Iwan Bunin: "Ein unbekannter Freund"
Erzählungen
Zwei
kleine Kurzgeschichten präsentieren sich in dem gebundenen
Büchlein des Fischer Verlages, das im November 2005 neu
aufgelegt und der Leserschaft somit wieder zugänglich gemacht
wurde. Im Oktober und November spielen auch die beiden Geschichten "Ein
unbekannter Freund" und "Nobelpreistage", die melancholisches Flair des
Herbstes verbreiten und doch noch viel mehr sind.
Iwan Bunin ist ein verhältnismäßig
unbekannter Autor, dabei gibt es so einiges über ihn zu sagen.
Und vieles spricht auch schon aus den hier versammelten, recht kurzen
Erzählungen.
Bekannt geworden ist der aus russischer Provinz stammende
Schriftsteller mit seiner Lyrik und den dem dörflichen
Mikrokosmos verhafteten Erzählungen.
1923 schreibt Bunin die in diesem Band veröffentlichte
Erzählung "Ein unbekannter Freund". Sie handelt von einer
Frau, deren Name ungenannt bleibt, die ihrem angebeteten Autor einen
Brief der Bewunderung schreibt. Die von tiefer Sehnsucht
getränkten Briefe und Postkarten beginnen am 7. Oktober mit
einem verheißungsvollen Satz: "Auf dieser carte
illustrée mit der so traurigen und
majestätischen Ansicht einer Mondnacht an den Gestaden des
Atlantischen Ozeans beeile ich mich, Ihnen meinen heißen Dank
für Ihr letztes Buch zu sagen." Die Landschaft auf
der Postkarte ist Irland.
Dort lebt die Leserin. Von dort schreibt sie
ihre Briefe. Der Autor antwortet nicht, die Leserin jedoch schreibt
unbeirrt weiter an ihn. Sie empfindet Irland als einsam, immer
verregnet und sie kann nicht anders, sie muss ihm schreiben. In manchen
Briefen blitzt ihr Leben durch, doch oft bleiben die Worte an den Autor
sehr sparsam, immer aber wiederholt sich die Bitte, er möge
ihr antworten. Bis am 10. November die Briefe der Leserin abbrechen.
1933 erhielt Iwan Bunin als erster Russe den
Nobelpreis für
Literatur, "[für] die strenge Kunst, in
der er die klassische russische Tradition in der Prosadichtung
weitergeführt hat", so die Begründung der
Juroren. Auf der englischsprachigen Netzseite der Nobelpreisstiftung
kann man gar kurz einen Blick auf Bunin werfen. Wie er am 10. Dezember
1933 in Stockholm ankommt, um an der Verleihungszeremonie teilzunehmen.
Man sieht einen sehr schmächtigen Menschen, dessen Ausdruck,
dessen tieftraurige Augen, dünne, aber zart geschwungene
Lippen und um die Augen gelegte Sorgenfalten von viel Trauer und Leid
zeugen, wie er diesen Gemütszustand auch in seiner Dankesrede
im Dezember des Jahres 1933 anspricht.
So genau kann man dies auf der kurzen Videoaufnahme natürlich
erkennen, aber im Buch des Fischer Verlages, (jenes Werk ist bereits
anno 2003 in einer leinengebundenen Ausgabe mit selbiger Fotografie im
Dörlemann Verlag erschienen), ist eine Abbildung Bunins zu
sehen, die lange beeindruckt und den Lesevorgang stark prägt.
Die zweite Erzählung, "Nobelpreistage" genannt, ist ein
autobiografisches Konvolut der Tage des Nobelpreisfiebers Bunins. Sie
handelt vom 9. November 1933, jenem Tag, an dem Bunin einen
Telefonanruf erhielt, der ihn von der auf ihn gefallenen Wahl der
Schwedischen Akademie informierte und wie er dessen weiteren Verlauf
empfunden hat.
Bunin lebte seit 1920 in Frankreich, in Paris und Grasse in der
Provence. Dorthin emigrierte er, da er die Revolution von 1917 nicht
billigen konnte und sich angesichts des Todes von Millionen von
Menschen ohnmächtig sah, schriftstellerisch zu arbeiten.
Eröffnet wird die Erzählung "Nobelpreistage" mit
einer Reflektion über das Schreiben, vielmehr über
die Unfähigkeit dazu: " [...] ein stiller, warmer,
grauer Tag im Spätherbst ... / An solchen Tagen war ich noch
nie zur Arbeit aufgelegt. Dennoch sitze ich, wie immer, seit dem
frühen Morgen an meinem Schreibtisch. [...] Aber nach einem
Blick aus dem Fenster sehe ich, dass es bald regnen wird, und
fühle: Nein, es geht nicht."
Bunin ist in Grasse und wartet auf das Urteil der Schwedischen
Akademie. Er geht ins Kino, anstatt zu schreiben. Dann kommt ein Anruf
... und ein Ansturm von Glückwünschen und Fragen
stürzt auf den russischen Emigranten ein. Nach Schweden wird
er reisen, Bunin, der als Emigrant seit der Ausreise aus Russland nicht
mehr weg konnte. Wo er doch so gern reiste. Die Nobelpreisverleihung,
in Bunins Augen,
"wurde für dieses ganze Russland, das in all seinen
Empfindungen derart erniedrigt und beleidigt war, zu einem wahrhaft
nationalen Ereignis ..."
Diese kleine Erzählung wird zur Schilderung der
Abläufe der Nobelpreis-Zeremonie, wie sie nur selten jemand
erleben wird. Warmherzig und mit dem Staunen eines
zurückhaltenden Menschen geschrieben, der sich in beiden
Texten - verborgen und offen - als einen heimatlosen, einen Emigranten "ohne
Landesfahne" betrachtet, bieten diese Seite einen
lesenswerten Einblick in jene Tage im Leben von Iwan Bunin.
Swetlana Geier übersetzte die beiden Erzählungen. Sie
machte bereits Werke von
Tolstoi,
Bulgakow,
Solschenizyn oder
Dostojewski
für den deutschen Sprachraum
zugänglich und erhielt im Jahr 2007 den
"Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse".
Eine beeindruckende Tiefe und eine sich über alles weitende
Melancholie, die von einer starken Liebe zum Thema, zum
Schreiben,
zur
Literatur geprägt ist, gar als Kritik an selbiger gelesen
werden können, bieten fast unendlichen Raum für
eigene Leseerfahrung und sind in ihrer Form und Schreibweise weitab von
strenger, russischer Kunst. Hier parliert menschliches Gefühl
in sehr menschlicher und emotionaler Art, dessen gewaltige
Intensität für das Lesegemüt man
weiterempfehlen muss!
(Christin Zenker; 09/2009)
Iwan
Bunin: "Ein unbekannter Freund"
Aus dem Russischen von Swetlana Geier.
Fischer Verlag, 2005. 80 Seiten.