Frank S. Becker: "Sie kamen bis Konstantinopel"


Drei Schicksale aus dem "dunklen" frühen Mittelalter

Konstantinopel im Jahr 674 n. Chr.: In der Hauptstadt des Römischen Reichs treffen drei Menschen aufeinander, die das Schicksal seit vielen Jahren verbindet, und die doch unterschiedlicher nicht sein könnten: ein irischer Priester, einst missionierender Mönch, ein arabischer Flottenbefehlshaber und eine schöne Frau griechischer Herkunft aus Karthago.

Der Prolog stellt die bedrohliche Situation vor, in der sich Konstantinopel in jenen Tagen befand, und präsentiert die drei Protagonisten Padraich, Daud und Pelagia.
Im sich anschließenden ersten Teil wird Padraichs Geschichte erzählt, die Geschichte eines Jungen mit einem düsteren Geheimnis, der Mönch wird und schließlich eine weite Reise durch Europa antritt, um Missionar zu werden. Von seiner Botschaft beseelt und ein wenig naiv, wird er auf seinem Weg nach Rom mit vielen Abenteuern und einigen schrecklichen Erlebnissen konfrontiert.

Der Junge Daud wird im zweiten Teil Zeuge der Kämpfe um das Kalifenamt, die Mohammeds junge Religion zu spalten drohen. Nach Ägypten verschleppt, erlebt auch er unvorstellbare Scheußlichkeiten. Als er durch eine glückliche Fügung freigelassen wird, entschließt er sich, eine Karriere in der arabischen Flotte zu beginnen.

Pelagia, zunächst ein vornehmes junges Mädchen, reist im dritten Teil von Karthago nach Rom, um dort möglichst einen einflussreichen und wohlhabenden Mann zu heiraten. Doch Rom präsentiert sich ihr als eine Anhäufung von Ruinen. Sie verliebt sich in den Priester Padraich, der jedoch trotz starker Gefühle für sie ihre Avancen ablehnt. Trotzig versucht sie auf Sizilien, einen der bevorzugten Höflinge des Kaisers Konstans für sich einzunehmen. Als sie schon wähnt, das große Los gezogen zu haben, droht das Rad der Geschichte sie zu zermalmen: Sie wird bei einem Überfall muslimischer Seefahrer Gefangene und gerät in den Besitz Dauds, der sie zu seiner Geliebten macht. Doch auf Dauer kann die selbstbewusste junge Frau die Fesseln nicht ertragen, die ihr Daud, ganz der muslimischen Kultur angehörig, auferlegt. Ein Schicksalsschlag bietet Anlass zur Flucht nach Konstantinopel - mit Dauds Plänen für eine künftige Seeschlacht im Gepäck.
Doch in Konstantinopel kommt alles völlig anders als vorgesehen, nicht zuletzt, als sie erneut Padraich begegnet: einem gereiften, nachdenklicheren Padraich.

Nach seinen beiden in der ausgehenden Antike spielenden ersten Romanen hat sich Frank S. Becker einem neuen historischen Sujet gewidmet, um das Verfasser historischer Romane einen nicht minder großen Bogen machen. Denn das "dunkle" frühe Mittelalter besteht aus Jahrhunderten im Umbruch, aus zerfallenden Gesellschaften und solchen, die sich, oft unter dem Zwang der Gewalt, neu bilden.

Drei Schicksale, drei Handlungsstränge werden in "Sie kamen bis Konstantinopel" miteinander verwoben. Die Protagonisten entstammen Randgebieten der damals bekannten Welt: Irland im Nordwesten, die arabische Einflusssphäre im Südosten und Karthago, von der Metropole zur Provinzstadt verkommen, im Südwesten. Die Ausrichtung der Sehnsüchte und Begierden dieser Menschen auf die beiden Zentren der Macht, Rom, das nichts mehr zu bieten hat, und das aufstrebende, jedoch bedrohte Konstantinopel, vermag einen realitätsnahen Eindruck von der damals vorherrschenden Mentalität zu geben. Frank S. Becker versteht es meisterlich, die Auflösung der alten politischen Einheiten darzustellen, die nur zögerliche Annahme des Christentums, das vielleicht eine Basis hätte bilden können, die seltsame Mischung aus Zukunftsangst, Aufbruchsstimmung und Skrupellosigkeit in der Bevölkerung.

Die drei Protagonisten, die im Verlauf des Romans eine gewaltige Entwicklung durchleben, werden dem Leser rasch vertraut. Noch mehr mag dieser vielleicht die eine oder andere originell konzipierte, bestens in die Epoche passende Nebenfigur mögen - darunter ein amüsanter Barde, ein Lebenskünstler aus Bayern, den es zunächst an Padraichs, dann an Pelagias Seite verschlägt, und ein Wanderheiliger, der sich in einem Hurenhaus beweisen muss. Spannung ist nicht nur aufgrund der kulturellen Unterschiede und der historischen Hintergründe mit den enormen Umbrüchen und militärischen Auseinandersetzungen jener Zeit geradezu vorprogrammiert: Auch die komplexen, von kulturellen Unterschieden beeinflussten Beziehungen der Protagonisten untereinander spielen eine große Rolle.

Wie gewohnt hat der Autor ausgezeichnet recherchiert. Im Nachwort weist er Ereignisse aus seinem Roman den historisch belegten Tatsachen zu. Eine Zeittafel ermöglicht die chronologische Einordnung der Stationen auf dem Lebensweg der Figuren, und ein Glossar erläutert wichtige Begriffe. Nicht zuletzt erleichtert eine Übersicht über die verwendeten geografischen Bezeichnungen die Lektüre.

Wieder einmal ist Frank S. Becker ein mitreißender historischer Roman gelungen, der in einer dem fachfremden Leser ausgesprochen fremden Epoche angesiedelt ist und diese erlebbar macht: Das frühe Mittelalter in all seiner Düsternis erhält ein Gesicht; oder eigentlich deren drei und mehr. Die gut konstruierte Geschichte und die Hintergrundinformationen geben einen differenzierten Eindruck von einem Abschnitt der Vergangenheit, der für die weitere Entwicklung des Abendlandes von erheblicher Bedeutung war.

(Regina Károlyi; 11/2009)


Frank S. Becker: "Sie kamen bis Konstantinopel"
Philipp von Zabern, 2009. ca. 360 Seiten.
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