Hubert Wolf: "Papst & Teufel"
Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
Das
Schweigen der Kurie
Seit Jahrzehnten sieht sich die katholische Kirche mit der Frage
konfrontiert,
warum sie, vor allem der Vatikan, zu den Gräueln des
Naziregimes geschwiegen
hat, über die sie durchaus informiert war. Insbesondere Papst
Pius XII., ab
1939 das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, wird
vorgeworfen, die
politischen Möglichkeiten seines Amtes nicht einmal
ansatzweise ausgenutzt zu
haben.
Seit kurzem stehen Historikern die Archive des Vatikans zumindest
bezüglich der
Unterlagen bis 1939 offen. Das hierdurch zugänglich gewordene
Material bietet
viele neue und zum Teil erstaunliche Ansatzpunkte für die
Diskussion zur Rolle
der katholischen Kirche während des Dritten Reichs.
Der Autor des vorliegenden Buchs gibt zunächst einen
Überblick über die
neuartigen Aufgaben und Herausforderungen, mit denen sich der Vatikan
im
ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert konfrontiert sah.
Denn diese stellen
eine Grundvoraussetzung dar zum Verständnis des weiteren
Vorgehens der Kirchenführung.
Auch erläutert Wolf das Geschehen rund um die
geheimnisumwitterten Archive des
Vatikans.
Eine zentrale Figur für das Verhältnis zwischen
Vatikan und Deutschland stellt
Eugenio Pacelli dar, der spätere Papst Pius XII. Als
päpstlicher Nuntius in
Deutschland von 1917 bis 1929 tritt er bereits im ersten Kapitel in der
Rolle
eines Protagonisten auf, da er den deutschen Bischöfen
gegenüber weit
reichende Befugnisse hatte. Zugleich aber lernt der Leser das Dilemma
der Kirche
bezüglich der Bischofsernennung kennen, denn hierbei musste
die Kirche dem
Staat gegenüber konzedieren, weshalb für den Vatikan
die Erwirkung eines
Konkordats so wichtig erschien. Dieses Konkordat wurde bekanntlich mit
Hitler
abgeschlossen - ob dies um den Preis des Stillschweigens angesichts der
Gräuel
gegenüber den Juden geschah, wird zum Hauptthema des Buchs.
Das komplizierte
Selbstverständnis der Kirchenführung
bezüglich der Politik zeigt sich auch an
ihrem im ersten Kapitel mit betrachteten Umgang mit der katholischen
Zentrumspartei Deutschlands.
Im zweiten Kapitel wird das
Verhältnis
des Vatikans zu den
Juden detailliert
beleuchtet: 1928 regten zahlreiche ranghohe Katholiken, bereits mit
Auswüchsen
des Antisemitismus konfrontiert, eine Änderung explizit
judenfeindlicher Teile
der Karfreitagsliturgie an, zu der es auch auf Pacellis Betreiben hin
nicht kam.
Daher wird die für die Betrachtung der folgenden Jahre
relevante Frage
diskutiert, ob von einem "Antisemitismus auf katholisch" die Rede sein
kann.
Die Arbeit hin zum Reichskonkordat von 1933 ist Gegenstand des dritten
Kapitels.
Dieses Konkordat sollte den deutschen Katholiken Freiheit bei der
Ausübung
ihrer Religion gewähren und beinhaltete eine stillschweigende
Tolerierung der
NS-Regierung, weshalb sie gern als "Pakt mit dem Teufel" betrachtet
wird. Pacellis Notizen hierzu sind dank der Archivöffnung
zugänglich und führen
zu neuen Erkenntnissen in Bezug auf die Motivation des Vatikans.
In den beiden letzten Kapiteln schließlich geht es um die
Zeit zwischen 1933
und 1939: um mangelnde oder fehlende Reaktionen der Kurie auf bewegende
Bittschreiben von Juden, Pius' XI. späte Kehrtwende in
Richtung öffentlicher
Kritik der NS-Politik und Pius' XII. Verhältnis zu Bischof
Galens todesmutigem
Engagement sowie um den Spagat zwischen
katholischem Dogma
und dem
scheinbaren
Zwang zu Diplomatie im Umgang mit den Nationalsozialisten.
Das in diesem Buch aufgearbeitete Thema ist zu vielschichtig und zu
komplex,
zumal angesichts der nach wie vor nur lückenhaften
Dokumentation vieler
Entscheidungen und Entscheidungsfindungen, als dass am Ende ein
gänzlich
befriedigendes Fazit stehen könnte. Immerhin aber bietet das
Werk außer einer
gründlichen Einführung in die Situation der Kirche im
frühen 20. Jahrhundert
und der Präsentation einer Fülle von Fakten auch
sorgfältige, datengestützte
und ausgewogene Interpretationen und bietet dem an
Objektivität interessierten
Leser einen Zugang zu den Persönlichkeiten und Gremien des
Vatikans, die für
die folgenreichen Beschlüsse der 1920er- und 1930er-Jahre
verantwortlich
zeichnen. Manche dieser Entscheidungen, die ohne die im Buch
vorgestellten
Grundlagen unverständlich bleiben, wird man nach der
Lektüre nachvollziehen können,
wenn auch vielleicht nicht billigen; andere nicht.
Der Autor entwirft ein interessantes Porträt von Eugenio
Pacelli, dem späteren
Pius XII., und untersucht das höchst schicksalhafte
Verhältnis zwischen Papst
Pius XI., der gegen Ende seiner Amtszeit öffentlich gegen die
NS-Regierung
sprach, und seinem Kardinalstaatssekretär Pacelli, dem das
Reichskonkordat und
damit diplomatisches Lavieren gegenüber den Nazis am Herzen
lag. Da der Autor
als Historiker danach trachtet, frei von Vorwürfen oder
Rechtfertigungen Fakten
zu präsentieren und zu interpretieren, muss sich der Leser
letztlich eine
eigene Meinung bilden, was ihm, gleichgültig, wie er zur
Kirche steht, nach der
Lektüre kaum pauschal möglich sein wird.
Das Buch enthält zahlreiche Fotografien der "Protagonisten"
und nebst
Anmerkungen auch eine Zeittafel, die man angesichts der komplexen
Vorgänge während
des betrachteten Zeitraums als Leser zu schätzen
weiß.
Da das Buch zudem allgemeinverständlich und packend
geschrieben ist, kann es
allen, die sich für dieses dunkle Stück
Kirchengeschichte
interessieren,
bestens empfohlen werden.
(Regina Károlyi; 08/2008)
Hubert
Wolf: "Papst & Teufel. Die Archive des Vatikan und
das Dritte Reich"
C.H. Beck, 2008. 360 Seiten.
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Buchtipps:
Alexander Smoltczyk: "Vatikanistan. Eine Entdeckungsreise durch den
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Geheimnisse aus dem Reich des Papstes. Von der Notfallnummer des
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Michael
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Die bevorstehende Seligsprechung Papst Pius XII. hat die Debatte um
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der Papst die Gräueltaten
Hitlers stoppen können, indem er Krieg und
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öffentlich
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(Sankt Ulrich Verlag)
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Klaus
Kühlwein:
"Warum der Papst schwieg. Pius XII. und der Holocaust"
"Was wird die Geschichte wohl zu meinem Schweigen sagen?"
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heftig
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Das spannend erzählende Sachbuch bringt anhand erst heute
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Zurückhaltung
und der Pflicht zu öffentlichem Aufbegehren gewann. (Patmos)
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Martha
Schad:
"Gottes mächtige Dienerin. Schwester Pascalina und Papst Pius
XII."
Schwester Pascalina Lehnert (1894-1983) trat als 24-Jährige in
den "Hausdienst"
bei Nuntius Eugenio Pacelli, folgte ihm von München nach
Berlin und dann nach
Rom. Selbst als er zu Papst Pius XII. gekrönt wurde, blieb sie
in seinem
Dienst. Insgesamt stand sie vierzig Jahre lang an der Seite des
Papstes.
Pascalina stieg mit den Jahren von der einfachen Haushälterin
auf zur
einflussreichen Privatsekretärin und Vertrauten, zur
Begleiterin vieler seiner
apostolischen Reisen. Sie hatte die Macht, zu Audienzen zuzulassen oder
Besuche
beim Papst zu verhindern. Sie war eng vertraut mit den
Kardinälen Spellman aus
New York und von Galen aus Münster.
Nach dem Krieg wurde sie den Deutschen, speziell den
Münchnern, zum Segen. Sie
leitete das päpstliche Hilfswerk und arbeitete eng zusammen
mit Kardinal
Michael von Faulhaber, im unermüdlichen Dienst der Versorgung
der Ärmsten.
Schwester Pascalina pflegte einen äußerst regen
Briefwechsel. Ausgehend von
diesem, bisher weitgehend unveröffentlichtem Briefmaterial
zeichnet Martha
Schad den Lebensweg der bayerischen Schwester, die bis zu ihrem Tod dem
Dienst für
Gott und an den Menschen treu blieb. Dabei entsteht ein neues Bild von
der
"Hüterin des Papstes", wie Schwester Pascalina genannt wurde,
das
bisher unbekannte Facetten ihres Lebens und Wirkens aufzeigt. (Herbig)
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