Thomas Kraft: "Jakob Wassermann"


Jakob Wassermann gehört heute zu den (fast) vergessenen Autoren. Sein literarisches und essayistisches Werk schien nach 1945 niemanden mehr zu interessieren. Mit seinem Duktus fand er keine Leser mehr, und auch die Literaturwissenschaft nahm sich seiner nicht mehr an. Derweil agierte der aus Franken stammende jüdische Autor zu Beginn des 20. Jahrhunderts neben solch großen Namen wie Thomas Mann, Hermann Hesse und Stefan Zweig und war zu seiner Zeit ein erfolgreicher, viel gelesener Schriftsteller.
Erst in den letzten Jahren wurde Wassermann wiederentdeckt. Heute würdigen bekannte Literaturkritiker wie Marcel Reich-Ranicki die Bedeutung des Autors und seinen literarischen Rang.

Der promovierte Germanist und ehemalige Programmleiter des "Literaturhauses München", Autor und Literaturkritiker Thomas Kraft hat sich des beinahe Vergessenen angenommen und an sein Leben und seine Werke wie "Die Juden von Zirndorf", "Mein Weg als Deutscher und Jude", "Der Fall Maurizius" oder aber Wassermanns ersten großen Roman "Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens" erinnert. Vor allem mit der Geschichte dieses unbekannten Findelkindes und seines grausamen Schicksals ist Wassermanns Name verbunden.

Dabei handelt es sich bei der vorliegenden Biografie keineswegs um eine detaillierte Werkanalyse, sondern eher um eine zeit- und entwicklungsgeschichtliche Einordnung der Persönlichkeit Wassermanns. Thomas Kraft schildert das - stetigen Veränderungen unterworfene - Leben und die wechselhafte Karriere des nicht immer sympathischen Zeitgenossen, das sich zwischen Fürth, Berlin, München, Wien, Altaussee und immer wieder seiner fränkischen Heimat bewegte. Er schaut in das von Ehekonflikten und zahlreichen Verhältnissen mit anderen Frauen geprägte Privatleben, berichtet von den Freund- und Bekanntschaften, zu denen immerhin solch bedeutende Persönlichkeiten wie Ernst von Wolzogen, Frank Wedekind, Rainer Maria Rilke, Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler und eben auch Thomas Mann und Hermann Hesse zählten.
Zahlreiche Zitate von Zeitgenossen werden eingeflochten.

Vor allem die Darstellung der geistigen Bewegungen des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts ist Thomas Kraft wunderbar gelungen. Münchner Bohème, Heimatkunst und literarische Moderne, das "Junge Wien", Erster Weltkrieg, Revolution und Abgrund der zwanziger Jahre sowie der allgegenwärtige Zionismus sind dabei die Themen, mit denen Wassermann in Berührung kam oder mit denen er sich auseinandersetzte. "Sein Judentum wurde für [ihn] zu einer Quelle von Isolation und Benachteiligungen - eine Erfahrung, die seine Weltsicht durchgängig prägen sollte", so der Autor.

Conclusio:
Thomas Kraft hat eine lesenswerte Biografie über den beinahe vergessenen Schriftsteller Jakob Wassermann geschrieben, den Marcel Reich-Ranicki treffend als "radikalen Moralisten, aber mit einer Schwäche für billigen Pomp" und als "passionierten Psychologen mit dem Drang zur handfesten Kolportage" charakterisierte. Gleichzeitig zeichnet er ein stimmungsvolles Bild des beginnenden 20. Jahrhunderts bis zum aufkeimenden Nationalsozialismus.

(Heike Geilen; 04/2009)


Thomas Kraft: "Jakob Wassermann"
dtv, 2008. 260 Seiten.
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