Ursula Büttner: "Weimar"

Die überforderte Republik


Ein ausgezeichnetes Buch mit dem Potenzial zum Standardwerk

Ursula Büttner studierte Geschichte und Germanistik in Hamburg, Heidelberg und Cambridge und ist seit 1996 Professorin am Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Hamburg.

Man kann sich der Weimarer Republik zum wiederholten Male nähern und dennoch am Ende von einem Gefühl der Ratlosigkeit erfüllt sein: Musste das denn wirklich passieren? Hat denn niemand gesehen, worauf das hinauslaufen könnte und schließlich würde? Hans-Ulrich Wehler wird gelegentlich zitiert, dass die Weimarer Republik mit einem Vierteljahrhundert Hochkonjunktur, wie es der späteren Bundesrepublik vergönnt sein sollte, überlebensfähig gewesen wäre. Immerhin meisterte die Weimarer Republik die Revolutionswirren, die Hyperinflation von 1923, erreichte 1926 als Völkerbundmitglied wieder internationales Ansehen, konnte die schier atemberaubenden Reparationszahlungen auf ein erträgliches Maß reduzieren, baute den Sozialstaat aus - und scheiterte dennoch. Zu wenige Demokraten, heißt es gelegentlich. Doch nahezu fünf Prozent der Menschen waren in Parteien aktiv, Frauen erhielten das aktive Wahlrecht, auch das passive. Nahezu die Hälfte der Nobelpreise ging während der Zwanzigerjahre nach Deutschland. Der Kulturbetrieb erklomm unbekannte Höhen: Mann, Hesse, Döblin, das Bauhaus, Gropius, Höger, die Operette mit Künneke, Lincke und Kollo, Schönberg, der Impressionismus, der Expressionismus, der Kubismus, Beckmann, Dix, Klinger, Klee ... und Brecht natürlich, Tucholsky, Ossietzki. Und trotzdem reichte es nicht.

Die Währungskrise des Jahres 1923 war erstaunlich schnell wieder behoben, doch sie hinterließ riesige Schäden und viele Verlierer. Nach Eberts frühem Tod zwei Jahr später entstand ein Kampf um die Macht, der letztlich zugunsten Hindenburgs entschieden wurde, ein Zeichen, so die Autorin, "wie erfolgreich sich die Anhänger der alten Ordnung vom Schock der Revolution erholt hatten und wie sehr die Republik seither in die Defensive geraten war."

Die Weimarer Republik produzierte und erlebte auch eine unpräzedierte kulturelle Blüte, deren Wurzeln bis in die Vorkriegszeit zurückreichen, wie beispielsweise im Impressionismus. Dieses eigentliche Dilemma der Weimarer Republik tritt im Kapitel Kultur im Widerstreit zutage, wo es heißt: "Während die einen aus dem massenhaften Sterben im technisierten Krieg den Schluss zogen, dass nur der Pazifismus und Anstrengungen zur Versöhnung der Völker noch legitim seien, dienten die Opfer der Soldaten den anderen zur Begründung ihrer nationalistischen und revisionistischen Ziele."

Die unrühmliche Rolle der evangelischen Kirche im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert mit ihren Ressentiments gegen "die Katholiken und die Juden, gegen die Demokratie und die angeblich seelenlose moderne Zivilisation" trug wesentlich zum Scheitern der Weimarer Republik bei. Die Autorin schreibt: "Während sie den Tod des sozialdemokratischen Präsidenten Friedrich Ebert mit Schweigen überging, feierte sie den bekennenden Protestanten und Kriegshelden, Paul von Hindenburg, bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit großer Freude." Erich Fromm lässt hier bereits grüßen, findet der Rezensent.

Es ist bei der Autorin herauszulesen, dass sie den Zentrumspolitiker Brüning für den Hauptschuldigen am Scheitern des Parlamentarismus hält. Trotz Otto Brauns Erfolg versprechenden Bemühungen um eine große Koalition der Demokraten schlug Brüning dies in den Wind und regierte per Notverordnung und unter fahrlässiger Instrumentalisierung der SPD, die diesem Spagat den Verlust der Wählerstimmen in der folgenden Wahl schuldete. Die gnadenlose prozyklische Sparpolitik führte zur Deflation, und "solide Firmen erschienen plötzlich als überschuldet und brachen mit vollen Auftragsbüchern zusammen." Die mit Notwendigkeit folgende Finanzkrise hätte im Juli 1931 bei einer zu diesem Zwecke anberaumten Konferenz in London noch abgewendet werden können, doch Brüning verweigerte politische Zugeständnisse und reiste unverrichteter Dinge wieder ab. Alle Versuche, ihn von der Deflationspolitik abzubringen, scheiterten. Doch während man Brüning noch einen guten Willen unterstellen kann, fehlt dieser bei dessen Nachfolgern Papen und Schleicher. Und derweil spekulierten die Extremen links und rechts auf das Ende des verhassten Parlamentarismus.

Fazit:
Selbst wenn man sich nicht zum ersten Mal mit der Weimarer Republik beschäftigt, bleibt am Ende stets etwas wie Hilflosigkeit zurück, die in der Frage mündet: Hatte diese Weimarer Republik in ihrer inneren und äußeren Realität überhaupt eine Chance? Diese ruhelose, gehetzte, unglückliche und mit dem Untertitel dieses Buches auch überforderte Republik.

So sah sich der in Gang und Persönlichkeit stockende Joseph Goebbels eher als Inhaber der Immunität (IdI) oder des Freifahrscheins (IdF) denn als Mitglied des Reichstags (MdR), wie er in dem Nazi-Propagandablatt "Kampfzeit" verkündete. Und all die anderen Dunkelmänner sollen hier ungenannt bleiben, die die historische Chance nicht ergriffen, die eine selbstverwaltete Republik der Bürger bot. Insbesondere an den ausgeprägten Rändern, aber auch in der Mitte, zählten die Menschen nicht, nur die autoritären religiösen und politischen Systeme. Es kann als immanentes und tragisches Moment der Menschheitsgeschichte gelten, dass die Prediger der Repression dabei allerdings zuvörderst an andere denken und nicht so sehr an sich selbst: Den Interpreten und Administratoren der Systeme selbst ging es dabei immer gut. Doch gelegentlich lässt die Geschichte auch ein warnendes respice finem! vernehmen ...

Das vorliegende Buch präsentiert sich als eine Kombination aus chronologischer und systematischer Darstellung, die nur als außerordentlich gelungen bezeichnet werden kann. Der geschickt strukturierte und flüssig zu lesende Text wurde durch einen umfangreichen Anhang ergänzt. Das hundertseitige Verzeichnis der Quellen und Literatur ist mit einem eigenen thematischen Inhaltsverzeichnis versehen und kann als vorbildlich gelten.

Zum Schluss: Die vorsorglich eingerichtete Überschrift "Errata" im Rezensionsskript blieb bei diesem Buch leer. Das ist selten geworden und verdient Anerkennung.

(Klaus Prinz; 12/2008)


Ursula Büttner: "Weimar. Die überforderte Republik"
Klett-Cotta, 2008. 864 Seiten.
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Weitere Buchtipps:

Andreas Wirsching: "Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft"

In seiner zweiten Auflage diskutiert Andreas Wirsching in einem ausführlichen Nachtrag die Schwerpunkte der seit 2000 zu verzeichnenden Forschung und ergänzt die seitdem erschienene Literatur. Er führt dem Leser eingehend vor Augen, wie viele unterschiedliche Faktoren beim Untergang der Weimarer Republik zusammenwirkten. Zu keinem Zeitpunkt war das Scheitern der ersten deutschen Demokratie unausweichlich vorprogrammiert; doch ihr fehlte die Zeit, um aus der Krise von Weltkriegsniederlage und Revolution gestärkt hervorzugehen und zu einer stabilen "Normalität" zu gelangen. Dieses Grundproblem der Weimarer Republik schlug sich in ihrer ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklung gleichermaßen nieder. Wichtige Stichworte hierfür lauten: Probleme des Parlamentarismus und des Parteiensystems, die Überforderung der Weimarer Republik als Sozialstaat, die überwiegend prekäre wirtschaftliche Situation, Probleme der politischen Kultur, schließlich der politische Extremismus. (Oldenbourg Wissenschaftsverlag)
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Rüdiger Graf: "Die Zukunft der Weimarer Republik. Krisen und Zukunftsaneignungen in Deutschland 1918-1933"
Die Zukunft der Weimarer Republik wurde vor dem Hintergrund von Krieg und Revolution von den Zeitgenossen intensiv diskutiert. Auf breiter Quellengrundlage untersucht Rüdiger Graf die Zukunftsvorstellungen im gesamten politischen und intellektuellen Spektrum und zeigt, dass sich diese durch einen hohen Gestaltungsoptimismus, das weit verbreitete Bewusstsein, an einer Zeitenwende zu leben, sowie den Willen zur "Tat" auszeichneten. So arbeitet er die Grundlagen eines die Lager übergreifenden Konsenses heraus, auf dessen Basis die harten Auseinandersetzungen der Weimarer Republik erst entstanden. Grafs Analyse lässt die "Krisenjahre der klassischen Moderne" in neuem Licht erscheinen. (Oldenbourg Wissenschaftsverlag)
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Leseprobe:

26 Weimar: überforderte und mißbrauchte Demokratie

Diese zunehmende Verfassungsloyalität sollte nicht gering geachtet werden: Mehr war von Menschen, die sich dem Kaisertum emotional eng verbunden gefühlt und von der sozio-politischen Gestalt des Bismarck-Reichs profitiert hatten, wenige Jahre nach seinem Untergang nicht zu verlangen. Die Reichstagswahl im Mai 1928 schien die Konsolidierung der Republik zu bestätigen. Allerdings bezahlten alle bürgerlichen Parteien ihre zeitweilige Regierungsbeteiligung mit Wählerverlusten, und in allen kam es daraufhin zu einer Kräfteverschiebung nach rechts. In der DNVP setzte sich der radikale, strikt antiparlamentarische alldeutsche Flügel durch. Auch die Haltung der Unternehmerverbände verhärtete sich wieder. Doch erst unter dem Druck der beginnenden Weltwirtschaftskrise fielen jene fatalen politischen Entscheidungen, durch die sich die offene Situation immer mehr zu einer schlechten, wenn auch bis zum Ende nie aussichtslosen Zukunftsperspektive für die Republik verengte. Erst jetzt entstand jenes Machtvakuum, das die Verächter der Demokratie in der Umgebung des Reichspräsidenten für ihre Zwecke ausnutzen konnten. Der NSDAP gelang ihr grandioser Aufstieg von der politischen Sekte zur mächtigen "Volkspartei des Protests" vor allem aus zwei Gründen: Die eine Ursache war, daß breite Bevölkerungsschichten den Staat für die Verletzung ihrer elementaren Interessen verantwortlich machten, die soziale Gerechtigkeit grob mißachtet sahen und sich von den etablierten Parteien nicht mehr repräsentiert fühlten. Dazu kam als zweite Ursache, daß die politischen und gesellschaftlichen Eliten die rechtsradikalen Staatsfeinde in Dienst zu stellen hofften, statt sie energisch zu bekämpfen. Bereits in der Agrarkrise der späten zwanziger Jahre zeichnete sich ab, daß die politische Mobilisierung der empörten Landbewohner überwiegend der NSDAP zugute kam. In der Weltwirtschaftskrise bestätigte sich dieser Trend in den Städten. Je mehr sich die sozialen Spannungen verschärften, desto attraktiver wurden die ideologischen Angebote der NSDAP: Wiederherstellung der "Volksgemeinschaft" unter einem starken, gerechten "Führer", Zähmung der Kapitalisten und Vernichtung der "Bolschewisten". Die Widersprüchlichkeit der Parolen bot den verschiedenen Schichten Anknüpfungspunkte für ihren Protest. Angstgeplagten Bürgern machte die bei Demonstrationen und Aufmärschen zur Schau gestellte Durchsetzungskraft der Nationalsozialisten Mut. Junge Menschen wurden durch die Dynamik der "Bewegung" in besonderer Weise angezogen, und dies wiederum schien der NSDAP in den Augen vieler Älterer die Zukunft zu verheißen.

1930, als der schwere Konjunkturrückschlag harte finanz- und sozialpolitische Einschnitte erzwang, sich jedoch noch nicht zu einer fundamentalen Wirtschaftskrise ausgeweitet hatte, kündigte sich die Gefährdung der Republik von rechts bei der Septemberwahl in der sprunghaften, gewaltigen Zunahme der NSDAP-Stimmen an. Aber noch stand weniger als ein Fünftel der Wähler im nationalsozialistischen Lager. Die Bildung einer parlamentarisch verankerten Mehrheitsregierung unter Ausschluß der extremen Flügelparteien NSDAP, DNVP und KPD war weiterhin möglich und wurde nicht nur von demokratischen Politikern und Staatsrechtlern, sondern im Interesse politischer Stabilität zunächst auch von der Führung des Reichsverbands der deutschen Industrie gefordert. Dieser Weg setzte allerdings einen über alle Interessengegensätze hinwegreichenden Konsens voraus, die demokratische Verfassung unbedingt zu erhalten, und diesen Konsens gab es nicht. Vielmehr entschlossen sich die konservativen Machteliten jetzt, dauerhaft gegen die stärkste demokratische Partei, die SPD, zu regieren und vom parlamentarischen zum autoritären System überzugehen. Anders als ihre Vorgänger 1923 mißbrauchten sie die Notstandsbestimmungen der Verfassung, um die Verfassungswirklichkeit grundlegend zu verändern.

Den Spielraum, den die Reichsregierung durch die weitgehende Lösung vom Parlament und von den dort vertretenen gesellschaftlichen Kräften gewann, nutzte sie unter Brüning, um ohne Rücksicht auf die Volksstimmung eine rigorose Politik des Gesundschrumpfens und Großhungerns zu betreiben. Im Vertrauen auf den vermeintlich sicheren Rückhalt beim Reichspräsidenten glaubte der Kanzler, die wachsende Verzweiflung und politische Radikalisierung großer Teile der Bevölkerung ignorieren zu können. Weder die verbreitete, immer heftigere Kritik der Wirtschaftspolitik in der Presse noch die zunehmenden Warnungen von Wirtschaftsexperten noch die Abwendung wichtiger Interessengruppen, wie im Herbst 1931 der Industrieverbände und der DVP, konnten ihn zum Aufgeben der krisenverschärfenden Deflationspolitik bewegen. Dabei war ein solcher Kurswechsel inzwischen möglich, wie die Regierung Brüning durchaus erkannte. Aber wegen ihrer übergeordneten Ziele hielt sie an ihrer verhängnisvollen prozyklischen Finanzpolitik fest. Zuerst sollte Deutschland die Streichung der Reparationen erreichen und sich darüber hinaus unter Opfern eine gute Ausgangsposition verschaffen, um nach dem Ende der Weltwirtschaftskrise zu neuer Größe aufzusteigen. Auf die verzweifelte Proteststimmung im Land reagierte Brüning ebenso verständnislos wie auf den Zusammenbruch der "Heimatfront" am Ende des Ersten Weltkriegs. Es gehöre "zu den Eigenheiten des deutschen Volkes", so meinte er wenige Wochen vor seinem Sturz, kurz vor dem Ziel "den Mut zu verlieren und zusammenzuklappen". Sein Gesprächspartner, Staatssekretär Hans Schäffer, sah die Ursache für das drohende Scheitern der Regierung realistischer: Weil die Führer mit ihren Zielen die Kräfte des Volkes überforderten, würden immer wieder aus möglichen Erfolgen Niederlagen.

Was in den letzten acht Monaten der Republik folgte: Papens Projekt des "Neuen Staats" und Schleichers "Querfront"-Konzeption, waren aussichtslose Versuche politischer Dilettanten. Die Ansätze zur Restauration älterer Strukturen in der Ära Brüning wurden hemmungslos übersteigert: Statt wie Brüning das Parlament auf die passive Rolle der Duldung der Regierungsarbeit zu beschränken, trat Papen gegen 90 % der Abgeordneten zum Kampf an. Statt die Verfassung durch eine fragwürdige Interpretation heimlich zu verbiegen, proklamierte er offen den "Neuen Staat" nach Ideen der "Konservativen Revolution". Statt die SPD mit Hilfe des Notstandsartikels von der Reichsregierung fernzuhalten, beging er eindeutigen Verfassungsbruch, um sie in Preußen aus der Regierung zu entfernen. Statt Sozialleistungen und Löhne stark zu reduzieren, trieb das Kabinett Papen die Arbeitslosen und viele Arbeiter in die Armut. Statt nur besondere Rücksicht zu genießen, wurden Landwirte und Unternehmer unter Papen kraß bevorzugt. Die konservativen Retter Deutschlands wollten das Volk einen und trieben es an den Rand des Bürgerkriegs. Sie wollten den Staat aus dem Griff der Parteien und Interessengruppen befreien und lieferten ihn dem skrupellosesten Parteiführer aus.

Die Weimarer Republik mußte in der kurzen Zeit ihres Bestehens mit enormen Schwierigkeiten fertig werden. Wegen ihrer großen strukturellen "Vorbelastungen", der vielfältigen sozialen Spannungen, der Schwächen ihrer Eliten und der überzogenen Erwartungen ihrer Bürger war sie dafür schlecht gerüstet. Den letzten Stoß aber erhielt sie durch den revisionistischen Ehrgeiz einer konservativen politischen Führung, die seit der Ära Brüning inmitten einer dramatischen Wirtschafts- und Staatskrise danach strebte, die außen- und innenpolitische Niederlage von 1918 zu überwinden. (...)

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