Johanna Adorján: "Eine exklusive Liebe"
Doppelselbstmord als Liebeszeichen
Was bewegt ein älteres Ehepaar - er Mitte achtzig und schwer
krank, sie noch in den Sechzigern und kerngesund - zum gemeinsamen Selbstmord, Jahrzehnte,
nachdem es den Massenmord an den ungarischen Juden überlebt hat?
Diese Frage dürfte vor allem die Familie des betreffenden
Elternpaares beschäftigen,
und in der Tat handelt es sich bei der Autorin um die Enkelin der
beiden, die sich in Budapest, Paris und Kopenhagen, den Lebensstationen des Paares,
ein Bild macht von den Menschen, Örtlichkeiten und politischen
Gegebenheiten, die Vera und István Adorján geprägt haben.
Es ist ein Tabu, mit dem die Autorin bricht, denn für
Angehörige birgt ein
Selbstmord natürlich immer den Vorwurf eigenen Versagens, und
der Umgang mit
Selbstmord erweist sich als schwierig. Die Autorin, zur Zeit des Todes
der Großeltern
bereits eine junge Frau, trifft jedoch auf Menschen, die sich ihr
öffnen: alte
Freunde der Großeltern aus Ungarn, Paris und
Dänemark und eigene
Familienmitglieder, die im Nachhinein manche Zeichen zu deuten wissen.
Johanna Adorján kommt während ihrer Recherchen dem Grund
für den Doppelselbstmord
immer näher.
Über ihre schrecklichen Erfahrungen
im
von den Nationalsozialisten besetzten
Ungarn haben die jüdischen Großeltern
nicht sprechen mögen. Erst kurz
verheiratet, werden die beiden 1944 getrennt. István
Adorján wird ins KZ
Mauthausen verschleppt, und seine Enkelin kann sich nur anhand von
Dokumentationen und Augenzeugenberichten Anderer ein Bild davon machen,
was er erlitten hat. Die zum Zeitpunkt der Trennung bereits schwangere Vera
überlebt mit Glück und gefälschten Papieren.
Während des Kommunismus passt sich die wieder vereinte Familie
an, um nicht neuerlich aufgrund der jüdischen Abstammung
Angriffsfläche zu bieten. Als
der Aufstand von 1956 scheitert, setzen sich István,
ein renommierter Arzt, Vera
und die beiden Kinder nach Dänemark ab. Sie integrieren sich
rasch und fühlen sich offensichtlich wohl.
Im Herbst 1991 besorgen sie sich Medikamente, was einem Arzt nicht
schwerfällt, und führen den Doppelselbstmord und die Vorbereitungen hierzu
nach einer akribisch erstellten "Checkliste" durch.
Johanna Adorján skizziert in ihrem Buch zwei
außergewöhnliche Menschen, die
schon äußerlich auffielen durch Eleganz,
Exzentrizität und Schönheit. Vera
Adorján rauchte Kette, und sie und ihr Mann siezten sich bis
zum Ende ihres
Lebens. István Adorján, freundlich und
von
jüdischem Witz, zeigt sich als ein
ganz anderer Charakter als Vera, die eher rau, geizig und verschlossen
auftritt. Die Autorin arbeitet jedoch die Unsicherheit heraus, die tief in Vera
sitzt: Diese kann sich nicht vorstellen, ohne den geliebten und gegen Ende
seines Lebens zunehmend gebrechlichen Ehemann zu leben; er ist alles, worum
ihr Leben kreist. Nicht einmal die Kinder können den Bannkreis dieser
Liebe durchbrechen.
Die Autorin verflicht zwei Erzählstränge miteinander.
Der eine schildert den
letzten Tag im Leben der Großeltern, vor allem die vielen
minutiös geplanten
Vorbereitungen, der andere Johanna Adorjáns Recherchen und
Erinnerungen an Vera
und István Adorján, die wie ein fast komplettes
Puzzle schließlich ein recht
gut erkennbares Bild der Protagonisten ergeben.
Die Autorin arbeitet die Liebesbeziehung zwischen den beiden sehr
sensibel heraus, ohne durch zu viel Analytik, zu drängende Recherche
oder den Versuch, vorhandene Lücken gewaltsam zu schließen, den
aufkommenden Zauber zu beeinträchtigen.
Sie findet mit viel Feingefühl die passende Mischung aus
faktenorientierter Sachlichkeit und behutsamer Interpretation, und vor allem kommt sie
völlig ohne Effekthascherei aus; der Versuchung hierzu wäre angesichts des
Stoffes wohl mancher andere Autor erlegen.
So ist Johanna Adorján zweierlei gelungen: die Biografie
zweier Menschen, die zuerst den Holocaust und dann den Ungarnaufstand überlebten
und ihr Leben in einem fremden Land fortführten, und eine
bittersüße, aufwühlende
Liebesgeschichte, die nicht nur aufgrund der wahren Grundlage
ihresgleichen sucht.
(Regina Károlyi)
Johanna Adorján: "Eine exklusive Liebe"
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Johanna
Adorján, 1971 in Stockholm geboren, studierte in
München Theater- und Opernregie. Seit 1995 arbeitet sie als
Journalistin, seit 2001 in der Feuilleton-Redaktion der "FAS". "Eine
exklusive Liebe" ist ihr erstes Buch.
Ein weiteres Buch der Autorin:
"Meine 500 besten Freunde"
Eine angetrunkene Jungschauspielerin. Eine schillernde Theaterdiva. Eine
aggressive Yogalehrerin. Eine vergessene Filmlegende. Eine durchtriebene
Feuilleton-Praktikantin. Zwei Freundinnen, die sich wahrscheinlich zum letzten
Mal treffen. Ein eitler Journalist, der fest damit rechnet, die "Goldene
Edelfeder" verliehen zu bekommen. Ein verunsicherter Erfolgsautor, der seinen
Lektor von den Qualitäten seines miserablen zweiten Romans zu überzeugen
versucht. Die Protagonisten der Geschichten in "Meine 500 besten Freunde" sind
ständig damit beschäftigt, etwas darzustellen, bestenfalls sich selbst. Es ist
das Personal, das in Berlin allabendlich die Tische in den teureren Restaurants
bevölkert, wo dann manchmal, wenn alles passt, so ein Flirren in der Luft liegt.
Kurz. Sie sind eitel, verzweifelt, an sich selbst berauscht, angestrengt,
rührend und lächerlich - und sie gäben viel darum, irgendwie bedeutender zu
sein. (Luchterhand Literaturverlag)
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