Sven Friedrich: "Der Klassik(ver)führer. Sonderband Richard Wagner"
Gelesen von KS Wolfgang Schmidt
(Hörbuchrezension)
Der Orpheus alles heimlichen
Elendes - Tragik und Liebe als zentrales Leitmotiv in den Werken des
großen Richard Wagner
Konzertführer gibt es am großen Buchmarkt viele, vom
Hunderte Seiten starken bis zur kleinen Broschüre.
Wohl einzigartig in ihrer Machart, verlegt der kleine Auricula Verlag
aus Berlin
seit 2001 die Reihe "Klassik(ver)führer". Fünf
informative und -
mittels ausgewählter Klangbeispiele - musikalische
Hörbücher mit den schönsten
Themen der klassischen Musik, die in einer ausgewogenen Mischung aus
Musikstücken
und Kurzkommentaren sowohl Klassikneulinge als auch interessierte Laien
ansprechen, sind mittlerweile erschienen.
Im Jahr 2006 erweiterte Herausgeber Dr. Gerhard K. Englert sein
Sortiment mit einem komponisten- und werkbezogenen Band. Nach
Mozart und
Richard Wagners "Ring-Motiv" folgte der Sonderband "Richard Wagner",
für den sich Englert einen kompetenten Autor ins Boot geholt
hat: Dr. Sven Friedrich, Direktor des Wagner-Museums in Bayreuth. Gemeinsam mit
Sprecher Kammersänger Wolfgang Schmidt wird dem Hörer eine
thematisch in sich stimmige und musikalisch extrem gelungene Einführung in Richard Wagners
einzigartiges Werk geboten.
Auf drei CDs mit einer Gesamtspieldauer von 3 3/4 Stunden wird dem
interessierten Laien das Wagner'sche Schaffen anhand von umfangreichen
Musikauszügen und begleitenden Kommentaren zu Werk, Künstler, Zeit und
Lebensumständen des Komponisten präsentiert.
"Im wunderschönen Monat Mai, kroch Richard Wagner aus
dem Ei. Ihm wünschen, die zumeist ihn lieben, er wäre besser drin geblieben."
Dieses augenzwinkernde, Selbsterkenntnis beweisende Geburtstagsgedicht, 1855
von keinem Geringeren als Richard Wagner höchstpersönlich
geschrieben, wählt Sven Friedrich als Einstieg.
Deutlich getragener und pathetischer drückte sich dagegen in
seinem bedeutendsten Essay über Leiden und Größe
dieses unvergleichlichen Künstlers einer der prominentesten und kenntnisreichsten Bewunderer und zugleich
Kritiker Wagners - Thomas Mann – aus:
"Leidend und groß, wie das Jahrhundert, dessen
vollkommener Ausdruck sie ist, das neunzehnte, steht die geistige Gestalt Richard Wagners mir vor
Augen."
Klangzauberer mit einer Aura des Schwerverdaulichen
Am 22. Mai 1813, übrigens im selben Jahr wie
Giuseppe Verdi,
wird Richard Wagner als jüngstes von insgesamt neun Kindern des Polizeibeamten
Karl Friedrich Wilhelm Wagner und seiner Frau Rosine in Leipzig geboren. Im Lauf
seines siebzigjährigen Schaffens stand er mit seinem Gesamtwerk auf
dem Höhepunkt der romantischen Musik und beeinflusste viele Zeitgenossen und
spätere Komponisten erheblich.
Aber Wagner polarisiert wie kaum ein anderer Künstler die
Kunstwelt bis heute. Treffend umreißt dies Friedrich in seinem
Einführungskapitel: "Wohl an
keinem anderen Komponisten haben sich die Geister geschieden wie an ihm
(...) Gläubigen und manchmal zu blind verehrenden Wagnerianern stehen Musikfreunde
gegenüber, die gerade vor Wagner zurückschrecken. So umgibt diesen
einzigartigen Klangzauberer eine Aura des Schwerverdaulichen, Anstrengenden und
Fragwürdigen.
Schuld daran mag der bezwingende Riesenernst seiner manchmal
überlangen und schwergewichtigen Werke sein, deren affirmatives, mit Weltanschauung
aufgeladenes Pathos, aber auch die markerschütternde
Intensität seiner Musik, die dem einen oder anderen vielleicht zu aufgesetzt theatralisch oder
auch zu affektiert und emotional erscheint. Wagner gestattet keine
Neutralität, sondern erzwingt ungeteilte Aufmerksamkeit.
Sein dauernder und manchmal fast aufdringlicher Appell an die innersten
Seelenregungen mobilisiert starke Gefühle, von begeisterter
Hingabe bis zu feindseliger Ablehnung."
Sänger der menschlichen Seele
Doch Richard Wagner ist und bleibt vor allem der "Sänger der
menschlichen Seele", "der
Orpheus
alles heimlichen Elendes", wie ihn
Friedrich
Nietzsche einmal bezeichnete.
Auch wenn es manchmal Mühe und Geduld kostet sich ihm zu
nähern - der Maler Franz von Lenbach bezeichnete seine Musik einmal als
"Lastwagen zum Himmelreich" -, so ist doch der Lohn "jene
Erhebung, jenes Glück und auch jener Trost, den eben nur die Kunst spenden kann", wie
der Autor treffend feststellt.
Übrigens - auch dies findet Erwähnung - ist Wagner
gleichfalls ein Fall für Zahlenmystiker: geboren im Jahr 1813, dessen Quersumme wiederum 13
ergibt, enthält sein Name 13 Buchstaben. An einem 13. Januar, genau 13 Monate vor
seinem Tod, am 13. Februar, vollendet Wagner sein 13. und letztes Bühnenwerk.
Und 113 unvergleichliche Werke hinterließ Wagner, die
allesamt beredtes Zeugnis großer abendländischer Geistes- und Kulturgeschichte
sind.
Unvergleichlich auch das emotionale, Schauer erzeugende
"Tannhäuser"-Finale, mit dem dieser großartige "Klassik(ver)führer"
schließt.
Sorgfältige Musikauswahl und ausführliches Begleitheft
Inhaltlich richtet sich der "Klassik(ver)führer Richard
Wagner" an alle Kulturinteressierten, egal ob Neuling oder Kenner, wohingegen
für echte Wagnerianer wohl keine allzu großen Neuigkeiten an den Tag
gebracht werden. Vorwissen über klassische Musik ist kaum
erforderlich, sondern nur die Bereitschaft, sich damit zu beschäftigen.
Ein Hörgenuss ersten Ranges ist diese einzigartig kommentierte
Zusammenstellung der populärsten Themen aus Wagners Schaffen, in weitgehend
chronologischer Anordnung, auf jeden Fall. Sie bietet dem Hörer einen idealen
Überblick über die musikalische und persönliche Entwicklung Wagners.
Besonderes Lob gilt der sorgfältigen Musikauswahl, die auch
die frühen, seltener gehörten Werke ("Die Feen", "Das Liebesverbot")
nicht vergisst.
Ein ausführliches Begleitheft benennt in der Titelliste neben
dem Tag der Uraufführung auch den damaligen und den auf dieser CD zu
hörenden Klangkörper
und seinen Leiter sowie die jeweiligen Solisten. Bei Werkausschnitten
(einzelnen Sätzen) sind immer alle Satzbezeichnungen aufgeführt
und nur die hörbaren fett gedruckt, wodurch der Hörer einen
Gesamtüberblick behält und dadurch
motiviert wird, vielleicht das komplette Werk zu hören.
Einziger kleiner Kritikpunkt ist die zwar versierte und kenntnisreiche,
aber akustisch "blass" präsentierte, immer aus dem Hintergrund zu
kommen scheinende, etwas zu farblose Stimme von Kammersänger Wolfgang
Schmidt.
Fazit:
Auf verständliche, spannende und musikalisch hervorragend
ausgewählte und arrangierte Art wird das bewegte und schicksalhafte Leben von Richard
Wagner präsentiert.
Der interessierte Laie wird anhand von 36 populären Themen,
die ausschnittsweise vorgestellt, kommentiert und zueinander in Bezug
gesetzt werden, an das Schaffen des genialen Künstlers
herangeführt.
Auriculas Klassik(ver)führer "Richard Wagner"
verführt im wahrsten Sinne des Wortes und macht Lust auf mehr
Wagner.
(Heike Geilen; 05/2008)
Sven Friedrich: "Der
Klassik(ver)führer. Sonderband Richard Wagner"
Gelesen von KS Wolfgang Schmidt.
Auricula Medienproduktions Gmbh, 2007. 3 CDs; Laufzeit ca. 219 Minuten.
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Ein Buchtipp:
Iris Winkler: "Schönheit, Glanz, Wahn. Richard Wagner und die Magie der
Musik"
Mit zweifarbigen Illustrationen von Hans Balzer und Fotos.
Er war rücksichtslos und größenwahnsinnig, seine Zeitgenossen feierten ihn, und
noch heute gilt er als eines der größten deutschen Musikgenies. Richard Wagner
hat ein ungemein schillerndes Leben geführt, das auch heute noch jeden in seinen
Bann zieht.
Iris Winkler erzählt von einem ebenso schwierigen wie faszinierenden Menschen,
der in seinem Leben wie in seiner Kunst ständig die Grenzen überschritt. Richard
Wagner war voller Gegensätze, er war ein Revolutionär und ein Freund des Königs,
er schuf in seinen Opern mächtige Fantasiewelten, verletzte absichtlich die
bestehenden Regeln der Musik und fand für die damalige Zeit ungewohnte,
unverschämt aufreizende Klänge. Dieses Buch schafft nicht nur einen Zugang zu
Wagners Gedankenwelt, sondern erklärt auch seine musikalische Leistung und spürt
der Anziehungskraft nach, die von diesem Künstler und seinem Werk bis heute
ausgeht - und es weckt den Reiz, es einmal selbst mit Wagner zu versuchen. (Bloomsbury)
Buch
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