Igor und Grichka Bogdanov: "Reise zur Stunde Null"
Die Ursprünge des Universums
"Wenn
Sie religiös sind,
dann ist es so, als würden Sie Gott sehen."
(George Smoot, Astrophysiker, Nobelpreis für Physik 2006)
Jules Verne reiste "In 80 Tagen um die Welt", "20.000
Meilen
unter den Meeren",
zum Mittelpunkt der Erde und "Von
der Erde zum
Mond".
Wie ein spektakulär illustrierter Zukunftsroman aus seiner
Feder mutet auch das
vorliegende Buch "Reise zur Stunde Null" der Autoren Igor und Grichka
Bogdanov an. Doch die Zwillingsbrüder sind keine
Schriftsteller fantastischer
Literatur, sondern promovierte Wissenschaftler, Igor in Theoretischer
Physik,
Grichka in Mathematik, und zwei der bekanntesten Publizisten
Frankreichs. Sie überbieten
Jules Verne und reisen mit dem interessierten Leser zur absoluten
Stunde Null -
dem Ursprung nicht nur unseres Sonnensystems, nein, gar des gesamten
Universums.
Jeder hat schon einmal in die faszinierenden Tiefen eines wolkenlosen
Nachthimmels geschaut, den Blick "der
Unendlichkeit
zugewandt. Über uns
ist alles still. So weit das Auge reicht, tauchen Myriaden von Sternen
in die
Abgründe einer grenzenlosen Leere. Bis wohin? Wenn wir immer
geradeaus gingen,
entfernen wir uns dann immer weiter von unserem Ausgangspunkt? Oder
kämen wir
eines Tages wieder hierher zurück? (...) Schauen wir nun
senkrecht gen Himmel:
Im Zenit schlängelt sich ein silbriges Band über das
Firmament: die Milchstraße
- unsere Galaxie, deren Rand wir von innen heraus erblicken",
so
beginnen die zwei Wissenschaftler ihre virtuelle Reise, an deren Ende
die von
George Smooth zitierte Titelüberschrift absolut zutreffend
erscheint.
5.000 Sterne können wir mit bloßem Auge erblicken,
Abermilliarden gibt es, 200
Milliarden allein in unserer Galaxie. Nach neuesten
Schätzungen besteht das
Universum aus mehr als 100 Milliarden Galaxien. Man fragt sich: Ist das
Universum endlich? Wenn ja, was ist dahinter? Und was hat es mit dem
großen
Urknall auf sich, dem allerersten Moment des Kosmos, dem absoluten
Anfang von
Raum und Zeit, den sogar
Albert Einstein
in Frage stellte, letztendlich
jedoch
die 1922 aufgestellte, bahnbrechende These des russischen Mathematiker
Alexander
Friedmann als korrekt bestätigte?
Reise durch den Weltraum
Mittlerweile ist die Wissenschaft schon viele Schritte weiter und kann
sich auf
relativ gesicherte Erkenntnisse beziehen: Der Kosmos dehnt sich nicht
nur aus,
sondern erfährt auch noch eine Beschleunigung. Die Ursache
dieses sehr rätselhaften
Phänomens liegt bis heute im Dunkeln. Und auch über
den Moment des
eigentlichen Urknalls kann nur spekuliert werden. Prozesse, die
außerhalb des
Vorstellbaren liegen, mit Größenordnungen von
unvorstellbarer Winzigkeit und
gleichzeitig ungeheurer Größe. Zahlen im Bereich 10
hoch Minus 43 Sekunden -
der sogenannten Planck-Zeit (benannt nach Max Planck)
oder 1 Milliarde
Milliarden Milliarden Kelvin sind keine Seltenheit.
Auf jeden Fall erzeugt die Reise zu unserem Ursprung mehr als einmal
Stauen,
Ehrfurcht und Achtung. Albert Einstein traf den Ton
diesbezüglich korrekt, als
er meinte, "Man gewinnt die Überzeugung, dass sich
in den Gesetzen des
Universums ein Geist offenbart - ein Geist, der dem des Menschen bei
weitem überlegen
ist und gegenüber dem wir uns angesichts unserer bescheidenen
Kräfte ärmlich
vorkommen müssen."
Das Buch gliedert sich in zwei Teile: Reise durch den Weltraum und
Reise durch
die Zeit. Der erste ist eine relativ gut verständliche
Einführung in die
Weiten unseres Universums, beginnend in unserer eigenen Galaxie, der
Milchstraße.
Wir fliegen beinahe wie die Besatzung des "Raumschiffs Enterprise" vom
Merkur bis zum äußersten Gürtel unseres
Sonnensystems, dem neunten und
letzten "Planeten" Pluto, dem am 24.08.2006 die Internationale
Astronomische Union den Status eines vollberechtigten Planeten
aberkannte und
ihn in die Schublade der "Zwergplaneten" steckte.
Igor und Grichka Bogdanov stehen uns immer als
äußerst kompetente Reiseführer
zur Seite.
Spektakuläre Fotografien von Geysiren auf dem Saturnmond
Enceladus, von der wüsten,
steinübersäten roten
Marslandschaft
oder die atemberaubende Schönheit unserer Erde vom Mond aus
gesehen gebieten
beim Lesen fasziniert Einhalt. Obwohl die meisten dieser Fotos am
Computer
erzeugte künstlerische Darstellungen sind, offenbaren sie
trotz alledem ein
hohes Maß an Authentizität und wirken niemals
kitschig oder unglaubwürdig.
Sie bestechen durch eine ausgezeichnete Bildbandqualität.
Nachdem wir unser Sonnensystem verlassen haben, gleiten wir in die
Weite der
Milchstraße, vorbei an Alpha Centauri, wo die Wissenschaft
einen der Erde
ähnlichen Planeten und damit eventuelles intelligentes
Leben vermutet. Wir
sehen blaue Zwerge und rote Riesen, kollidierende Galaxien, betreten
eisige
Steinwüsten, durchfliegen unvorstellbar heiße
Gaswolken, planetarische Nebel
oder Scheiben aus molekularer Materie und unternehmen sogar einen
Abstecher ins
Innere eines Schwarzen Loches.
Reise durch die Zeit zur Stunde Null
Nach diesem auch für den Laien relativ verständlichen
und "sanften"
Einstieg drehen die beiden Autoren die Zeitachse um. Wieder
zurück auf der Erde,
fliegen sie nun in die Vergangenheit, erst in die unseres Planeten, wo
wir
Zeitzeugen mächtiger
Meteoriteneinschläge
werden, die zum einen die Saurierära beendet haben
könnten und noch viel früher
zur "Geburt" unseres Mondes führten.
Aber es geht weiter zurück, bis ins Jahr 380.000 nach dem
Urknall, sieben
Milliarden Jahre vor unserer Zeit. In dieser unvorstellbar entfernten
Ära gab
es noch keine Galaxien. Trotzdem ein bedeutender Zeitpunkt, da in
dieser Phase
die uns bekannte gewöhnliche Materie entstand. Gesicherte
Erkenntnisse liefert
eine Aufnahme des "NASA"-Satelliten "WMAP".
Doch auch diese wissenschaftlich bewiesene Region wird verlassen, und
wir
befinden uns fortan im spekulativen bzw. theoretischen Raum, der mit
dem Stand
der heutigen Technik nicht mehr beobachtet werden kann. Igor und
Grichka
Bogdanov überspringen die Plancksche Mauer, um sich in das
"Davor" zu
wagen. Für die Autoren eine Ursuppe aus imaginärer
Zeit und einer Dualität
aus Energie und Information, in der ein "Quantensturm" tobt und die
Raumzeit verzerrt.
Hier stößt die Informationsvermittlung für
den Laien an ihre Grenzen. Es
wimmelt von Fachausdrücken, physikalischen Konstanten und
Inkonstanten. Da
helfen auch großartige Computergrafiken nichts mehr. Der nur
mit seinem
schulphysikalischen Verständnis ausgestattete Leser kann
Begriffen wie der
euklidischen vierdimensionalen Raumzeit, Instantonen, magnetischen
Monopolen und
KMS-Zuständen nicht mehr folgen.
Trotzdem ist "Die Reise zur Stunde Null" ein spektakuläres und
faszinierendes Buch, das dem interessierten Laien einen wirklich
fulminanten
Eindruck von den umwerfend neuen Erkenntnissen der modernen Astronomie
vermittelt. Allein die 150 großformatigen, farbigen Fotos und
Bilder, die
jeweils sehr anschaulich erläutert werden, lohnen den Blick
ins Buch.
Viele passend platzierte Zitate von bekannten
Persönlichkeiten, ein Vorwort von
Dr. Joachim Bublath und ein Glossar runden dieses
äußerst gelungene Werk ab.
Fazit:
"Niemand wird unter einem schlechten Stern geboren: manche
verstehen es
einfach nicht, den Himmel zu lesen." (Dalai Lama)
Mit diesem großartigen Buch von Igor und Grichka Bogdanov,
das beinahe ein
sinnliches, aber auf jeden Fall ein atemberaubend intellektuelles
Vergnügen
ist, fällt es jedenfalls ein bisschen leichter.
(Heike Geilen; 06/2008)
Igor
und Grichka Bogdanov: "Reise zur
Stunde Null. Die Ursprünge des Universums"
(Originaltitel "Voyage vers L'instant zéro")
Übersetzt von Julian Löffler, Nikola Kolig.
Theiss-Verlag, 2008. 185 Seiten.
Buch
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