die
causa polonia, und er verließ 1788 Frankreich, um die Polen
in ihrem
Freiheitskampf gegen Russland und auch Preußen zu
unterstützen. 1806 heiratete
er die aus verarmtem Adel stammende Justyna, die 1810 Fryderyk auf die
Welt
brachte. Dieser Fryderyk wuchs recht behütet auf, wie in Watte
gepackt und vor
den politischen und sozialen Realitäten geschützt. Er
widmete sich früh dem
Klavierspiel, nahm über Jahre Privatstunden bei
Józef Elsner, bei dem er auch
ab 1826 studierte. Schon recht früh trat er in
großen polnischen Salons auf,
aber auch in Prag und Wien. Doch Paris war sein eigentliches Ziel, wo
er 21-jährig
1831 ankam.
Die Pariser exilpolnische Gesellschaft nahm ihn auf und
kümmerte sich um den
jungen Frédéric Chopin, wie er sich nun nannte.
Er erlag dem Charme der Stadt
Paris sofort, Ort des allergrößten Luxus und des
allergrößten Drecks. Die
Stadt, in der man sich amüsieren kann, sich langweilen,
weinen, alles tun kann,
was einem gefällt, "und niemand sieht dich an, weil
hier Tausende
dasselbe tun wie du". Er nahm Unterricht bei Friedrich
Kalkbrenner und
lieferte grandiose Konzerte ab, doch seine persönlichen
Ansprüche waren auch
enorm. Er erwartete selbst bei Reisen und Auslandsaufenthalten, dass er
mit
einem Instrument der Spitzenklasse "versorgt" wurde, als Pianist und
Komponist steht schließlich er der Gesellschaft zur
Verfügung, und so hat
diese auch dafür zu sorgen, dass er ungestört und
unter optimalen Bedingungen
arbeiten kann.
Das musikalische Genie benahm sich wie zahllose anderer Wunderkinder,
stellenweise kapriziös und nur auf ein Thema fokussiert. Neben
Musik und Chopin
interessierte Chopin bestenfalls noch das Schicksal Polens in diesen
schwierigen
Tagen, denn auch in seinen erfolgreichsten Pariser Zeiten ist er wohl
stets ein
wenig Pole geblieben.
Die bedeutsamste Freundschaft war die zu
George Sand, einer gegen den Strich gebürsteten und
Zigarre rauchenden
Schriftstellerin in Männerhosen und mit männlichem
Künstlernamen. Diese nicht
ganz alltägliche, aber durchaus zu Chopin passende Beziehung
dauerte zehn Jahre
und endete 1847, also zwei Jahre vor seinem frühen Tod 1849.
Daneben verkehrte
er mit vielen Exilpolen, aber auch mit Liszt, Berlioz, Heine, Balzac
und pflegte
freundschaftliche Beziehungen zu Mendelssohn Bartholdy und
Robert
Schumann
in
Deutschland.
Schon seit seinen ersten Konzertreisen galt er den Meisten als
vorzüglicher
Pianist, doch diesem Ruf der Flüchtigkeit des Schalls
versuchte er in seiner
Rolle als Komponist entgegenzuwirken, und da hat Chopin ja wirklich
Epochales
geleistet. Dafür stehen die ungeheure Eleganz seiner Nocturnes
und der Berceuse
sowie die Virtuosität und Kraft der beiden Klavierkonzerte,
der Rondi und
einiger Walzer. Als Pianist und Klavierkomponist dürfte Reger
in Chopins Nähe
gekommen sein, man denke an Regers furiose Improvisationen
über "An der
schönen blauen Donau", aber es fehlte Reger das romantische,
das elegante
Pendant zu Chopin.
Ignaz Moscheles, vormals Idol des jungen Chopin, hatte sich einst
über die
seiner Ansicht nach dilettantisch harten Modulationen Chopins
beschwert, bis er
diesen selbst hörte und staunte, wie er mit seinen zarten
Fingern "elfengleich
darüber hinweggleite". Chopins angenommene
Schwächen erlebte er nun
als dessen Stärken: "Sein Piano ist so hingehaucht,
dass es keines kräftigen
Fortes bedarf, um die gewünschten Kontraste hervorzubringen.
So vermisst man
nicht die orchesterartigen Effekte, welche die deutsche Schule von
einem
Klavierspieler verlangt [...]" Chopin dürfte auch
gar nicht die Kraft
gehabt haben, so auf den Flügel einzudreschen, wie es einzelne
Interpreten
heute tun - sein Gewicht erreicht so ganz nebenbei die 50 Kilogramm
wohl zu
keinem Zeitpunkt.
Wir können heute Paris besuchen, Chopin-Interpreten
hören, aber nur ahnen, wie
sich sein Spiel angehört haben mag. Historische Literaten sind
besser dran als
Musiker, denn die geschriebene Sprache ist gleichzeitig Ausdrucksmittel
und
Archivierungsform ihrer Kreativität, wohingegen Chopins Werke
als
Ausdrucksmittel verloren sind und nur noch als gebrochenes Medium in
archivierter und neu zu interpretierender Form vorliegen. Chopin seine
Nocturnes
selbst spielen zu hören, ist uns leider nicht mehr
vergönnt.
Chopins Werk erschließt sich nicht über eine
Biografie alleine, hierzu bedarf
es ergänzend einer Sammlung moderner Datenträger.
Doch was gibt es dann in der
dunklen Jahreszeit Schöneres, als eine spannende
Chopin-Biografie zu lesen und
im Hintergrund seine Werke ertönen zu lassen? Und so kommen
wir auf das Buch
zurück und fragen, ob es denn auch Lob verdient?
Ja, findet der Rezensent, unbedingt. Leben und Werden Chopins entstehen
plastisch vor dem Auge des Lesers, auch der Bezug zu den einzelnen
Werken ist
stets gegeben. Wenn man sich am Ende etwas unschlüssig ist in
der Einordnung
Chopins, so muss dies der Autorin zur Ehre gereichen, denn sie
hält sich
hinsichtlich einer Bewertung sehr zurück. Die große
Rolle, die George
Sand in
diesem Buch spielt, ist sicherlich gerechtfertigt, da man wohl sagen
kann, dass
Chopin unter deren Kontrolle wohl ein wenig älter geworden
wäre.
Was in diesem Buch auch überzeugt, ist die Atmosphäre
dieses Paris der
krisengeschüttelten 1830er- und 1840er-Jahre, einer Stadt, in
der bereits eine
Million Menschen lebten. Der Text kommt im erzählerischen
Präsens daher, aber
mit großer Ausdruckskraft. Viele in den Text eingeflochtene
Briefzitate
bezeugen die primäre Schaffensquelle, dass der
Anmerkungsapparat mit
Quellennachweis fehlt, kann der Nichtwissenschaftler wohl verschmerzen.
Hinweise
zur Aussprache des Polnischen, Abbildungsreferenz, Auswahlbibliografie
und
Personenregister komplettieren das Werk.
Gelegentlich können rhetorischen Fragen wie "Ist er innerlich
bereit,
Abschied zu nehmen?", oder "Wird sich bald alles wenden?" ein
wenig nerven. Doch sieht man von diesen wirklich nur marginalen Punkten
ab, so
erwartet den geneigten Leser eine absolut überzeugende
Biografie. Und zusammen
mit der notwendigen Datenträgersammlung steht erlebnisreichen
Chopin-Abenden
nichts mehr im Wege.
(Klaus Prinz; 12/2009)
Eva
Gesine
Baur: "Chopin oder Die Sehnsucht"
C.H. Beck, 2009. 564 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Weitere
Buchtipps:
Adam Zamoyski: "Chopin. Der Poet am Piano"
Frédéric Chopin ist nicht nur der
berühmteste Komponist und Pianist der
Romantik, er gilt auch als Inbegriff des romantischen
Künstlers. In seiner
exzellent geschriebenen Biografie macht Adam Zamoyski den Leser mit dem
Menschen
Chopin und seinem Leben bekannt: das kurze, von Krankheit
geprägte Dasein,
seine Kindheit, in der er in den polnischen Adelssalons auftrat, seine
schillernde Karriere als Klaviervirtuose, -lehrer und innovativer
Komponist in
Paris, seine fast zehnjährige Liebesbeziehung zu der
exaltierten
Schriftstellerin George Sand. Dabei gelingt es dem Autor meisterhaft,
die
charakterliche Entwicklung Chopins nachzuzeichnen und ein farbiges
Gesellschaftsbild des frühen 19. Jahrhunderts zu entwerfen.
Und schließlich
entkräftet Zamoyski auf verblüffende Weise den Mythos
vom romantischsten aller
Künstler.
Eine brillant geschriebene Biografie des berühmtesten
Klaviervirtuosen und Komponisten
der Romantik.
(Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann)
Buch
bei amazon.de bestellen
Eva
Gesine Baur: "Genießen
mit Puccini. Die ursprüngliche Küche der Toskana"
Die Lieblingsrezepte von Puccini und seine Musik - eine
unwiderstehliche
Mischung.
Das Gespür für Qualität und die Liebe zu
gutem Essen begleiteten Giacomo
Puccini ein Leben lang. Der berühmte Komponist, Frauenheld und
Genießer liebte
die Küche seiner Heimat. Geboren in der für ihre
kulinarischen Spezialitäten
bekannten Stadt Lucca blieb er dieser stets verbunden.
Puccini
bevorzugte vor allem die "cucina povera", die einfache und so
köstliche
Küchen
Italiens. (Bassermann)
Buch
mit CD bei amazon.de bestellen