Dana Pfeiferová: "Angesichts des Todes"
Die Todesbilder in der neueren österreichischen Prosa: Bachmann, Bernhard, Winkler, Jelinek, Handke, Ransmayr
Schreiben
als Individuation
'Die Todesbilder in der neueren österreichischen Prosa:
Bachmann, Bernhard, Winkler, Jelinek, Handke, Ransmayr' (Untertitel)
präsentiert diese mit Unterstützung des
'Franz-Werfel-Stipendiums' entstandene Studie. Wie zu vermuten, liegt
dieser eine Dissertation zugrunde, welche beweisen will, "dass
der Tod in der neueren und neuesten österreichischen Literatur
einen wichtigen Platz einnimmt" - wobei diese Thematik "an
eine beträchtliche Tradition anknüpft"
(vgl. Einleitung). Erinnert wird an Autoren wie Hugo von Hofmannsthal,
Arthur Schnitzler,
Joseph
Roth, Karl
Kraus,
Elias
Canetti,
Ödön von Horvath, Franz Werfel oder Hermann Broch.
Ein heikles Problem ist die großzügige Zurechnung
guter österreichischer Autoren zur deutschen
Literaturgeschichte, wie es etwa auch Marcel Reich-Ranicki zu tun
pflegt - insofern kann das vorliegende Buch auch der
Identitätsfindung zumindest der modernen
österreichischen Literatur dienlich sein.
Das Kapitel 'Der Umgang mit dem Tod in der Geschichte und Kunst. Ein
Rückblick' ist allerdings auch nicht eigentlich
österreichspezifisch. Letztendlich gelangt
Pfeiferová zu der Feststellung, dass sich der Tod
offensichtlich "der Erfahrung verschließt",
weswegen Literatur und Kunst oft zu Todesmetaphern tendieren. Bei
Ingeborg Bachmann
wird die Rolle des Opfers und des Mörders
herausgearbeitet, dabei wird "das Schreiben vom Tod durch das
Schreiben von der Liebe bedingt." Jean Améry war
in einer Besprechung zu einer extremen Beurteilung gelangt: "Es
ist in Wahrheit ein Todesreich, durch das uns die Autorin
führt." Für Thomas
Bernhard gilt dies noch
viel radikaler, denkt man an seine irritierende Rede
anlässlich der Verleihung des Kleinen
Österreichischen Staatspreises im Jahr 1968, als er die
berühmt-berüchtigten Worte sprach: "... es
ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt."
Prägend für Bernhards Werk waren die Aufarbeitung der
NS-Vergangenheit (verbunden mit vehementer Kritik der Gegenwart
Österreichs) und seine Krankheit. Als todbringend werden
geschildert die Familie, die Schule und die Katholische Kirche. Zudem
setzte Bernhard den Zwangscharakter von Nationalsozialismus und
Katholizismus gleich. Letztendlich vergeblich versucht Bernhard den
Intellekt als Gegenpol zum Tod und zur Borniertheit der Gesellschaft zu
etablieren.
Bernhard vergleichbar konzipiert Josef Winkler sein Schreiben als
Gegenpol zu seiner schmerzvoll empfundenen Kindheit. Mit direktem Bezug
auf Jean Genet erklärt Winkler die Revolte zu seinem Programm.
Der Protagonist in Winklers 'Muttersprache' (1984) bringt die
Beschäftigung mit dem Tod auf folgende Essenz: Obwohl
ich weiß, dass der Tod siegen wird, lasse ich mir nicht den
Mut nehmen, mein ganzes Leben lang ihn zu bekämpfen. Es ist
ein aussichtsloser, also grandioser Kampf. (...) Die
Beschäftigung mit dem Tod erhält mich am Leben."
Bei Elfriede
Jelinek gilt der Tod als Ergänzung oder gar
Vollendung des von ihr programmatisch angegriffenen "patriarchalischen
Triumvirats" Sex, Gewalt und Kirche. Im Grunde ist ihr Thema
aber auch vergleichbar mit Bernhard und Winkler, wenn sie in ihren
variierten Todesbildern vor einem Wiedererwachen des Faschismus warnt.
Peter Handke
schreibt überwiegend in der sprachkritischen
Tradition der österreichischen Literatur; das Buch, in dem es
vornehmlich um des Tod geht, ist 'Wunschloses Unglück' (1974),
wo er das Leben seiner Mutter bis zu ihrem Freitod behandelt.
Pfeiferová meint, der Roman habe den "Charakter
eines therapeutischen Versuchs." Dabei wird der Freitod quasi
zur einzigen letzten Individualisierungsmöglichkeit
stilisiert. Bei
Christoph
Ransmayr "wimmelt es geradezu von Todesbildern."
Hier werden "Endwelten" dargestellt, in denen die
Menschen "untergehen müssen" - immerhin
gilt die Hoffnung, dass der Einzelne durch seine Werke
überlebt.
In ihrem Nachwort weist Pfeiferová darauf hin, dass der
Topos des Untergangs der Habsburger Monarchie in der
österreichischen Literatur seit den 1960er Jahren keine Rolle
mehr spielt, andererseits prägt der Katholizismus nach wie vor
das Leben und die Literatur in Österreich. Der Tod wird
häufig sogar als Befreiung von den gesellschaftlichen
Zwängen gesehen. Aus der Sprachreflexion erwächst bei
den Autoren ein "Schreiben als Töten der Materie"
- andererseits offenbart sich in Canettis Sinn die Auflehnung gegen den
Tod, indem dem Individuum durch die Literatur, durch die Kunst seine
Einzigartigkeit zurückgegeben wird. Ein lesenswertes Buch
für alle diejenigen, die zu den wichtigsten moderneren
österreichischen Romanen Interpretationsansätze
kennenlernen möchten - und sich noch vor dem Tod mit
substanzieller Literatur auseinandersetzen wollen.
(KS; 02/2008)
Dana
Pfeiferová: "Angesichts des Todes"
Praesens Verlag, 2007. 238 Seiten.
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