Jürgen Wolf: "Auf der Suche nach König Artus"
Mythos und Wahrheit
Artus,
Artus du entschwandest
"Wer nach dem
/ wahren Guten strebt, / erfährt
Glück vor Gott und Ansehen in der Gesellschaft. / Das zeigt
uns deutlich / der
vorbildliche König Artus, / der nach feiner Ritter Art / um
Wertschätzung
streiten konnte. / Er hatte seinerzeit / so glanzvoll gelebt, / dass er
die
Krone der Ehre / damals trug und die noch heute mit seinem Namen
verbunden ist.
/ Das bestätigen / seine Landsleute: / sie sagen, er lebe
heute noch: / er hat
sich Ruhm erworben, / und obgleich er gestorben ist, / lebt doch noch
immer sein
Name fort." Dieser Lobpreis von König Artus im
Prolog von Hartmanns
"Iwein" scheint bis heute nichts von seiner Aussagekraft
verloren
zu haben. Und bei Kurt Ruh heißt es in seiner
beispielgebenden Monografie zur
"Höfischen Epik des deutschen Mittelalters" apodiktisch: "Artus
ist Symbol vollendeten höfischen Rittertums." Und
ähnlich wie bei
Kaiser Barbarossa geht die Sage, dass König Artus dereinst
wiederkehren und ein
starkes Britannien einen werde.
Der vorliegende aufwändig edierte Band verfolgt nun die Spuren
dieser Gestalt
von Camelot bis Hollywood - als 1995 Sean Connery den Artus
verkörperte. Jürgen
Wolf verweist darauf, dass "die Forschungs- und
Editionssituation zum
gesamten Artus-Gral-Komplex komfortabel" sei: "Nahezu
alle
arturischen Texte des Mittelalters liegen in hervorragenden, oft sogar
kommentierten wissenschaftlichen Ausgaben vor. Fast alle Werke sind
auch im
Internet zugänglich." Letzterer Hinweis unterliegt
allerdings der
Einschränkung, dass dort manche Texte nicht den
wissenschaftlichen
Anforderungen entsprechen. Eigentlich nicht sehr tröstlich
klingt Wolfs Fazit,
auf welches hier schon verwiesen sei: "Resümierend
bleibt festzuhalten,
dass sich das Artuswissen und die Artuswahrnehmung seit Geoffreys
epochemachender "Historia regum britanniae" kaum entscheidend
verändert
haben. Wie im 12. Jahrhundert gibt es eine vage Ahnung von einem
historischen König
Artus, der sich mit seinen Rittern der Tafelrunde und dem bald
hinzuerfundenen
Gral hervorragend für alle möglichen "Anwendungen"
von der
Fundierung der eigenen Geschichte (Nationalmythos) bis hin zu
völlig
ahistorischen Fantasiegeschichten (Fiktion) eignet." Und so
gewinnt man
den Eindruck, je mehr "Werke" mit und über Artus erscheinen,
sein
Bild umso beliebiger wird.
Artus war gewissermaßen der erste Popstar
der Historie, insofern man ein
aus "Dichtung und Wahrheit" konglomeriertes Charisma quasi als
definitorische Charakteristik einer Popfigur postulieren
möchte. Wolf sieht
drei "Säulen" der Artusbegeisterung: das "dynastisch-historische
Interesse", die "für didaktische Zwecke
hervorragend geeignete
Idealität der Artuswelt" sowie die "mit
den spannend erzählten
Geschichten verbundene Kurzweil." Wolf versuchte, sich
Forschungsergebnisse der Mittelalterarchäologie, der
Textwissenschaften und der
Geschichtsforschung zunutze zu machen. Dabei konzediert er: "Trotz
modernster Forschungsmethoden lassen sich nur Wahrscheinlichkeiten
formulieren."
Aber gerade das mag wohl den Reiz der Beschäftigung mit dem
Mythos Artus
ausmachen.
Indem Wolf sehr akribisch viele historische Quellen nachzeichnet, kommt
er zu
dem Zwischenergebnis: "Eine zusammenhängende
Artusgeschichte gab es
nicht, einen König dieses Namens auch nicht."
Allerdings werden "Konturen
einer starken, kriegerischen, freigebigen und von christlichen Idealen
durchdrungenen Heldenfigur sichtbar." Bedenklich erscheint
jedenfalls,
dass man ein Artusgrab gefunden haben will, wo man andererseits
überhaupt nicht
sicher sein konnte, ob überhaupt jemals dieser spezifische
König Artus gelebt
hat. Wolf verfolgt jedenfalls akribisch durch zahlreiches
Quellenmaterial wie
sich der Artusstoff entwickelte und allmählich stabilisierte,
bis zur "Höfisierung"
bei Chrétien de Troyes um 1165/70. Chrétien
jedenfalls wies darauf hin, dass
die Artusgeschichten bisher falsch und zusammenhanglos erzählt
worden seien.
Chrétiens "Romane" wurden so etwas wie
Artus-Verkaufsschlager im
Mittelalter, seine Versionen wurden vielfach kopiert und
übersetzt. Als
problematisch erwies sich immer wieder die Konfrontation der vagen
Historizität
der Artuswelt mit divergierenden Literarisierungstendenzen. Eine
spezielle
Ausdeutung erfahren dabei auch noch die recht unterschiedlichen
Gralsgeschichten, welche man an den Artusmythos anfügte.
Im späten Mittelalter verblasste die Faszination um
König Artus und seine
Tafelrunde naturgemäß, da die
höfisch-ritterliche Kultur nicht mehr die
zentrale Rolle spielte. In Adelskreisen kursierten noch alte
Artushandschriften.
In deutschen Landen entfernte man sich immer mehr von der
Chrétien'schen
Fassung, durch Hartmann rückten einzelne Helden in den
Mittelpunkt, wobei sich
dann Wolfram auf Parzival konzentrierte. Bis ins 19. Jahrhundert hinein
wurde
der Stoff immer mehr trivialisiert, und es erschienen auch immer mehr
Prosaversionen. Als das (städtische) Publikum wuchs, wurde der
Geschmack
anspruchsloser, der nationalstolze und mythische Hintergrund ging
verloren - man
verlangte nach ritterlichen Abenteuern: ein Ritter zieht vom Artushof
aus, kämpft
gegen einen schrecklichen Drachen,
befreit ohne Furcht und Tadel das Land und gewinnt am Schluss die Hand
einer Königstochter.
Die etwaige historische Authentizität von Artus hatte sowieso
nur noch Reiz für
eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern. Ansonsten entwickelte sich ein
eher
folkloristischer Artuskult unterschiedlich starker Ausprägung
in verschiedenen
Ländern Europas. Die umfassende Artusgeschichte von Thomas
Malory "Whole
Book of King Arthur and his Noble Knights of the Round Table"
(15. Jh.)
brachte praktisch alle wichtigen Elemente zusammen: Utherpendragon,
Ginevra,
Merlin, Lancelot, Gral und die unglückliche Liebe zwischen
Lancelot und Ginevra.
Englische Könige und Ritter bemühten sich gar, eine
arturische Genealogie
vorzuweisen. Vor allem für die Tudors blieb Artus ein
zentraler Baustein der
dynastischen Legitimation.
Mit seinem historischen Essay "Britain under Trojan, Roman,
Saxon rule"
(1639) läutete
John
Milton in England eine neue Runde der Artuszweifel ein.
Schließlich erfuhr
der Stoff um 1800 herum eine vielschichtig-ahistorische Romantisierung.
Die
erfolgreichsten Artus-Romane im 19. Jahrhundert schrieb Alfred Lord
Tennyson.
Die Artus-Adaption "A Connecticut Yankee in King Arthur's
Court"
(1889) von Mark Twain entwickelte sich zu einem der erfolgreichsten
Artus-Bücher
der Moderne. Erstaunlicherweise fast gleichzeitig wie Twain verwandelt
Richard
Wagner in Deutschland den "Parsival" in ein
"Bühnenweihfestspiel"
(vgl. Theaterzettel). Wie ließe sich der Unterschied zwischen
deutschem und us-amerikanischem
Literaturverständnis deutlicher markieren?! Fast
überflüssig zu erwähnen, dass
auch auf Hitler und einige Nazigrößen Artus eine
gewisse Faszination ausübte.
Ansonsten erlebte das 20. Jahrhundert zahlreiche unterschiedlichste
Artus-Adaptionen - seit den 1950er-Jahren wurden Artus-Fantasyromane
Welterfolge.
Schließlich verweist Wolf noch auf die zahlreichen
Verfilmungen bis hin zu
Verwandlungen in Comicfiguren. In der Moderne ist
eben kein Stoff zu seriös,
als dass er nicht einer niveaulosen Vermarktung ausgeliefert
würde. Die
arturische Welt ist uns doch ehrlich gesagt völlig entfremdet
bzw. entschwunden
- wer glaubt denn heute noch ernsthaft an die ritterlichen Tugenden.
Und so könnte
der vorliegende Band Interesse wecken bei überdurchschnittlich
interessierten
Bildungsbürgern, aber auch Germanistik-Studenten
könnten sich damit
auseinandersetzen.
(KS; 10/2009)
Jürgen Wolf:
"Auf der Suche nach König
Artus. Mythos und Wahrheit"
Primus Verlag, 2009. 143 Seiten.
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Jürgen Wolf, geboren
1963, ist
wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Berlin-Brandenburgischen Akademie
der
Wissenschaften und Gastprofessor für Ältere Deutsche
Philologie an der
Technischen Universität.
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(Hrsg.): "'Grenzgänger'.
Mittelalterliche Jenseitsreisen in Text und Bild"
Das Jenseits als Grenze der innerweltlichen Erfahrung ist nur
über den Weg des
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Mit dem Jenseits verbindet sich also auch ein ästhetisches
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(Transcript Verlag)
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Seit der Romantik
wird das
europäische Mittelalter verklärt. Auch das
Bild vom
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scheint
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Martin Clauss entwirft dagegen ein vielschichtiges Bild vom Krieg im
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Krieg in erster
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Krieg
vor sich ging und mit welchen Waffen er ausgefochten wurde. Dabei geht
es immer
um die Menschen, die der Krieg betraf und um ihre ganz
unterschiedlichen
Perspektiven auf die Ereignisse: um Sieger und Verlierer, um
Kombattanten und
Nichtkombattanten, die Opfer des Krieges waren. (Primus Verlag)
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