Stefan Andres: "Terrassen im Licht"

Italienische Erzählungen
Herausgegeben von Dieter Richter


Eine Hommage eines deutschen Dichters an Positano

"Terrasse über dem Felsen, noch heute weiß ich es nicht, was du mir alles warst: heller Platz der Geselligkeit inmitten einer ungeselligen Zeit oder Plattform der Säule eines Stiliten wider Willen; Wüste voll beängstigender Spurlosigkeit oder Ort der unauslöschlichen Begegnungen mit der Sonne, mit dem Rausch, mit dem Tode und den anderen großen Masken des Seins." Mit diesen Worten endet die Titelgeschichte, die den Schlusspunkt des Erzählbandes "Terrassen im Licht" markiert. Und mit einer Hommage an Positano, dem vom Autor selbst gewählten Ort seines Exils, zugleich auch der Ort der "Terrasse über dem Felsen", öffnet sich der Reigen der "Italienischen Erzählungen". "Nun bist du mir in den Vorrat der Träume entrückt, du geliebtes, nach Orangenblüten duftendes, nach Fischen stinkendes Nest drunten am Mittelmeer, du Häuserhaufen wie aus Würfelzucker gemacht, glitzernd zwischen den steilen, himmelhohen Karstfelsen und dem ewigen, waagerechten, in allen Farben sich erinnernden Meer." Zwölf lange Jahre hat Andres im süditalienischen Positano im Exil verbracht, bevor er 1949 nach Deutschland zurückkehrte. Und es ist tatsächlich zu einem Teil auch Stefan Andres’ Verdienst gewesen, dass sich das kleine unbedeutende Fischerdorf Positano in der Nachkriegszeit zunehmend zu einem touristischen Anziehungspunkt entwickelt hat. Die Stadtväter des Ortes dankten es Stefan Andres, indem sie eine Straße nach ihm benannten, eine Gedenktafel aufstellten sowie im Jahr 2000 eine Stefan Andres-Ausstellung organisierten.

Die meisten der in diesem Band gesammelten Erzählungen waren ursprünglich für Zeitungsfeuilletons verfasst worden. Es sind Geschichten von anrührender Schönheit und auslotendem Tiefgang, die vom Autor in sprachlicher Vollendung zu Papier gebracht wurden. Auch wenn im wirklich ausgezeichneten Nachwort einmal von einer überbordenden Metaphorik die Rede ist ... Stefan Andres’ Sprache ist zwar extraordinär und von einer geschliffenen Eleganz, doch weitab von allem Überkandidelten. Atmosphärische Dichte und fließende Impressionen kennzeichnen die narrative Dimension der "Italienischen Erzählungen", worin autobiografische und rein fiktive Elemente zu einer überzeugenden Einheit verschmelzen. Von der Thematik her handelt es sich um Reise-Essays, Landschafts- und Naturbetrachtungen, Erzählungen mit politischem oder philosophischem Hintergrund, um Künstlernovellen oder auch um Liebesgeschichten wie beispielsweise "Die große Lüge", die für den Rezensenten die überzeugendste und beeindruckendste Erzählung dieses Bandes darstellt. So manch eine Novelle nimmt verständlicherweise auch Bezug auf den NS-Terror in der deutschen Heimat, wobei Andres allerdings recht vorsichtig zu Werke gehen musste, da Hitlers langer Arm auch bis nach Positano reichte.

Stefan Andres’ Beschreibungen der Natur, des Menschen etc. erschöpfen sich niemals nur im Vordergründigen, sie gehen immer weiter in ihrer Fragestellung, bis hinein in die unauslotbare Tiefe, immer wieder rührt der Autor an die Grundfragen des Daseins. Und seine Protagonisten durchlaufen oft seltsame Wandlungen auf der Suche nach Identität und Sinn. Charakteristisch für Andres’ Erzählungen sind auch die Peripetien, die oft überraschenden Wendungen, die sie immer wieder nehmen. Neben der Person des Künstlers ist es vor allem die des Priesters, die recht häufig eine tragende Rolle im Werk von Stefan Andres spielt, so auch in den hier vorliegenden Novellen. Nicht zuletzt ist dann die Einsamkeit jedes einzelnen Menschen, die Zurückgezogenheit in sich selbst, die freiwillige oder auch unfreiwillige Eremitage ein stets wiederkehrendes Thema bei Andres.

Das bereits erwähnte, kommentierende Nachwort zu diesem Erzählband ist von Dieter Richter mit sachkundiger Hand geschrieben und passt sich dem hohen Niveau des Autors der "Italienischen Erzählungen" an. Wer also an Stefan Andres bisher ungelesen vorbeigegangen ist, der sollte sich die "Italienischen Erzählungen" zulegen, um diesen Autor kennen und möglicherweise auch schätzen zu lernen.

(Werner Fletcher; 10/2009)


Stefan Andres: "Terrassen im Licht. Italienische Erzählungen"
Herausgegeben von Dieter Richter.
Wallstein Verlag, 2009. 322 Seiten.
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