Corrie ten Boom: "Die Zuflucht: Corrie ten Boom erzählt aus ihrem Leben 1892-1945"
(Hörbuchrezension)
Wie
weit reicht Vergebung?
Das Hörbuch beschreibt zum größten Teil die
Erlebnisse der in Haarlem
geborenen Corrie ten Boom während der
deutschen Besatzung
Hollands, ihre
Untergrundtätigkeit und ihre
Zeit im Konzentrationslager
Ravensbrück.
"Heute weiß ich, dass Erinnerungen der
Schlüssel sind, nicht zur
Vergangenheit, sondern zur Zukunft", ist am Ende des
Hörbuches
"Die Zuflucht" zu vernehmen. Diese Worte bergen einen viel tieferen
Sinn, als man gemeinhin annehmen möchte, wenn man um Corrie
ten Booms
Vergangenheit und ihre besonders schmerzlichen Erfahrungen an
Körper und Seele
weiß. Denn die holländische Autorin
überlebte als Einzige ihrer Familie die
Gräuel der Okkupation und die ihnen zugefügte Pein.
Trotzdem hinterließen sie
in ihrem Herzen keine Bitternis.
Als die durch ihre Familie geprägte überzeugte
Christin zwei Jahre nach ihrer
Entlassung aus dem Todeslager ihren ehemaligen Peiniger und KZ-Aufseher
auf
einer Veranstaltung wiedertrifft, reagiert sie mit unglaublicher
Großherzigkeit
und Toleranz:
"München
im Jahre 1947: Ernste Gesichter starren mir entgegen. Ich habe
gerade in einer Kirche gepredigt und über meine Zeit
im
Konzentrationslager
gesprochen. Jetzt ist alles vorbei. Die Menschen verlassen wortlos den
Raum. Ein
Mann kommt mir entgegen. Er arbeitet sich gegen die Menge zu mir nach
vorne.
In diesem Moment sehe ich den Mantel, den braunen Filzhut, dann die
blaue
Uniform und ein Barett mit Totenschädel und gekreuzten
Knochen. Ich sehe den
großen Raum, in dem wir uns nackt ausziehen mussten. Die
Schuhe und die Kleider
am Boden. Wir mussten nackt an ihm vorbeigehen. Ich erinnere mich an
die Scham,
ich erinnere mich an meine ausgemergelte Schwester, deren Rippen
deutlich unter
der pergamentartigen Haut hervortraten."
Dieser Mann bittet sie um Vergebung. Doch wie weit reicht
diese?
Als 1940 die deutschen Truppen in Holland einmarschieren und das Land
besetzen,
ist die Uhrmacherfamilie ten Boom - Corrie ist übrigens die
erste Frau
Hollands, die diesen Beruf erlernt - ein wichtiger Rettungsanker
für viele
Juden. Sie gewährt ihnen Unterschlupf in einem geheimen Zimmer
ihres Hauses.
Wegen ihrer Untergrundtätigkeit wird die gesamte Familie 1944
verhaftet. Man
steckt sie zuerst ins Gefängnis, wo der Vater stirbt,
später werden Corrie und
ihre Schwester Betsie nach Ravensbrück deportiert. Dort sind
die beiden
aufgrund ihres gelebten christlichen Glaubens und einer ins Lager
geschmuggelten
Bibel, mit der sie heimlich Bibelstunden abgehalten, für viele
Frauen die
einzige Hoffnung.
Nach ihrer Freilassung gründet Corrie ein
Rehabilitationszentrum für Opfer der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und beginnt auf Vortragsreisen
von
ihren Erfahrungen zu erzählen, wo es nach eben solch einem
Vortrag zu der verhängnisvollen
Begegnung, die prägend für ihren weiteren Weg sein
sollte, kommt.
Es geschieht das Unvorstellbare: Corrie ten Boom vergibt diesem Mann,
reicht
ihm die Hand als Geste der Versöhnung. Ihr starker
christlicher Glaube ist ihr
dabei Wegbereiter. Fortan setzt sie sich für die
Versöhnung von Opfern und Tätern
ein.
Corrie ten Boom starb übrigens an ihrem 91. Geburtstag. In der
Tradition der
Juden heißt es, dass nur sehr gesegnete Menschen das
besondere Privileg
erhalten, an ihrem Geburtstag zu Gott gerufen zu werden.
Die Erzählung in klarer und einfacher Sprache wartet trotz des
unvorstellbaren
Grauens immer mit einer Prise Humor und vielen wunderbaren Anekdoten
auf.
Sprecherin Susanne Hohmeyer-Lichtblau liest den Text
einfühlsam. Zwar stört zu
Beginn ihr jugendliches Timbre, weiß man doch, dass die
Autorin bereits fünfzig
Jahre zählte, als sie die Gräuel erlebte, doch
kompensiert Hohmeyer-Lichtblau
diese kleine akustische "Unstimmigkeit" mit ihrer durchweg soliden
Sprecherleistung und vor allem mit ihrer warmen Stimme.
Fazit:
"Die Zuflucht" ist die wahre und feinfühlig erzählte
Geschichte von
Liebe und Vergebung mit Hilfe eines starken Glaubens. Das
Hörbuch bietet
Einblick in das Leben gewöhnlicher Menschen, die
außergewöhnliche Taten
vollbringen, und öffnet dem Hörer die
Möglichkeit zu hinterfragen, ob er
selbst in der Lage wäre, ähnliche Entscheidungen zu
treffen, hätte es die
Zeit gefordert.
Eine unprätentiöse auditive Lektüre sowohl
für Christen, als auch für überzeugte
Nichtchristen, da an keiner Stelle versucht wird, zu missionieren.
(Heike Geilen; 09/2008)
Corrie
ten Boom: "Die Zuflucht: Corrie
ten Boom erzählt aus ihrem Leben 1892-1945"
(Originaltitel "The Hiding Place")
Sprecherin: Susanne Hohmeyer-Lichtblau.
ERF Verlag, 2008. 3 CDs.
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