Reinhard Haller: "Das ganz normale Böse"


Der Autor des vorliegenden Buches weiß als Psychiater und Psychotherapeut nach jahrelanger Tätigkeit als Gerichtspsychiater und Gutachter in den schrecklichsten Mordprozessen, die man sich vorstellen kann, wovon er spricht, wenn er ein Buch über "das ganz normale Böse" schreibt.

Schon der deutsche Sozialwissenschaftler Harald Welzer hat vor einiger Zeit in seinem bahnbrechenden Buch über "Täter" am Beispiel von Kriegsverbrechen gezeigt, dass eigentlich jeder Mensch zu einem solchen Täter werden kann. Auf ihn bezieht sich auch Reinhard Haller in seinem Buch, in dem er anhand seiner zahllosen erlebten Beispiele zeigt, wie praktisch jeder unter bestimmten Bedingungen zum Mörder werden kann. Das ist ernüchternd, auch kränkend, denn jeder aufgeklärte Mensch und Zeitgenosse hält sich selbst für so zivilisiert, dass er das ausschließt.

Oft sind es ganz einfache, ja geradezu banale Gründe, die Menschen zu Mördern oder schrecklichen Gewalttätern werden lassen. Die Art und Weise, wie ein Mensch in seinen ersten Lebensjahren aufwächst, wie er "bemuttert" wird oder nicht, ob es einen Vater mit klaren und männlichen Vorbildstrukturen gibt, all das zeigt sich auch wieder einmal als ein wichtiges Indiz und als Voraussetzung für ein nichtkriminelles Leben.

Das Böse an sich kann aber auch Haller nicht definieren. Er beschreibt es phänomenologisch auf einer großen Bandbreite von den Verbrechen gegen die Menschlichkeit bis zum Mord am Ehepartner aus Affekt. Es gibt keine einfache Erklärung dafür, man kann es auch von außen nicht erkennen, nur im Nachhinein psychologisch erklären.

Als Parallellektüre zu diesem spannenden Buch sei der anspruchsvolle Essay von Wolfgang Sofsky, den er im C. H. Beck Verlag unter dem Titel "Das Buch der Laster" vorgelegt hat, empfohlen.

(Winfried Stanzick; 12/2009)


Reinhard Haller: "Das ganz normale Böse"
Ecowin, 2009. 215 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Ein weiteres Buch des Autors:

"Die Seele des Verbrechers. Motive, Impulse, Lebensbilder"

Aus der Leidenschaft für den Beruf des Gerichtspsychiaters geboren, erzählt das Buch von Dingen, die oft aus dem Leid selbst stammen und solches von Neuem schaffen: von den Motiven und Impulsen kleiner wie großer Verbrechen rund um den Erdball, von der Persönlichkeit derer, die sie begehen. Es versucht, die Sprache des Verbrechens zu übersetzen, die Motivation der Täter verstehbar zu machen, Verschattetes zu erhellen und überindividuelle Zusammenhänge aufzuzeigen. Der Leser begibt sich mit dem Verbrecher auf eine Reise in das weite Land der Seele und in innere Welten, die diesem oft selbst verborgen bleiben. In der Analyse entstehen Bilder, die Abscheu, aber auch Mitleid hervorrufen, bisweilen eigenes Vertrautsein, viel mehr jedoch völliges Befremden, ja sogar Angst und Grauen auslösen. Und dennoch - man vergesse dies nicht - ist die Seele des Verbrechers nichts Anderes als ein oft unbewusstes, zugespitztes Abbild der Psyche des Menschen schlechthin. (Residenz Verlag)
Buch bei amazon.de bestellen

Weitere Buchtipps:

Harald Welzer: "Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden"

Über den Holocaust ist viel geschrieben worden, aber die wichtigste Frage ist bis heute nicht beantwortet: Wie waren all die "ganz normalen Männer", gutmütigen Familienväter und harmlosen Durchschnittsmenschen imstande, massenhaft
Menschen zu töten? Es gab keine Personengruppe, die sich der Aufforderung zum Morden verschlossen hätte, weshalb Erklärungsansätze, die sich auf die Persönlichkeiten der Täter, ihre Charaktereigenschaften, ihre psychische Verfassung richten, nicht weiterführen.
Harald Welzer untersucht Taten aus dem Holocaust und anderen Genoziden in ihrem sozialen und situativen Rahmen und zeigt, wie das Töten innerhalb weniger Wochen zu einer Arbeit werden kann, die erledigt wird wie jede andere auch. Mit seiner sozialpsychologischen Studie öffnet sich eine Perspektive auf die Täter, die auf beunruhigende Weise erhellt, wie Tötungsbereitschaft erzeugt wird, und wie wenig unseren moralischen Überzeugungen zu trauen ist. (Fischer)
Buch bei amazon.de bestellen

Josef Wilfling: "Abgründe. Wenn aus Menschen Mörder werden. Der legendäre Mordermittler deckt auf"
Begegnungen mit der Bestie Mensch.
Das Unfassbare war bei ihm der Normalfall: Der legendäre Mordermittler Josef Wilfling hatte es tagtäglich mit Menschen zu tun, die Ungeheuerliches getan oder erlebt haben. In "Abgründe" erzählt er seine spektakulärsten Fälle, schildert Tathintergründe, gibt den Blick in seelische Abgründe frei und zeigt: Die Wirklichkeit ist packender als jeder Krimi.
Als der Leiter der Münchner Mordkommission Josef Wilfling Anfang 2009 nach 42 Dienstjahren in Pension ging, verabschiedete sich eine Legende: Der berühmte Ermittler und Vernehmungsspezialist klärte den Sedlmayr- und den Moshammer-Mord auf, schnappte Serientäter und verhörte Hunderte Kriminelle. Rund 100 Fälle von Mord und Totschlag hat er während seiner Dienstzeit bearbeitet, und das mit einer Aufklärungsquote von nahezu 100 Prozent. In diesem Buch deckt er die spannendsten und erstaunlichsten seiner Fälle auf und geht der Frage nach, wie und warum Menschen zu Mördern werden. Doch er zeigt nicht nur, wo das Böse seinen Ursprung hat, sondern beantwortet auch Fragen wie: Töten Frauen anders als Männer? Wie verhält sich ein Unschuldiger? Woran erkennt man einen Lügner? Wahre Geschichten über die Abgründe der menschlichen Natur - atemberaubend erzählt und spannender, als es ein Roman je sein könnte. (Heyne)
Buch bei amazon.de bestellen