Terrence Des Pres: "Der Überlebende"
Anatomie der Todeslager
"Der
Überlebende steht für all diejenigen, die in den
Konzentrationslagern um ihr Leben kämpften. Dieser Kampf hing
von bestimmten Verhaltensweisen ab: von Formen der sozialen Verbindung
und des Austauschs, von gemeinsamem Widerstand, von der
Aufrechterhaltung eines Moralempfindens und einer gelebten menschlichen
Würde." (Terrence Des Pres)
Mehr als dreißig Jahre hat es gebraucht, bis dieses
bahnbrechende Werk des us-amerikanischen Literaturwissenschaftlers
Terrence Des Pres ins Deutsche übersetzt wurde. Lange Zeit
wurde die Literatur der Zeugnisse der Überlebenden der
Todeslager der Nazis mit einem eigenartigen Mythos gelesen, der diese
Menschen zu Helden machte, und damit ihr eigentliches Leidenszeugnis
übersah und verdrängte.
Terence Des Pres hat die gesamte Literatur der Überlebenden
bearbeitet, (sie ist im Anhang des Buchs in einer beeindruckenden
Übersicht aufgelistet), und nimmt in seinem Buch konsequent
die Perspektive der Opfer ein. Ihnen gilt sein ganzes
Mitgefühl. Nur so kann er den unendlichen Schrecken und die
abgrundtiefe Finsternis ihrer Erlebnisse in ihrer ganzen
Brutalität schildern.
Dabei lässt er die
Überlebenden immer wieder selbst zu Wort kommen. Er
arbeitet ergreifend und überzeugend heraus, was die
Überlebenden überleben lässt und wie es
ihnen gelingt, in diesem Todesreich der Lager Menschen zu bleiben,
obwohl sie wie die Tiere behandelt werden. "Die
Konzentrationslager", schreibt Des Pres, "sind die
Verkörperung des Archetyps, den wir Hölle nennen. Sie
waren die Hölle auf Erden."
Dennoch warnt Des Pres auch vor dieser Sicht, denn sie macht aus den
Leidenden Verdammte, für die es kein Entrinnen gibt. Und aus
den Tätern werden quasi satanische Monster, die unangreifbar
erscheinen. Die Opfer werden somit zu Helden, die aber mit wirklicher
Heldenhaftigkeit nichts zu tun haben.
Nur wenn wir erkennen, und dazu leistet dieses bewegende Buch einen
hervorragenden Beitrag, dass die Überlebenden durch die
Hölle hindurchgegangen sind, dann "verlieren die
Archetypen der Verdammung die Macht über unsere Wahrnehmung."
Eigentlich ist es eine Schande, dass dieses Buch erst im Jahr 2008 auf
den deutschsprachigen Buchmarkt kam. Vielleicht war die deutsche
Öffentlichkeit für ein solches Buch bislang nicht
bereit. Dem Klett-Cotta Verlag jedenfalls gebührt ein
großes Lob für seine Veröffentlichung.
Arno Gruen schreibt in seinem lesenswerten Nachwort:
"Terrence Des Pres' außerordentliches Buch legt
offen, dass der Mensch, wie viel Verstümmelung seinem Geist
auch durch Scham, Ekel, und das Trauma gewalttätigen
Schreckens angetan wird, immer noch tief in seinem Innern
fühlt, dass er nicht entweiht werden kann. Zugleich ist dieses
Buch eine tiefgründige Studie des Menschseins in seiner
reinsten Form (...) Das Aufrechterhalten der Würde, die
unzähligen kleinen Gesten des Helfens und Teilens und das
Überleben selbst waren in den Todeslagern die kollektivste
Form des Widerstandes gegen unsagbares Grauen."
Das Buch ist ein schwer zu ertragender Stoff für den Leser,
und dennoch kann es ihm helfen, mit hinabzusteigen in den Schmerz:
"Der Prozess des Zeugnisablegens ist der Kampf gegen das
Vergessen. Dies zu erkennen führt auch dazu, mit dem Opfer
einen Schmerz zu teilen, der auch unser eigener ist." (Arno
Gruen)
(Winfried Stanzick; 04/2008)
Terrence
Des Pres: "Der Überlebende. Anatomie der Todeslager"
(Originaltitel "The Survivor. An Anatomy of Life in the Death Camps")
Übersetzt von Monika Schiffer.
Klett-Cotta, 2008. 250 Seiten.
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Terrence
Des Pres, (1940-1987) geboren in Effingham, Illinois, studierte und
promovierte in Englischer Literatur an der Washington
University. Von 1973 bis zu seinem frühen Tod 1987
mit 47 Jahren unterrichtete er Englische Literatur an der Colgate
University, Hamilton, New York. Terrence Des Pres machte sich
einen Namen als Holocaust-Experte und legte seine weltweit beachtete
Studie "Der Überlebende" erstmals Ende der 1970er-Jahre vor.
Weitere Lektüreempfehlungen:
Frank Bajohr, Dieter Pohl: "Massenmord und schlechtes Gewissen. Die
deutsche Bevölkerung, die NS-Führung und der
Holocaust"
Die Autoren untersuchen die vieldiskutierte Frage, wie die deutsche
Bevölkerung
mit ihrer Kenntnis von Judenverfolgung und Holocaust umging, und wie
die
NS-Führung auf die - heute in Vergessenheit geratene -
weltweite Diskussion
dieser Verbrechen reagierte.
Im ersten Teil des Buches beschreibt Frank Bajohr, wie sich nach 1933
zwischen
NS-Regime und Bevölkerung schrittweise ein
antijüdischer Konsens
herausbildete. Dabei spielten der gesellschaftliche Antisemitismus, die
wachsende Popularität des Regimes und von
Hitler
sowie die persönlichen Vorteile eine wichtige Rolle.
Nach der Kriegswende 1942/43 wurden die Morde an der jüdischen
Bevölkerung
zwiespältig aufgenommen, was jedoch nicht zu Scham, sondern
eher zur
Schuldabwehr und zu Aufrechnungsstrategien führte.
Bereits unmittelbar nach Beginn der Massenmorde im Sommer 1941
verbreitete sich
das Wissen um die Verbrechen weltweit. Im zweiten Teil zeigt Dieter
Pohl, dass
die nationalsozialistischen Eliten diese Entwicklung sehr genau
registrierten,
aber erst 1943, nach der
Schlacht um
Stalingrad, ging die
NS-Führung zur
propagandistischen Gegenoffensive über. Diese bildete die
Grundlage für die
nach dem Kriege grassierenden Legenden und Lebenslügen der
Täter und
Zuschauer. (S. Fischer)
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Alexander
von Plato, Almut Leh,
Christoph Thonfeld (Hrsg.): "Hitlers Sklaven. Lebensgeschichtliche
Analysen
zur Zwangsarbeit im internationalen Vergleich"
Dieses Buch präsentiert die Ergebnisse eines einzigartigen
Projektes: Fast 600
frühere Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus 27
Ländern in Ost- und
Westeuropa, den USA und Israel wurden befragt. Männer und
Frauen, Juden und
Roma, Kriegsgefangene und zivile "Fremdarbeiter",
Militärinternierte
und KZ-Häftlinge. Ihre Biografien werden in den Zusammenhang
der
nationalsozialistischen Kriegs- und Besetzungspolitik gestellt. Ihre
Erinnerungen und Erfahrungen werden analysiert, ihre unterschiedliche
Behandlung
in der Nachkriegszeit in den verschiedenen Ländern untersucht.
Ein Buch ist
daraus entstanden, das für die Wissenschaft ebenso wie
für die Jugend- und
Erwachsenenbildung unentbehrlich ist. Es ist außerdem ein
"Denkmal anderer
Art" für diese Sklaven der nationalsozialistischen Diktatur.
(Böhlau
Verlag Wien)
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Raul
Hilberg: "Unerbetene
Erinnerung. Der Weg eines Holocaust-Forschers"
Als Raul Hilberg 1948 mit seinen Forschungen über die
Vernichtung der europäischen
Juden begann, traf er überall auf Skepsis, Ablehnung und
Desinteresse. Der
Holocaust war nicht nur tabuisiert, sondern es gab auch keine Sprache
für den
ungeheuerlichen Sachverhalt. In einer "Revolte gegen das
Schweigen"
musste er gegen das Schweigen anschreiben.
Ulrich Herbert stellte in seinem Nachruf auf Raul Hilberg fest: "Er
war
seiner Zeit um Jahre voraus, die meisten Historiker erkannten nicht,
... was sie
vor sich hatten." - In seiner Autobiografie analysiert
Hilberg die
politische Dimension des Verdrängens und der Erinnerung, die
lange
unerbeten
war. (Fischer)
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Ann Kirschner: "Salas Geheimnis. Die Geschichte meiner Mutter"
Zuerst dachte sie, dass es nur ein paar Wochen dauern würde.
Doch aus sechs
Wochen wurden fünf Jahre Zwangsarbeit. Sala war 1940 sechzehn
Jahre alt, als
sie ihre polnische Heimatstadt verlassen musste, um die von den
Nationalsozialisten befohlene Zwangsarbeit abzuleisten. Fünf
Jahre lang überlebte
die junge Jüdin unter schwersten Bedingungen sieben
verschiedene Lager, um dann
für lange Zeit darüber zu schweigen. Erst am Vorabend
einer schweren
Herzoperation vertraute sie sich ihrer Tochter Ann Kirschner an.
Anhand der Briefe, die Sala sich in dieser Zeit mit ihrer Familie und
Freunden
schrieb, erzählt Ann Kirschner die Geschichte der grausamen
Odyssee ihrer
Mutter durch das besetzte Europa - von Salas Leben in den Lagern, den
kleinen
Fluchten, von Freundschaft und ihrem unbedingten Willen zu
überleben. Eine
bewegende und grausame Zeit, über die Sala lange schweigt,
auch als sie in den
USA ein neues Leben findet. (S. Fischer)
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Roger
Repplinger: "Leg
dich, Zigeuner. Die Geschichte von Johann Trollmann und Tull Harder"
Als Johann Trollmann 1933 um die Deutsche Meisterschaft boxte, ging die
Karriere
des Fußballers Tull Harder gerade zu Ende. Roger Repplinger
erzählt in dieser
Doppelbiografie zwei exemplarische Schicksale aus der Zeit des
Nationalsozialismus.
Geschmeidig, schnell, elegant: Wenn Johann Trollmann boxt, sitzt das
Berlin der
frühen 30er-Jahre bewundernd am Ring. Er hat nur einen
"Fehler": Er
ist Sinto, kein "Arier". Mit blond gefärbten Haaren und Mehl
auf
seiner braunen Haut steigt er in den Ring, doch die SA-Leute unter den
Zuschauern brüllen: "Leg dich, Zigeuner, oder wir
holen dich."
Trollmann gehorcht: Besser Boxkämpfe verlieren als das Leben.
Als er 1942 ins
KZ Neuengamme verschleppt wird, ist ein anderes Sportidol
schon da: Tull
Harder (1892-1956), Mittelstürmer des Hamburger SV,
Nationalspieler und
SS-Mann. Er gehört zum Wachpersonal, später zur
SS-Kommandantur des Lagers, in
dem bis Kriegsende 55 000 Menschen sterben, unter ihnen auch
Trollmann, der
1944 ermordet wird. (Piper)
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Margot
Friedlander mit Malin
Schwerdtfeger: "'Versuche, dein Leben zu machen'. Als Jüdin
versteckt in
Berlin"
Als sich die 21-jährige Margot Bendheim am Mittag des 20.
Januar 1943 mit ihrer
Mutter und ihrem Bruder Ralph treffen will, um die Flucht vor der
Gestapo aus
Berlin vorzubereiten, erfährt sie, dass ihr Bruder kurz zuvor
abgeholt wurde.
Und auch die Mutter erscheint nicht - sie hinterlässt ihrer
Tochter folgende
Botschaft: "Ich habe mich entschlossen, mit Ralph zu gehen,
wohin immer
das auch sein mag. Versuche, dein Leben zu machen." Margot,
verlassen
und verloren, beschließt unterzutauchen; sie färbt
sich die Haare rot und lässt
ihre Nase operieren, um nicht als Jüdin aufzufallen.
Fünfzehn Monate dauert
das Leben im Untergrund, bei Helfern, die gleichwohl nicht alle
selbstlos
handelten. Dreimal entkommt sie der Gestapo nur um Haaresbreite. Dann,
im April
1944, geht sie jüdischen "Greifern" in die Falle - sie wird
nach
Theresienstadt deportiert und überlebt mit Glück.
Ihre Mutter und ihr Bruder
werden in Auschwitz ermordet.
Margot Bendheim, die seit ihrer Heirat Friedlander heißt,
emigrierte 1946 mit
ihrem Mann in die USA.
Sechzig Jahre später erzählt sie gemeinsam mit der
Schriftstellerin Malin
Schwerdtfeger ihre Geschichte - eine dramatische Geschichte von
Hoffnung und
Verrat, von Zivilcourage
inmitten des Terrors und vom unbedingten
Willen zu überleben.
(Rowohlt Berlin)
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Beate
und Serge Klarsfeld: "Endstation Auschwitz. Die Deportation
deutsch-jüdischer Kinder aus
Frankreich. Ein Erinnerungsbuch"
Während der deutschen Besatzung Frankreichs wurden von
dort rund 76.000 Juden in die Vernichtungslager deportiert, darunter
über
11.000 Kinder, die nach dem Transport sofort ermordet wurden. Etwa 800
dieser
Kinder stammten aus Deutschland und Österreich. Von dort waren
sie mit ihren
Eltern vor den Nationalsozialisten nach Frankreich geflohen. Mit
großem
Engagement haben Beate und Serge Klarsfeld alle verfügbaren
Informationen über
diese Kinder zusammengetragen, um an ihr Schicksal zu erinnern und sie
vor dem
Vergessen zu bewahren. Es finden sich Briefe der Kinder an ihre Eltern
und
Freunde, teilweise in Handschrift, und andere Dokumente wie Kopien von
Reisepässen,
Deportationslisten oder Zeitungsartikel. Viele Lebensläufe
lassen sich so gut
dokumentieren. Neben Lebensdaten, Herkunftsort der Kinder und Nummer
ihres
Transports blicken den Leser auf etwa 200 Fotos ihre Gesichter an.
Mit diesem Buch soll an das Leben der ermordeten Kinder erinnert
werden. Es hebt
sie aus der anonymen Masse der Opfer heraus und macht sie wieder als
Individuen
sichtbar. Ein Vorwort von Serge Klarsfeld leitet das Buch ein. Es
folgen die
rekonstruierbaren Lebensläufe von 163 Kindern mit Fotos und
anderen Dokumenten
sowie eine vollständige Liste der ermittelten Kinder.
(Böhlau Verlag Köln)
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Wolfgang
Benz: "Überleben
im Dritten Reich. Juden im Untergrund und ihre Helfer"
Dieses Buch schildert anhand von individuellen Schicksalen die
Bedingungen des
Überlebens von Juden zur Zeit des "Dritten Reiches". Wer waren
die
Menschen, die sich dem Deportationsbefehl widersetzten? Und wer
leistete ihnen
Hilfe? Die Geschichten in diesem Band bieten einen unmittelbaren
Einblick in den
dramatischen Alltag der Verfolgten und ihrer Helfer, die mit
Erfindungsreichtum
und unter großem Risiko handelten - ein wichtiger Beitrag zur
Geschichte des
Nationalsozialismus.
Es waren wenige, aber mehr als bisher bekannt: Nichtjüdische
Deutsche aus allen
gesellschaftlichen Schichten und mit unterschiedlichen politischen und
religiösen
Überzeugungen gewährten Juden Unterschlupf und
besorgten ihnen Lebensmittel
sowie falsche Papiere. Die genaue Zahl dieser "stillen Helfer"
lässt
sich allenfalls schätzen, weil sie lange Zeit von der
Öffentlichkeit und der
Geschichtswissenschaft unbeachtet blieben. Von den 10-15.000 Juden, die
im
nationalsozialistischen Deutschland untertauchten, um sich der
drohenden
Verschleppung "in den Osten" zu entziehen, haben wohl etwa 3-5.000
überlebt
- rund 1.500 von ihnen in Berlin. Um einen Verfolgten zu retten, waren
fast
immer mehrere Personen nötig, denn die Versteckten mussten ihr
Quartier häufig
wechseln. Nicht selten wurden die Untergetauchten und ihre Helfer
verraten und
schließlich von der Gestapo gefasst.
Die Autoren haben Überlebenswege von Juden recherchiert und
beschreiben das
couragierte Handeln ihrer Helfer, hinter dem sowohl selbstlose als auch
eigennützige
Motive stehen konnten. Diese grundlegende Arbeit des Autorenteams um
Wolfgang
Benz entstand am Zentrum für Antisemitismusforschung in
Berlin. (C. H. Beck)
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Monika
Schiffer: "Arno
Gruen. Jenseits des Wahnsinns der Normalität"
Gegen jede Art von Fremdbestimmung aufbegehren - das ist das
Lebensthema von
Arno Gruen. Am 26. Mai 1923 als Sohn einer staatenlosen Russin und
eines
polnischen Sozialisten in Berlin geboren, erfährt er
früh, wie Gehorsam und
Unterwerfung Menschen entmenschlichen können. Mit knapper Not
entkommt die jüdische
Familie 1936 über Warschau, Kopenhagen nach New York. Er wird
Psychoanalytiker
und lernt die intellektuelle Szene der Metropole kennen. In den
1970er-Jahren führt
ihn sein Weg zurück nach Europa.
Im Zentrum seines Denkens steht der Mensch und dessen Deformationen
durch
Sozialisierung und Erziehung: Menschen sind nicht von Natur aus
schlecht, so
sein Grundgedanke. Es sind die Kulturen, nicht zuletzt die westlichen,
die
Selbstverrat und Hass hervorbringen.
Als Ausweg empfiehlt er, uns darauf zu besinnen, was wir wirklich sind,
können
und wollen - ohne uns von außen etwas aufzwingen zu lassen.
Er ermuntert jeden,
sein Selbst zu gestalten und zu leben, um nicht als Original geboren zu
werden
und als Kopie zu sterben.
Monika Schiffer zeichnet das Bild eines einfühlsamen,
visionären und
unbequemen Wahrheitssuchers. Ihre Biografie verschränkt
private und berufliche
Stationen einer eigenständigen Persönlichkeit, die
unbeeindruckt von Moden und
Zeitgeist geblieben ist. (Klett-Cotta)
zur Rezension ...
Buch
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Tova Reich: "Mein Holocaust"
zur
Rezension ...
Wunderbare Satire über die Kommerzialisierung des Leides
Leseprobe:
1 Der Überlebende in der Literatur
"Der Schriftsteller hat eine schwierige Aufgabe. Er darf sich
nicht in den Dienst derer stellen, die Geschichte machen, denn er dient
denen, die diese Geschichte erleiden."
ALBERT CAMUS
Jedes Ding strebt, soviel es an ihm liegt, in seinem Sein zu
beharren, schreibt Spinoza in seiner Abhandlung Die
Ethik. Dieser Satz mag nicht für Steine und Sterne
gelten, er trifft aber sicher auf den Menschen und auf soziale
Gemeinschaften zu. Selbsterhaltung und die Sorge um das Wohlergehen des
eigenen Körpers haben Vorrang vor allem anderen. In Zeiten, in
denen die Mechanismen der Zivilisation funktionieren, gerät
diese Gesetzmäßigkeit mitunter in Vergessenheit. Das
Leben zerrinnt, ohne dass wir ihm große Beachtung schenken.
Stattdessen blicken wir fasziniert auf Taten, die im Tode gipfeln. Der
klassische Held hat seinen Auftritt und macht deutlich, an welchen
Vorbildern die abendländische Kultur ihre
Wertmaßstäbe setzt. Ob Jesus Christus,
Sokrates oder
der unbekannte Soldat, ob Märtyrer oder ein Krieger wie
Achill: Alle, die wir über die Jahrhunderte verehrt haben und
denen wir andächtig folgten, sind Opfer. Sie alle
lösen ihre Konflikte, indem sie sterben. Mit ihrem Tod stehen
sie dafür ein, dass der Geist, den sie verkörpern und
für den sie kämpften, nicht untergeht. Dieses Muster
erscheint so selbstverständlich und ehrenwert, dass die
Verbindung zwischen Heldenmythos und Tod gar nicht mehr
auffällt.
Der Kampf ums Überleben dagegen wirkt verdächtig. Wir
sprechen vom "bloßen" Überleben - als ob das Leben
als solches nichts wert wäre. Als ob das Leben erst durch eine
Verneinung seine Berechtigung erhielt. Dieser Widerspruch ist wirklich.
Er reicht bis tief in die Wurzeln unserer Vorstellung vom Tod im
Verhältnis zum Leben. Und das möchte ich deutlich
machen. Jede Kultur stellt dem Menschen Symbole zur Verfügung,
die ihm helfen, die Schrecken seines Daseins zu verdrängen.
Der klassische Held, der sein Leben opfert, ist ein solches Symbol,
denn mit seinem Tod verschafft er denen, die leben, die Illusion der
Gnade. Opferungen und sterbende Götter begleiten den Aufstieg
der Zivilisationen. Nicht selten erscheinen gesellschaftliches
Wohlergehen und ritueller Tod sogar untrennbar miteinander verbunden,
wie das Beispiel
der griechischen Tragödie zeigt. Doch die
Zeiten haben sich geändert. Die symbolische Manipulation des
Bewusstseins gelingt nicht mehr. Tod und Terror sind uns zu nahe
gerückt.
Menschen, die bereit waren, für ihren Glauben zu sterben und
ihr Leben für höhere Ziele zu opfern, gab es schon
immer. In manchen Zeiten hatte ihr Tun vielleicht sogar einen Sinn.
Heute jedoch leben wir in einer anderen Situation: Ideen und Ideologien
werden zum Schweigen gebracht, indem man diejenigen tötet, die
sie vertreten. Die "Endlösung" ist zur gängigen
Praxis geworden. Die Welt ist nicht mehr das, was sie einmal war. Nach
Auschwitz, Hiroschima und Indochina haben wir die Berechtigung
verloren, den Tod als ehrenhaft zu würdigen. Wenn Menschen zu
Tausenden vernichtet werden, wenn die Technik Mut
überflüssig macht und der Tod zum Komplizen blinder
Zerstörungswut wird, hat der Held alter Machart ausgedient.
Der neue Held muss der Art und dem Ausmaß heutiger
Verwüstungen gerecht werden. Sein Handeln muss einer
historischen Situation entsprechen, in der es darauf ankommt, am Leben
zu bleiben. In einer Welt der Massenmörder hat der Tod seine
Größe verloren. Der Märtyrer und sein
tragischer Gegenspieler gehören, von wenigen Ausnahmen
abgesehen, zu einer Heldengeneration, die für das Grauen von
heute nicht taugt. Wenn Menschen sich gegen maßloses Leid
behaupten müssen und ihnen allein ihre Existenz schon wie ein
Wunder erscheint, dann ist Sterben alles andere als ein glorreicher
Triumph.
Wenn wir Heldenhaftigkeit als große heroische Geste
überlegener Individuen verstehen, hat der Überlebende
als Held keine Chance. Er oder sie ist einfach ein Mensch, der es
geschafft hat, körperlich und geistig am
Leben zu bleiben; der bei aller Hoffnungslosigkeit und allem Entsetzen
nicht den Willen verloren hat, als Mensch zu überstehen. Mehr
zeichnet ihn nicht aus. Ich möchte in diesem Buch den Kampf
des Überlebenden beschreiben und verdeutlichen, worin seine
besondere Menschlichkeit besteht. Romane und Erzählungen
helfen uns dem Gegenstand unserer Betrachtungen näher zu
kommen. Das Leben im Extremen ist kein einfaches Thema. Es ist schwer,
einen Zugang zu finden, und noch schwerer, ein solches Dasein bis in
die Tiefe zu verstehen. Die Literatur kann uns durch ihre formal
reduzierten Bilder einen Einstieg in diese verwirrende Welt geben und
uns ein Gerüst liefern, das die Unterschiede zu unserer
eigenen Existenzweise erkennen
lässt. (...)