Dalai Lama, Laurens van den Muyzenberg: "Führen, gestalten, bewegen"
Werte und Weisheit für eine globalisierte Welt
Wirtschaft
und Buddhismus als Glücksgaranten
'Werte und Weisheit für eine globalisierte Welt' (Untertitel)
verheißt uns das
vorliegende Buch, welches aus einem fast zwanzigjährigen
Dialog zwischen dem
Oberhaupt der Tibeter und dem international tätigen
Managementberater
entstanden ist. Muyzenberg zeigt, "was die Wirtschaft vom
Buddhismus
lernen und wie jede Führungskraft vom Buddhismus profitieren
kann"
(Klappentext). Es geht ihm darum, "buddhistische
Vorstellungen zu präsentieren,
die für Menschen aller Religionen genauso annehmbar und
nützlich sind wie für
Menschen ohne Religion." Ja, er behauptet sogar, da der
Buddhismus
rational, logisch und ganzheitlich an Probleme herangehe, "sind
seine
Antworten für nicht-religiöse Menschen oft leichter
nachvollziehbar."
Grundsätzlich möchte
der Dalai Lama
mit seinen
Meditationen und geistigen Übungen,
die in diesem Buch vorgestellt werden, "unseren
Führungskräften in
Unternehmen und globalen Konzernen helfen, unseren Planeten friedlicher
und
sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltiger zu
gestalten" (vgl.
Einleitung).
Drei Erkenntnisse über die Realität sind im
Buddhismus fundamental: 1) Nichts
ist von Dauer - 2) Nichts existiert für sich allein - 3)
Nichts existiert ohne
Ursache. Das vorliegende Buch "wendet erstmals die
buddhistischen
Prinzipien der Rechten Anschauung und des Rechten Handelns auf
Entscheidungsprozesse in Organisationen und Unternehmen im Besonderen
an."
Als gemeinsamer Nenner zwischen Buddhismus und Wirtschaft wird "die
Bedeutung, die beide dem Glück beimessen", gesehen!
Es wird sogar
behauptet, "im Zusammenspiel können sie helfen, die
wichtigsten
Probleme unserer Zeit zu lösen." Das klingt
ungeheuerlich, wenn man
bedenkt, dass der Dalai Lama früher über eventuelle
Gemeinsamkeiten von
Buddhismus und Kommunismus sinniert hat.
Der größte Schatz, den ein Mensch besitzen kann, ist
nach dem Buddhismus
Selbstvertrauen. Darüberhinaus sollte jeder Mensch - und jede
Führungspersönlichkeit
insbesondere - über sechs Tugenden verfügen:
Großzügigkeit, ethische
Disziplin (Freisein von Gier und negativen Emotionen), Geduld,
Begeisterung,
Konzentration und Weisheit. Buddhistische Manager in Asien sehen es als
die größte
Schwäche westlicher Managerkollegen an, dass sie zu sehr auf
Gewinne fixiert
sind. Der Buddhismus empfiehlt dagegen Bescheidenheit,
Rücksicht, Orientierung
am Wohl der Anderen, Gleichmut, Scham, Freundlichkeit, Elan,
Flexibilität und
Offenheit. Wenn
der
Kapitalismus nach diesen Prinzipien funktionieren
würde, hätten
wir geradezu ein Paradies auf Erden! Aber wie naiv muss man sein, um
daran zu
glauben? Denn die misstrauische Frage im Zeitalter der
Heuschrecken-Mentalität
lautet: Warum sollten plötzlich die weltweiten Kapitalisten zu
Wohltätern der
Menschheit mutieren?!
Zwar rät der Dalai Lama, auch einem buddhistischen Lehrer
gegenüber skeptisch
zu sein, aber irgendwie möchte er doch, dass man letztendlich
die buddhistische
Lehre akzeptiert und praktiziert. Auf jeden Fall angeraten werden
Meditationskurse, freilich scheint es so, dass es dazu
grundsätzlich bereits
einer bestimmten mentalen Disposition bedarf, die zu benennen oder zu
beschreiben sehr schwierig ist. Es handelt sich wohl um eine Art
Passivität,
die Bereitschaft sich auf etwas einzulassen und zu konzentrieren, was
sonst
quasi nebenbei geschieht: Körperhaltung und Atmung. Dabei
klingt auch alles so
einfach: Meditation hilft, Ärger abzubauen und ohne Hass auf
eine Situation zu
reagieren. Prima - wenn das neben den eingefleischten Kapitalisten auch
noch die
Rechtsradikalen, die Hooligans, die
Selbstmordattentäter und die übellaunigen
Nachbarn kapieren könnten! Wir können nur friedliche
und vertrauensvolle
Prozesse initiieren, wenn wir alle guten Willens sind. Der Dalai Lama
empfiehlt
Vertrauen und Weisheit - das muss er einmal einem "Bild"-Zeitungsleser
und einem Profitgeier
verklickern!
Wenn der Dalai Lama nämlich als den Sinn des Lebens "glücklich
zu
sein" definiert - wobei er konkret ausführt: "Sind
sich
Mitarbeiter im Klaren über das Leitbild, das von einer starken
Führung
kommuniziert wird, dann trägt der Eintritt in das Unternehmen
zu ihrem Glück
bei." Solche Leitbilder sind: Ehrlichkeit,
Integrität, Fairness,
verantwortungsvolles Handeln für Gesellschaft und Umwelt,
Investieren in
soziale Einrichtungen, Bedürfnisse Anderer zu verstehen und zu
befriedigen. Nun
ist es so, dass es in der buddhistischen Lehre mehrere Auflistungen
für den
Umgang mit verschiedenen Problemen und die Einstellung zum Leben gibt.
Für Führungskräfte
besonders hilfreich sind die 'Acht Weltlichen Belange' sozusagen in
Pärchenform:
Kritik und Lob, Misserfolg und Erfolg, Verlust und Gewinn, Verweigern
und
Erlangen von Anerkennung. Grundsätzlich sollte man
Gefühle, Wahrnehmungen und
Bewusstsein auseinanderhalten.
Unvermutet plötzlich bei der Thematik der Wahl eines
kompetenten Nachfolgers
auf einem Managerposten kommt der Dalai Lama auf seine eigene Nachfolge
zu
sprechen: "Die Frage ist kompliziert, denn eine definitive
... Lösung lässt
sich nur finden, wenn die chinesische Regierung Tibet den Status einer
tatsächlich
autonomen Region innerhalb Chinas einräumt, was die einzige
und beste Lösung für
China und die Tibeter wäre." Dummerweise wird
China
nicht nach der
Leitidee eines buddhistischen Mönchs regiert. Wiewohl Politik
nach landläufiger
Auffassung eine Frage der Macht(verteilung) ist und die Wirtschaft als
oberstes
Ziel Gewinnmaximierung ausgibt, urteilt ein Buddhist anders:
Produktion, Konsum
und Gewinn sind für ihn nicht Zweck, sondern Mittel zum Wohl
der Menschen. Eine
schöne Analogie mag dies verdeutlichen: "Wenn ein
Unternehmen Verlust
macht, stirbt es, genau wie ein Mensch, der nichts mehr isst. Das
bedeutet aber
nicht, dass der Sinn des Lebens im Essen besteht"! Im
übrigen ist der
Buddhismus keineswegs prinzipiell gegen Wohlstand - er sollte nur zum
Wohle
aller eingesetzt werden - und "den Arbeitnehmern sollten
angemessene Löhne
gezahlt werden." Ob sich mit dieser Forderung die Debatte um
die
Mindestlöhne befruchten ließe?! Ein frommer Wunsch
ist heutzutage freilich, dass
Führungskräfte weniger an die Aktionäre und
mehr an die Erhaltung der
Arbeitsplätze denken sollten. Die aktuelle Ideologie
funktioniert genau
andersherum - auch wenn wir nach buddhistischer Lehre erst alle
glücklich sind,
wenn wir "die Bedürfnisse Anderer befriedigen"!
Womit ursprünglich
nicht die Bedürfnisse der Aktionäre und
Manager
gemeint waren.
Wer hört denn auf den Dalai Lama in der gegenwärtigen
Debatte, wenn er etwa
sagt: "Ich empfinde es als beunruhigend, wenn
Vorstände Millionen von
Euro mit nach Hause nehmen, während Teile der Belegschaft
nicht genug
verdienen, um einen anständigen Lebensstandard erhalten zu
können. (...) Das
Problem lässt sich meines Erachtens nur lösen, wenn
sich Manager freiwillig
selbst beschränken und an das Wohl all jener denken, die von
ihren
Entscheidungen betroffen sind." Ha! Welche Herausforderung!
Es gibt ja
auch 'Verhaltensempfehlungen für internationale Unternehmen
auf den Gebieten
Arbeit, Umwelt, Verbraucherschutz und Korruptionsbekämpfung'
von der OECD - und
den 'Global Compact' der UN, der als "weltweit
größte Initiative zur
unternehmerischen Sozialverantwortung" gilt. Allerdings
richten sich
nach einer Untersuchung nur 20 Prozent der befragten
Vorstandsvorsitzenden nach
den OECD-Kriterien und 30 Prozent nach den UN-Konditionen. Wann setzt
sich
endlich der Trend durch, dass sich Ethik auch in den Gewinnen
niederschlagen
kann?!
Der Dalai Lama befürwortet durchaus die Globalisierung,
fordert aber
gleichzeitig, "die Ressourcen der Welt gerechter zu verteilen".
Nach seiner Auffassung verfügen globale Unternehmen auch am
ehesten über "die
Mittel und die Kompetenz, Umweltprobleme zu lösen."
Zur Bekämpfung
der Armut empfiehlt der Dalai Lama u.a. die kontrollierte
Familienplanung und er
lobt die Idee der Mikrokredite, für die
Muhammad
Yunus und die Grameen-Bank aus Bangladesh den
Friedensnobelpreis 2006
erhielten. Der Dalai Lama verurteilt die These vom "Überleben
des Stärkeren",
wie sie in der sogenannten "freien Marktwirtschaft" häufig
vertreten
wird - in dieser Hinsicht könne man vom Sozialismus lernen,
der ein
Gleichheitsprinzip vertrete. Weder Wettbewerb noch Regulierung alleine
schaffen
einen angemessenen Lebensstandard für alle. Wichtige
Prinzipien bleiben für
den Dalai Lama: Armutsbekämpfung, eine nachhaltige Wirtschaft,
Schutz der
Menschenrechte
sowie die Erkenntnis, dass Stärke aus der
Vielfalt
der Kulturen
entsteht. Nur im Geiste einer universellen Verantwortlichkeit lassen
sich die
weltweiten Probleme lösen.
Alles zusammengenommen nennt der Dalai Lama die beiden fundamentalen
Prinzipien
eben die "Rechte Anschauung" und das "Rechte
Handeln" - Freiheit und Wohlstand für alle sind das
Ziel, welches in
einer von ihm sogenannten "verantwortlichen freien
Marktwirtschaft"
erreicht werden kann. Das vorliegende Buch ist zunächst nicht
mehr als ein
Appell - aber es versucht zumindest zu verdeutlichen, dass moralisches
Handeln
auch zu
Glück und Gewinn führen kann - wenn auch
die
Dividende sich gemächlicher
einstellt und weiter gestreut wird. Vielleicht sollten wir dieses Buch
unseren
Industriebossen auf den weihnachtlichen Gabentisch legen.
(KS; 07/2008)
Dalai
Lama, Laurens van den Muyzenberg:
"Führen, gestalten, bewegen.
Werte und Weisheit für eine globalisierte Welt"
Campus-Verlag, 2008. 255 Seiten.
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