Alois Brandstetter: "Cant läßt grüßen"
"Dabey
sey es sein
Anliegen, das Philosophiren, nicht eine Philosophie zu lehren und zu
erforschen,
bey aller Mühe um das Systeme und das Systematische."
Cant'sche Begrifflichkeiten begegnen den aufmerksamen Menschen
täglich. Jedem
mag wohl irgendwie bekannt sein, dass Kant die "Kritik der reinen
Vernunft"
geschrieben, dass er irgendetwas mit dem kategorischen Imperativ zu tun
hat, der
ethische Grundlagen vertritt, und eine gewisse Sittenlehre vertrat.
Doch
Genaueres über diesen Mann, über die Zeit, in der er
gelebt und gewirkt hat,
ist den meisten doch eher unbekannt.
Alois Brandstetter legt mit seinem Roman "Cant läßt
grüßen" eine
recht umfassende, strukturell durchdachte Biografie indirekter, etwas
anderer
Art vor. Der Amanuensis Cants übernimmt nun die Aufgabe, auf
den zweiten Brief
der Freiin Maria von Herbert in Clagenfurth zu antworten. Dies tut er
in einem
223 Seiten langen Antwortbrief, dem ein Vorwort Brandstetters
beigegeben ist,
das die Umstände genauer erklärt.
Maria von Herbert war "Tochter eines Kärntner
Bleiweißfabrikanten,
eines Vaters von 32 Kindern", schreibt Brandstetter in seiner
sogenannten Leseanleitung. Des Weiteren führt er aus, wer in
diesem
Einbriefroman eine Stimme erhält und wodurch diese geleitet
ist. "Ein
Amanuensis", so Brandstetter, "ist,
wörtlich übersetzt,
einer, der einem Professor 'zur Hand geht'. [...] Die Geschichte
spielt
im
letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts [...]." Somit stellt
das Buch in
seiner Form die Rezeption der Aufklärung dar, die sich mit der
dem Jahrhundert
immanenten Rezeptionshaltung auseinandersetzt. Die Stimme des
Cant'schen Sekretärs
wird zur Leitfigur durch das Leben und die Urteile seines Meisters, die
in Bezug
auf das Hilfsgesuch Maria von Herberts ausgelegt wird. Die
Kärntnerin bat Cant
um Rat, da sie Liebeskummer hatte. Auf den ersten Brief antwortet Cant
nicht,
doch - so die hiesige Umdeutung des Stoffes - nach dem zweiten Brief,
der
historisch verbürgt 1793 abgeschickt worden ist, bittet Cant
seinen Sekretär,
der jungen Maria von Herbert zu antworten.
"Versöhnlich gestimmt hat ihn an Eurem Schreiben vor
allem, daß Ihr
weiter um nichts als seinen Rath bittet, aber nicht die geringste
Unverschämtheit
wie etwa andere Briefschreiber und Bittsteller zeiget. Die meisten
Briefe, die
mein Herr erhält, sind nämlich Bettelbriefe, deren
Schreiber nach den Laudes
(Lobgesänge) alsbald um Beneficien (Vergünstigungen,
Wohlthaten) in Gestalt
von Naturalien (Lebensmittel) beziehungsweise Geld bitten."
Dieser Auszug zeigt recht beispielhaft die Arbeitsweise Brandstetters,
die der
Thematik
der Aufklärung, dem Zeitgeist, ja
grundsätzlich erst einmal dem
Charakter des Sekretärs, gerecht wird, der im Brief an die
junge Maria erwähnt,
dass er selbst Lehrer werden möchte und deswegen die
Erklärungen der Fremdwörter
als didaktische Einwürfe in Klammern anfüge. Falls
Maria von Herbert die Wörter
schon kenne, solle sie deren Erklärungen einfach
überlesen. Eine indirekte
Anweisung an den Leser ist hier erkennbar, so wie auch die Schreibweise
und die
Beleuchtung des Lebens von Cant hier den Rezipienten dazu auffordert,
sich mit
dem einmal auseinanderzusetzen, was heute hinter dem
Bild
Cants steht
oder wohl
auch damals schon gestanden ist. Vornehmlich wird hier ein
Lebensgefühl des
ausgehenden 18. Jahrhunderts beschrieben, und man meint zu
spüren, dass
Brandstetter eine ganz genaue Nachzeichnung der
aufklärerischen Tendenzen jener
Zeit hat vornehmen wollen.
Über mehr als 200 Seiten gezogen, erscheint die Schreibeweise
eine innovative
und witzige Vorgehensweise, die den im 21. Jahrhundert lebenden Leser
vergnügen,
zeitweise jedoch auch nerven mag. Vor allem scheint der Leser hier in
Cant einen
sehr kritischen Zeitgenossen zu entdecken, der durchaus konventionelle
Meinungen
vertrat und Zeit seines öffentlichen Lebens die Abgrenzung zur
Seelsorge
suchte, denn Immanuel Cant erreichten unzählige Briefe und
Hilfegesuche, wie
die obige Textstelle recht präzise ausführt. Dabei
plaudert der um Klärung
bemühte Sekretär, (der an seinem Brief auch noch
schreibt, "als sich
die Probleme längst biologisch gelöst haben"),
mit dem tagtäglichen
Leben Cants betraut, auch aus dem Nähkästchen.
Menschliche und
zwischenmenschliche Lebensmerkmale lernt der Leser durch die Stimme des
Amanuensis kennen, und zwischen den vielseitigen Charakterstudien Cants
und
seiner Zeitgenossen finden sich doch recht amüsante Wortspiele
und ironische
Zwischenmeldungen.
Immanuel Cant, der sich später lieber wieder Kant schrieb ("[...]
weil
die Mitschüler nun seinen Namen als Zand ausgesprochen haben
[...]. Außerdem
beleidigte ihn einmal ein Commilitone (Mitschüler) mit dem
Hinweise, daß das
englische cant 'scheinheiliges Gerede' bedeuthet."), war ein
rüder
Mitbürger, der sich für die Eigenständigkeit
der Gedanken, für die Freiheit
des eigenen Ichs einsetzte und dabei so weit ging, die Ehe für
nichtsnutzig zu
erklären. Als sein Bruder Heinrich Johann den Bund der Ehe
einging, war Cant so
gekränkt, dass er der Familie nicht einmal Beileid
wünschte, als sein Bruder
ein Kind verlor.
Alois Brandstetters Buch "Cant läßt
grüßen" verweist durch so
einige indirekte Zeichen auf seine interpretative Form, welche die
Nachzeichnung
eines möglichen Briefes durch einen Gehilfen Cants darstellen,
die zwei
Jahrhunderte später durch die Hand eines Kant-Leser und
Kant-Studierers für
andere Leser niedergeschrieben worden ist. Ein Kreis großen
Zitates, sehr
borgesianisch, und doch etwas - natürlich - gänzlich
Eigenständiges. Das Buch
liest sich immer wieder als ein kleines Augenzwinkern, jedoch kann man
die in
die Länge gezogenen Passagen, in denen der Sekretär
wohlwollend und von sich
selbst überzeugt, immer wieder Gleiches und Feststellendes
äußert, unmöglich
als kurzweilige Lektüre bezeichnen. Allerdings: Einen
großen lohnenden
Wissenszuwachs für den Leser hält dieser fiktive
Brief bereit, dem es, so
Brandstetter in der Leseanleitung "auch nicht an
kühnen Anspielungen
auf die Gegenwart [...]" fehlt.
Diesem Buch sind der universitäre Hintergrund Alois
Brandstetters sowie seine
Liebe zur Philologie anzumerken, und mit "Cant läßt
grüßen" legt der
Autor ein interessantes und lesenswertes Buch zum Leben, zur
Interpretation des
Wirkens und der Bedeutung Cants für die Aufklärung
vor, das von viel Liebe zum
Detail und langer Auseinandersetzung mit den Briefen und Briefwechseln
Cants und
um Cant zeugt.
(Christin Zenker; 10/2009)
Alois
Brandstetter: "Cant läßt grüßen"
Residenz Verlag, 2009. 235 Seiten.
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Alois Brandstetter, geboren 1938 in Pichl (Oberösterreich), lehrt als Professor für Deutsche Philologie an der Universität Klagenfurt. Zahlreiche Auszeichnungen, u.A. Kulturpreis des Landes Oberösterreich 1980, "Wilhelm-Raabe-Preis" der Stadt Braunschweig 1984, Kulturpreis des Landes Kärnten 1991, "Heinrich-Gleißner-Preis" (1994), Ehrenbürger von Pichl/Österreich (1998), "Adalbert-Stifter-Preis" und Großer Kulturpreis des Landes Oberösterreich (2005).