Roland Topor: "Tragikomödien"
Herausgegeben von Daniel Keel und Daniel Kampa
Infantil
obszön
Roland Topor (1938-1997) gilt als bizarr - als Autor, Grafiker und
Schauspieler
wollte er "Anstoß erregen und Anstoß
nehmen", wie Arnon Grünberg
sein Vorwort übertitelt. Herausgegeben von Daniel Keel und
Daniel Kampa sind
hier Erzählungen, Manifeste und Selbstaussagen
zusammengestellt. Auf die Frage,
was er am liebsten wäre, antwortete Topor: "Gott"
- und auf
die Frage, was er am liebsten mache: "Schlafen".
Denn wie sagt
eine seiner Figuren: "Solange ich in den Federn liege, gebe
ich kein
Geld aus, rauche und trinke ich nicht und rede weniger Blech"
(aus:
'Morgentief'). Man mag Topors Werk auf die Essenz 'infantil' und
'obszön' oder
eigentlich 'infantil obszön' bringen, wie es von Kritikern
auch immer wieder zu
hören war - aber ihm ist eben mit "hausbackenem
Moralismus ... nicht
beizukommen." Topor schrieb einmal: "Moral und
Kunst sind nicht
dasselbe." Und so meinte er es ernst, dass er nichts ernst
meinte - und
er meinte es nicht ernst, dass er alles ernst nahm.
Manche Geschichten sind tatsächlich nur albern, andere
wenigstens makaber, wie
z.B. die Wahl der Miss World, die nach einem
Busunglück mit den toten
und verwundeten Körpern der gemeldeten Mädchen
durchgeführt wird. In anderen
Geschichten passiert etwa Folgendes: Leute sind verrückt,
leben plötzlich im
falschen Jahrhundert oder verkehren mit Marsmenschen. Häufig
geht es um Typen,
die Nachtbars besuchen, gelinkt werden oder schräge
Vögel treffen, die glauben
es sei normal, in Nachtbars zu gehen und schräge
Vögel zu treffen oder gelinkt
zu werden. Eine der Grundmaximen, die sich aus den Geschichten
herausschält,
lautet: "In diesem Leben gibt es Ficker und Gefickte, und ich
will nicht
zu den Letzteren gehören." Eine weitere eher makabre
Erkenntnis geht
so: "Merkwürdig, wie erträglich die Leute
werden, sobald sie gestorben
sind."
In der Geschichte 'Das Wachs und die Lohe' geraten zwei völlig
unterschiedliche
Schriftstellertypen aneinander - und ausgerechnet der kitschigere will
dem
anspruchsvolleren gute Ratschläge für seinen neuen
Roman geben. Die Gedanken
des progressiveren muten etwas autobiografisch an: "Ich bin
ein
avantgardistischer Schriftsteller. Ich habe ein kleines, aber erlesenes
Publikum. Nie mehr will ich versuchen, einen Bestseller zu fabrizieren!"
Das ließe so ganz nebenbei die Frage diskutieren, wer
letztendlich überhaupt
über die Qualität eines literarischen Werkes
bestimmt?! Oder: wie viele "Bestseller"
werden in der seriösen Literaturgeschichte
überdauern?! Oder: welchen
Stellenwert wird literarische Qualität in der
künftigen Welt überhaupt noch
haben?! Mit welchen Kriterien wird man literarische Qualität
und ihre
Unverzichtbarkeit überhaupt noch jemandem erklären
können?! Der
anspruchsvolle Autor aus obiger Geschichte kommt kitschigerweise durch
einen
Lotteriegewinn zu Geld und kann sich so "den Luxus leisten,
unverständliche
Dinge zu schreiben" - mit der Konsequenz: "Die Zahl
meiner
Leser ist noch mehr geschrumpft, aber ich beklage mich nicht."
Und
irgendwo zwischen Kitsch und Anspruch laviert Topor - und irgendwie
scheint ihm
das bewusst und lästig zugleich zu sein. Sonst würde
er wohl nicht des öfteren
die Schriftstellerei zum Sujet seines Schreibens machen, oder?!
In der Geschichte 'Ein Kampf auf Leben und Tod' versucht ein Verleger
seinem
Erfolgsautor besseres Schreiben, sprich einen gepflegteren Stil
beizubringen -
worauf dieser reagiert: Das Buch "verkauft sich ausgezeichnet
(...) Ich
verstehe überhaupt nicht, was die Sprache damit zu tun hat!"
Da haben
wir das Dilemma! Wie kann ein Autor mit schlecht geschriebenen Texten
zufrieden
sein?! Und warum kauft ein Massenpublikum schlecht geschriebene Texte?!
Topor
beantwortet diese Fragestellung nicht, denn seine Ideen bewegen sich
zwischen
banal bis abwegig, seine Sprache (soweit sie der Übersetzer
kongenial
nachempfunden haben möge) ist die eines durchschnittlich
gebildeten Mitteleuropäers.
Seine Themen sind gelinde Schlüpfrigkeiten, die Verzweiflung
und der Tod. Die
Liebe ist für ihn nur eine Farce, das Leben ist purer
Anarchismus - und vor dem
Tod wartet bezeichnenderweise eine Zollstation. Topors Tonfall ist
bisweilen
zynisch bis eben infantil oder obszön: "Die Zukunft
ist eine Ziege. Die
Vergangenheit ist ein Tiger. (...) Und die Gegenwart? (...) Das ist der
Atem des
Tigers. Und der Furz der Ziege." Aber vielleicht ist das ja
auch
metaphorisch-parabolisch zu verstehen.
Den Gipfel der Provokation erreicht Topor wohl in seinem Manifest
'Hundert Gründe,
mich auf der Stelle umzubringen". Grund 49 ist: "Ich will
unbedingt
einem anderen die ärgerlichen Folgen eines Mordes ersparen."
Oder
Grund 80: "Damit man mich schön macht, wenn ich kalt
bin."
Oder gar Grund 91: "Damit die anderen meinem Beispiel folgen."
Nun ja, das sind allerdings Provokationen auf dem Niveau eines
Klassenkaspers.
Etwas Wahrheit steckt wohl schon in Topors Antwort auf die Frage: "Ihre
gegenwärtige Geistesverfassung?" - "Fortgeschrittener
Gagaismus." Im Übrigen spricht er von seinem "Panik-Stil"
und schwärmt für die Vorgänger der
Surrealisten - wobei er sich selbst als "Possenreißer"
bezeichnet. Er sieht sich jedenfalls nicht als "Chronist der
Wirklichkeit", sondern lebt nach eigenem Bekunden beim
Schreiben und
Zeichnen lediglich seine Fantasien aus. Insgesamt gilt es schon ein
wenig zu
sondieren, welche seiner Geschichten wirklich unserem
Wahrnehmungsbedürfnis
entsprechen.
(KS; 07/2008)
Roland
Topor: "Tragikomödien"
Herausgegeben von Daniel Keel und Daniel Kampa.
Aus dem Französischen von Brigitte Große und Ursula
Vogel.
Mit einem Vorwort
von Arnon
Grünberg.
Diogenes, 2008. 348 Seiten.
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Roland
Topor wurde am 7. Jänner 1938 in Paris geboren. Er starb am
16. April 1997. Sein jüdisch-polnischer Vater war 1929 mit
einem Stipendium nach Paris an die Kunstakademie gekommen, die dann
auch Topor besuchte, aber nur, um nicht zur Armee nach Algerien
eingezogen zu werden. Die Okkupation durch die deutschen Truppen
überlebte die Familie versteckt auf dem Land.
Erste Zeichnungen veröffentlichte Topor 1958 in der
Zeitschrift "Bizarre", und das Bizarre wurde seine
Spezialität, in der Grafik, der Literatur, im Theater und im
Kino. Er machte Zeichnungen für die Laterna-magica-Sequenz in
Fellinis
"Casanova". Für die Bayerische Staatsoper stattete er "Ubu
Rex" von Penderecki aus, er trat als Schauspieler auf in Werner Herzogs
"Nosferatu" und Volker Schlöndorffs "Eine Liebe von Swann",
entwarf Plakate für Oshimas "Im Reich der Sinne" und
Schlöndorffs "Die Blechtrommel".
Seinen Roman "Der Mieter" hat Roman Polanski verfilmt.