Helge Timmerberg: "In 80 Tagen um die Welt"
(Hörbuchrezension)
"Reise
um die Erde in 80
Tagen" gehört wohl zu den populärsten Romanen
Jules
Vernes. Die futuristisch-utopische, satirisch-humoristische
Weltreise des
reichen, exzentrischen Engländers Phileas Fogg gemeinsam mit
seinem französischen
Diener Passepartout im Jahr 1872 begeisterte schon viele Leser. Auf den
Spuren
dieses legendären Gespanns, sich weitestgehend an die
Originalroute haltend,
versuchte der deutsche Journalist und Weltenbummler Helge Timmerberg,
im
Selbstversuch dieses Abenteuer nachzuspielen.
Die exotischen - vor allem auch unbequemen - Verkehrsmittel (auf dem
Rücken
eines Elefanten, im Heißluftballon, mit dem Raddampfer oder
der indischen
Eisenbahn) hat Timmerberg den heutigen Erfordernissen angepasst. Er
geht größtenteils
in die Luft, was neben der Zeitersparnis auch andere Vorteile
offenbart. "Jules
Verne ließ seinen Helden Phileas Fogg mit dem Zug von Bombay
nach Kalkutta
reisen, und der hat während dieser Fahrt die Frau seines
Lebens getroffen,
gerettet und mitgenommen. Die Frau des Lebens ist keine schlechte
Vision, aber
dafür zweiunddreißig Stunden mit dem indischen Zug?
Heutzutage kann man auch
Stewardessen heiraten. Stewardessen sind überhaupt die besten.
Sie sehen gut
aus, sind selten zu Hause. Und wenn man selber mal fliegen will, kosten
die
Tickets nur noch zehn Prozent dessen, was man vor der Heirat bezahlt
hat, weil
die Vergünstigungen auch für den Ehemann gelten.
Stewardessen verleihen Flügel,
Stewardessen sind gut im Bett, Stewardessen bleiben immer nur eine
Nacht."
Wilde Geschichten eines müden Weltreisenden
Derart salopp und schnoddrig startet Timmerberg zwar nicht in London,
sondern im
feuchtkalten Februar-Berlin, checkt nach einer
Fahrt im "ICE"
in einem tristen Hotel in München ein ("Es wird immer
so viel darüber
spekuliert, warum Menschen
Drogen
nehmen. Das Hotelgewerbe hat
Antworten")
und erlebt den nächsten Tiefschlag im wegen des Karnevals
überfüllten
Venedig
("Hotelzimmer werden mit Liebe oder Hass eingerichtet ... Hass
ohne
Geschmack sieht dann so aus wie das Zimmer 107 des 'Marco Polo' ... 330
Euro,
ohne Frühstück"). Es folgen Triest,
Brindisi und - nach allseits
feuchter und mit Seekrankheit geschlagener
Fährüberfahrt -
Griechenland,
Ägypten,
Bombay, Pattaya, Shanghai und Tokio. Dabei versucht der Weltreisende
mit Crack,
Kaffee, Amphetaminen, Bier, Tee, Joints, "Gin Tonic" und "Tequila"
seine permanente Reisemüdigkeit in den Griff zu bekommen.
Timmerbergs ziemlich wilde Geschichten, seine permanente
Ode an das
Rauchen bzw.
Nichtrauchenkönnen und die Vielzahl an ganz
persönlichen Erlebnisse mit "Frauen,
Sex und Cha-Cha-Cha", vorgetragen in nuschelndem,
schleppendem Tonfall,
erfordern zu Beginn des Hörbuchs teilweise recht viel
Durchhaltevermögen vom Hörer.
Timmerbergs individuelle Subjektivitäten nerven zuweilen arg.
Doch je weiter
sich der Reisejournalist von Europa entfernt, desto besser wird das
Hörbuch.
Vielleicht übten die Lehrer und Gurus, die Timmerberg in Asien
traf, einen
positiven Einfluss aus. Auf jeden Fall brachten sie ihm bei, dem
permanent
gegenwärtigen Dämon der Reise abzuschwören,
seinen Gefühlen zu folgen und
Gelassenheit zu entwickeln.
Nicht Reiselust weckend, aber zum Nachdenken anregend
Im letzten Teil seiner Reise erwartet den Hörer endlich wieder
der gewohnt
reiselustige und angstfreie Autor. Hier versöhnt Timmerberg
mit wundervollen
Beobachtungen und wortgewaltigen Beschreibungen von Land, Leuten und
zum Teil
philosophischen Gedankengängen.
In Mexiko-Stadt fühlt er sich "wie neugeboren in
einem schönen und
wilden Leben, in einem schönen und wilden Land".
Auch wenn der
nachfolgende Abstecher nach
Kuba nicht mehr das offenbart, was es noch
vor zehn
Jahren war. In den 1990er-Jahren lebte Timmerberg zwei Jahre lang dort.
Doch die
Leichtigkeit der Karibik ist verschwunden. Kein Salsa ist mehr im Blut
der
Kubaner, oder besser: er ist unter der permanenten Angst
gegenüber dem
allgegenwärtigen Staatsapparat in Form von
Gummiknüppel schwenkenden
Polizisten begraben. "Es glitzert nicht mehr, Havanna hat den
Rhythmus
verloren, die Lebensfreude ist weg", diagnostiziert der
Autor, "Kommunismus
im Endstadium".
Letztendlich landet Timmerberg am achtzigsten Tag gutgelaunt im
inzwischen frühlingshaften
Berlin und meint, dass es zu Hause doch eigentlich am
schönsten ist: "Vor
knapp 40 Jahren flüchtete ich aus einem Deutschland, das nicht
zu ertragen war.
Wer auf Hippies rumhackt, weiß nicht, wie es hier in den
sechziger Jahren
ausgesehen hat. Auf den Straßen, in den Köpfen, in
den Tassen. Schon ein
Capuccino galt als Gift für die deutsche Lebensart. Damals war
Deutschland das
langweiligste und intoleranteste Land überhaupt, heute ist es
das glatte
Gegenteil." Der Reiseveteran will sesshaft werden. Man wird
sehen, ob
ihm das gelingt.
Fazit:
"Reisen ist genauso 'ne Flucht vor dir selber, wie wenn du 'ne
Symphonie
schreibst. Es ist einfach eine Möglichkeit, mit deinem
Gewühle umzugehen. Du
kannst es Abenteuer nennen oder Flucht. Es ist meistens beides,
halbe-halbe",
erklärt Timmerberg, was durchaus auch auf das Hörbuch
angewandt werden kann,
das zur Hälfte letztendlich doch noch hörbar wird.
"In 80 Tagen um die Welt" ist ein schnoddriges und locker
"weghörbares"
Hörbuch des Althippies Timmerberg, der ein bisschen
reisemüde geworden ist.
Neugierig auf die Welt macht er jedenfalls nicht unbedingt, aber
über sie
nachzudenken, dazu regt er durchaus an.
(Heike Geilen; 10/2008)
Helge
Timmerberg: "In 80 Tagen um die
Welt"
Autorisierte Lesefassung. Sprecher: Helge Timmerberg.
Argon Verlag, 2008. 4 CDs, Spieldauer ca. 300
Minuten.
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Buchausgabe:
Rowohlt Berlin, 2008. 288 Seiten.
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Helge Timmerberg, geboren 1952 in Dorfitter (Hessen), ist Abenteurer, Journalist und Reiseschriftsteller.