Paul Morand: "Die Kunst, Chanel zu sein"
Coco Chanel erzählt ihr Leben
Der
Vulkan der Auvergne - Ein Mythos
"Ich habe versucht, von mir zu sprechen, ohne an mich zu
denken. Denn jeder, der an sich denkt, ist bereits tot. Aber da man
genauso tot ist, wenn die anderen nicht mehr an einen denken, musste
ich mich, wenn auch widerwillig, entschließen, mich in Szene
zu setzen und Ihnen meine Präsenz aufzuzwingen." So
kommentiert eine der bekanntesten Personen der Modewelt die ungewohnte
Freizügigkeit, über ihr Leben zu plaudern. Als sie
das Korsett abschaffte, das "Kleine Schwarze" und den Modeschmuck
erfand und die Röcke auf eine skandalöse
Länge knapp unterhalb des Knies kürzte, behauptete
sie sich damit als eine legendäre Persönlichkeit der
Emanzipation.
1946 traf die Chefin der bedeutendsten Modefirma der Welt - Gabrielle
Bonheur Chasnel, genannt "Coco" Chanel - im Exil in St. Moritz auf den
Schriftsteller Paul Morand. Sie gewährte ihm detaillierte und
tiefe Einblicke in ihr Leben und vor allem in ihre Seele oder wie sie
selbst sagte, in ihre "verlängerte Kindheit".
Dreißig Jahre später fallen ihm bei einem Umzug die
damals aufgezeichneten Notizen erneut in die Hände. Morand
entschließt sich, daraus ein Buch zu machen, das 1976,
fünf Jahre nach Chanels Tod, unter dem Titel "L'Allure de
Chanel" in Frankreich veröffentlich wird.
Eine den inneren Werten zugewandte Frau
Er lässt die Couturistin in der für ihn einzig
möglichen grammatikalischen Form - der 1. Person -
erzählen, denn "nichts war von mir, alles von einer
Wiedergekehrten, die auch jenseits des Grabes, physisch wie psychisch,
in gestrecktem Galopp, ihrer normalen Gangart, daherkam, die
überall durchbrach, wie ein Hirsch, der durchs Unterholz
prescht und Blätter und geknickte Äste hinter sich
lässt. Hier war Chanel durchgebrochen, dort hatte Chanel ihre
Spuren hinterlassen ... dreißig Jahre, das ist ein
großer Wald ..."
Die Unmenge von Bonmots, diese geistreichen und witzigen Sentenzen, die
Chanel formulierte, geben dem geschickten Kunstgriff des
französischen Autors Recht. Die große alte Dame, die
wie keine Zweite der Mode ihres Jahrhunderts ihren Stempel
aufdrückte, war Zeit ihres Lebens eine Einzelgängerin
("Ich hasse das Alleinsein und lebe doch völlig
allein."). Kinderlos und trotz vieler Liebhaber, die sich wie
das Register der Gesellschaft lasen (u. A. der russische Komponist Igor
Strawinsky oder der Herzog von Westminster), stets die enge Bindung an
einen Mann fliehend, porträtierte sie sich selbst als eine den
inneren Werten zugewandte Frau. "Diese Belle dame sans merci,
diese erbarmungslose Schöne, erfand die Armut für
Milliardäre (und aß von goldenem Tafelservice), die
ruinöse Einfachheit, das Besondere, das nicht ins Auge
springt. (...) Niemand richtete die Waffe des Snobismus deutlicher
gegen sich selbst."
Unter ihrer Leichtigkeit war ein tiefer Ernst verborgen, ihr Denken und
ihre Handgriffe offenbarten eine zielgerichtete Genauigkeit und ihr
Temperament hatte etwas Absolutes. Als aufmerksame Beobachterin,
geprägt durch ihre Kindheit (als die Mutter starb, gab sie ihr
unehelicher Vater in ein Waisenhaus), durchschaute sie die
Ränke der Menschen gelassen.
Für jene, die sie einkleidete - die Frauen - empfand sie keine
Freundschaft ("Frau = Neid + Eitelkeit + Schwatzsucht +
Wirrkopf"). Vertrauen schenkte sie niemandem.
Rebellin der Liebe und der Modebranche
Ein nicht abreißender Quell von Berufsgeheimnissen floss
über ihre Lippen: "Extravaganz tötet die
Persönlichkeit. Alle Superlative senken das Niveau" "Die
Beweglichkeit des Körpers steckt im Rücken."
"Die
Taille ist vorne höher anzusetzen, damit man
größer erscheint". "Wenn ein Kleid an der Schulter
nicht sitzt, wird es nie sitzen." "Die Frauen sollten mit der jeweils
jetzigen, nicht mit ihrer Epoche
altern."
Und: "Schwarz
sticht alles aus." Doch: "Wenn man es nach langer
Erfahrung endlich begriffen hat, ist die
Schönheit
dahin!"
"Ja, der Stolz erklärt mein störrisches
Naturell, mein zigeunerhaftes Bedürfnis nach
Unabhängigkeit. Es ist aber auch das Geheimnis meiner Kraft
und meines Erfolgs - er ist der Ariadnefaden, mit dessen Hilfe ich doch
immer wieder meinen Weg finde." Paul Morand hat diesen Faden
aufgenommen und ein klares Bild von dieser Frau gezeichnet, die es
zeitlebens hasste, sich zu erniedrigen, ihr Rückgrat zu
krümmen, Demut zu bekunden, ihre Gedanken zu verschleiern oder
nicht nach ihrem eigenen Gutdünken zu handeln. Er hat es famos
verstanden, diesen einzigen "noch nicht erloschenen
Vulkankrater der Auvergne" (Zitat Chanel) zu
porträtieren und auch dem Leser des 21. Jahrhundert noch etwas
von dieser stolzen Frau, dieser Rebellin der Liebe und der Modebranche,
die es von einer einfachen Näherin zu einer Unternehmerin mit
3500 Angestellten gebracht hatte, darzustellen. 22 Fotografien
ergänzen dieses wunderbare neu verlegte und von Annette
Lallemand großartig aus dem Französischen
übertragene Buch, das zugleich ein wunderbares Pariser
Porträt der 1920er- und 1930er-Jahre darstellt.
Coco Chanel, die immer noch als Inbegriff von frisch entfesselter
Weiblichkeit und ewigem Stilbewusstsein steht, wäre am 19.
August 2009 126 Jahre alt geworden.
(Heike Geilen; 08/2009)
Paul
Morand: "Die Kunst, Chanel zu sein. Coco Chanel erzählt ihr
Leben"
(Originaltitel "L'Allure de Chanel")
Mit zahlreichen Fotos von Man Ray, Cecil Beaton, Henri Cartier-Bresson
u.A.
Aus
dem Französischen von Annette Lallemand.
SchirmerGraf, 2009. 282 Seiten.
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Weitere
Buchtipps:
Edmonde Charles-Roux: "Coco Chanel. Ein Leben"
(Zsolnay)
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Edmonde Charles-Roux:
"Coco Chanel. Ihr Leben in
Bildern"
Ein Leben für den Stil.
Als Coco Chanel 1971 in Paris mit 87 Jahren starb, hatte sie nicht nur
ihr berühmtes
Kostüm entworfen, sondern den Stil einer ganzen Epoche
geprägt. Sie war es,
die die Frauen von der geschnürten Atemnot des Korsetts
befreite und sie
endlich ausschreiten ließ, indem sie die Röcke
kürzte. Sie war die erste
Frau, die Hosen trug und eine der ersten, die sich öffentlich
mit kurzen Haaren
zeigte. Sie brüskierte die Modewelt, indem sie die
Schlichtheit zum Gipfel der
Eleganz erhob. Und ihr verdanken wir einen Duft, der die pudrigen
Blütenträume
der Belle Époque hinter sich ließ und seitdem
für unzählige Frauen - und Männer
- zum Inbegriff von Modernität geworden ist. (Knesebeck)
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