Isabella Ackerl, Ingeborg Schödl, Robert Bouchal: "Der schöne Tod in Wien"

Friedhöfe - Gruften - Gedächtnisstätten


Auf Friedhöfen spazieren zu gehen gilt gemeinhin als nicht allzu beliebt. Es gibt andere Beschäftigungen, die einen stärkeren Reiz ausüben. Dabei kann der Flaneur auf Friedhöfen jede Menge entdecken. Gräber und Grabinschriften erzählen Geschichten.

Tod und Vergänglichkeit sind Themen, die mittlerweile nicht einmal mehr nach Wien passen. Die eigene Relativität wird verdrängt und stattdessen lieber der Spaßgesellschaft gehuldigt, solange es noch irgendeinen Spaß zu erleben gibt. Das Jenseits gilt als unheimlich, und Friedhöfe erzeugen ein ungutes Gefühl. Tatsächlich ist der Tod allgegenwärtig, passiert überall und immer. Der Kreislauf des Lebens folgt eisernen Gesetzen, und wenn Menschen gestorben sind, dann werden sie an hierzu geeigneten Stellen begraben.

Die Friedhöfe in Wien haben eine sehr spezifische Entwicklung hinter sich. Und es kann passieren, dass der Müßiggänger auf Plätzen spaziert, welche aufgelassenen Friedhöfen die Ehre gebieten mögen. Der Wiener Zentralfriedhof hat zahlreiche kleine Friedhöfe verdrängt. Die Liste der nicht mehr existierenden Friedhöfe ist mindestens so lang wie jene der nunmehr vorhandenen. Eine kleine Liste der vom Zentralfriedhof verdrängten Friedhöfe gefällig?
Jakoberfriedhof in der Innenstadt, Bürgerspitalfriedhof im Bereich der heutigen Karlskirche, Friedhof der Aegidikirche in Gumpendorf, Armenhausfriedhof (heute anatomisches Institut), Pfarrfriedhof Lichtenthal.

Ehrengräber gibt es auf dem Wiener Zentralfriedhof, weil seinerzeit nach einer Publikumsattraktion gesucht, und diese also auch gefunden wurde. Tatsächlich tummelt sich heute die Mehrzahl von Friedhofsbesuchern bei Ehrengräbern, während andere markante Plätze des Friedhofes meist menschenleer sind. Die Wiener fanden es Anfang des 20. Jahrhunderts nicht so angenehm, den Wiener Zentralfriedhof zu entdecken. Mit anderen Friedhöfen geht es den meisten Wienerinnen und Wienern heute wohl nicht anders. Die Konsumgesellschaft fordert ihren Tribut, und was könnte schon Großartiges auf einem Friedhof gekauft werden?

Die Geschichte der Friedhöfe Wiens ist spannend zu lesen. Das vorliegende Buch hält zahlreiche wunderbare Fotos bereit und lässt den gewillten Friedhofsgänger viele Friedhöfe (neu) entdecken. Zahlreiche Episoden, die sich um Verstorbene ranken, erzeugen einen guten Eindruck von Hintergründigkeiten. Jeder Verstorbene hat eine Geschichte zu erzählen. Wir Lebenden können aus diesen Geschichten Vieles ableiten, Eines aber nicht: Wohin die Seelen dieser einst lebendigen Menschen entschwunden sind ... 
Die Inschriften der Grabsteine geben oft der Hoffnung auf ein Wiedersehen Ausdruck, Engelfiguren sind stets bereit, den Höhenflug in eine "andere Welt" einzuleiten.

Für passionierte Friedhofsgänger ist dieses Buch Goldes Wert. Aber auch an Geschichte, Kultur und Kunst Interessierte richten sich die Autorinnen und der Fotograf. Friedhöfe sind Ruhepole inmitten der Stadt und der deutlichste Kontrast zum Turbokapitalismus. In die Gräber nämlich kann niemand seine Milliarden, Millionen oder Hunderttausende mitnehmen. Zwar zeugen besonders schöne Grabstätten vom Reichtum des verstorbenen Menschen bzw. jenem seiner Familie, aber davon wird der im Sarg Liegende auch nicht lebendig. Der Tod ist der große Gleichmacher.

(Jürgen Heimlich; 11/2008)


Isabella Ackerl, Ingeborg Schödl, Robert Bouchal:
"Der schöne Tod in Wien. Friedhöfe - Gruften - Gedächtnisstätten"

Pichler Verlag, 2008. 208 Seiten.
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Weitere Buchtipps:

Susanne Schaber: "Wien. Ein Reisebegleiter"

"Wien war schön, Wien ist schön, ich kann es sehn." Ernst Jandl
Susanne Schaber zeigt dem Leser die prächtigen Straßen und die verwinkelten Gässchen dieser Stadt. Begleitet wird man von zahlreichen bekannten Autoren: von Arthur Schnitzler und Robert Musil über Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard und Ilse Aichinger bis zu Friederike Mayröcker, Ernst Jandl und Elfriede Jelinek.
Den vorliegenden Band kann man zu Hause lesen oder unterwegs - um aus Dichters Mund zu vernehmen, wie Wien klingt: wild und zärtlich, leidenschaftlich, wütend und versöhnlich und aufregend allemal. (Insel)
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Martha Keil (Hrsg.): "Von Baronen und Branntweinern. Ein jüdischer Friedhof erzählt"
"Wenn Steine sprechen könnten, würden sie uns manchmal recht interessante Dinge erzählen; es kommt nur darauf an, sie richtig zu lesen." (Leopold Moses, 12.02.1943)
Frauen und Männer unterschiedlichster sozialer Herkunft liegen hier begraben: Wohlhabende, sogar geadelte Mitglieder der jüdischen Gesellschaft, Ärzte und Juristen, Kaufleute und Angestellte aller Art, genauso wie Handwerker, Färber oder Schirme- und Hutmacher und die zuweilen verachteten Branntweiner, die mehr oder minder qualitative Spirituosen herstellten oder als Schankwirte verkauften. Auch Harmonikaspieler sowie Angehörige des K. u. K. Hofopernorchesters. Schließlich liegen hier Gestrandete: Hausierer, Bettler und auch Menschen, die in Verzweiflung über ihr materielles und menschliches Scheitern ihrem Leben ein Ende setzten.
In diesem Text-Bildband ist der jüdische Friedhof in Wien Währing gleichermaßen Chronist wie ästhetisches Objekt. Die historischen, zeitgeschichtlichen und literarischen Texte erzählen aus unterschiedlichen Blickwinkeln von Leben und Tod im jüdischen Wien zwischen 1784 und 1874. Diese schriftlichen Eindrücke werden von zahlreichen einfühlsamen Fotos von Daniel Kaldori umrahmt und untermauert. Sie zeigen im jahreszeitlichen Rhythmus die Wandlung des Friedhofs - ein Sinnbild für das Werden und Vergehen. (Mandelbaum Verlag)
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Hans Veigl: "Der Friedhof zu St. Marx. Eine letzte biedermeierliche Begräbnisstätte in Wien"
Mit Fotos von Lisl Waltner.
Auf dem "Freythof ausser der Linie" wurden zwischen 1782 und 1873 zahlreiche Menschen bestattet, denen zumeist ein mühsam errungener sozialer Aufstieg gemeinsam war. Um ihre irdischen Erfolge in der Erinnerung für die Nachwelt zu bewahren, wurden ihnen, bald nach Rücknahme der josephinischen, gleichmacherischen Bestattungsreform, in biedermeierlicher Liebe zur vielfältigen Symbolform, klassizistische oder historistische Grabdenkmäler gewidmet, mit attischen Stelen, trauernden Genien, Urnen, Tränentüchlein und Fackeln, steinernen Palmzweigen und flatternden Schmetterlingen geziert. Unter den rund 6.000 Grabsteinen finden sich Hunderte, die Namen von Künstlern, Wissenschaftlern, Praterleuten und sonstigen Persönlichkeiten tragen, Grabmäler, die dem Besucher von Wiens reicher Vergangenheit, von stolzen und traurigen Lebensschicksalen erzählen. Die weniger Erfolgreichen hingegen kamen, so wollte es die soziale Ordnung jener Zeit, in anonyme Armen- oder Schachtgräber. Der Erfinder Josef Madersperger etwa, oder jener späterhin recht bekannte Komponist, der 1791, mit 35 Jahren, in einem solchen anonymen Schachtgrab beigesetzt wurde, und dessen Reste zehn Jahre später nach Auflassung und Neubelegung des Grabortes hier irgendwo verstreut worden waren: Wolfgang Amadeus Mozart. (Böhlau Verlag Wien)
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Brigitta Lauro: "Die Grabstätten der Habsburger. Kunstdenkmäler einer europäischen Dynastie"
Den Grabstätten bedeutender Adelsgeschlechter kommt in ihrer Funktion als Erinnerungszeichen und Andenken an die verstorbenen Herrscher eine herausragende Bedeutung zu. Bis zur heutigen Zeit zeugen die epochalen Denkmäler der Herrscherhäuser von Kontinuität und vermitteln einen wichtigen Eindruck in die Hofkunst.
Brigitta Lauro bietet mit vorliegendem Band ein vielschichtiges Nachschlagewerk über sämtliche habsburgischen Grablegen ab der Mitte des 11. Jahrhunderts.
Neben der zeitlich chronologischen Darstellung der Grablegen beleuchtet die Autorin Aspekte wie die Gründe für die Ortswahl der Grabstätten, die vielfach pragmatischer, aber auch ideologischer beziehungsweise wirtschaftlicher Natur waren, behandelt zeitbedingte symbolhafte Darstellungs- und Ausdrucksformen der Totendenkmäler und zieht die entsprechenden kunsthistorischen Querverbindungen. Die Dokumentation der Grabstätten reicht von der um 1045 erfolgten ersten Grablege des habsburgischen Grafen Radbot im ehemaligen Benediktinerkloster Muri (Schweiz) bis zur Grabstätte des 2004 selig gesprochenen Kaisers Karl I in Madeira.
Seit der "Topographia Principum Austriae" M. Herrgotts aus dem Jahr 1772 ist dieser der erste umfassende, bebilderte Gesamtüberblick über diese Kunstdenkmäler einer europäischen Dynastie. (Brandstätter)
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