Ernő Szép: "Die Liebe am Nachmittag"


Der flüchtige Traum von Liebe und Glück

Budapest in der überspannten, "swingenden" Zeit zwischen den Kriegen: Mihály, ein aus bescheidenen Verhältnissen stammender Journalist und Dichter, ständig verschuldet und bisweilen genötigt, auch als Werbetexter zu arbeiten, genießt sein Verhältnis mit einer verheirateten Dame aus der Oberschicht. Liebe im tieferen Sinne ist es wohl beiderseits nicht; für ihn besitzt sie nicht einmal einen richtigen Namen, er nennt sie "5Fleurs" nach ihrem Parfüm.

Zur Ausübung dieser Liebe treffen sich Mihály und 5Fleurs mehrmals wöchentlich nachmittags in seiner Wohnung, denn nachmittags pflegt Mihály nicht zu arbeiten. In seinem abends verfassten Tagebuch, aus dem der Roman besteht, lässt er diese eigenartige Beziehung noch einmal Revue passieren und analysiert sie von Beginn an sehr kritisch.

Doch eigentlich setzt das Tagebuch mit dem Anfang einer neuen, scheinbar oberflächlichen, belanglosen Beziehung ein, die er neben jener mit 5Fleurs pflegt, und deren Protagonistin die neunzehnjährige Theaterschülerin Iboly ist, mäßig begabt, leidlich hübsch, arm, ein klassischer Backfisch. Sie spricht den 47-jährigen Dichter eines Tages an, und er trifft sich eher aus Mitleid manchmal nachmittags mit ihr. Iboly verliebt sich in ihn, schwärmt für ihn. Er gestattet ihr einige Berührungen, auch Küsse, wehrt jedoch alles darüber Hinausgehende schroff ab, denn obwohl das Mädchen recht apart ist und er es sich zurechterzieht, kann es ihm doch nicht das geben, was er so verzweifelt und vergeblich sucht und auch bei 5Fleurs nicht findet.

Als sich ihm Iboly allzu sehr aufdrängt, versucht er erfolgreich, sie an einen ihrer jüngeren Verehrer loszuwerden. Und nachdem es ihm gelungen ist, erkennt er, dass es ihn auch nicht glücklich macht.

Mihály versteht sich auf das Verführen von Frauen, auf das Spiel mit Distanz und Nähe, und selbst wenn er darin nicht eingeweiht wäre, würden die Frauen ihn begehren. Er, beinahe ein Hungerleider, hat das gewisse Etwas, möglicherweise auch bedingt durch seinen Beruf, der ihm viele Bekanntschaften und manchen Gönner verschafft. Zudem ist Mihály ein Flaneur im klassischen Sinne, einer, der durch seine Stadt spaziert, um im rechten Moment gesehen zu werden, vor allem aber, um zu sehen, zu beobachten, zu skizzieren, zu parodieren. Dass Iboly sich dabei an seinen Arm hängt, passt ihm gar nicht, denn das Flanieren gehört zu seinem täglichen Brot, und Iboly stört ihn dabei.

Mihálys Verhältnis zu den Frauen gestaltet sich schwierig: Weder die vornehme, doch nicht allzu geistreiche 5Fleurs noch das muntere, unbefangene junge Plappermäulchen Iboly können ihm auch nur annähernd die Art von Liebe geben, die er verzweifelt und in dem Wissen sucht, dass es sie nicht geben kann. 5Fleurs würde ihn finanziell aushalten, wenn er das zuließe; Iboly gegenüber ist er der große Gebende, und nichts davon bringt ihm Erfüllung.

Ausführlich philosophiert Mihály über die Liebe, ebenso jedoch über das Älterwerden, das ihm schwerfällt. Beides hat miteinander zu tun, denn mit zunehmendem Alter ändern sich die Anforderungen an die Liebe. Und auch der Tod gehört zu den Themen, mit denen sich Mihály immer wieder auseinandersetzt. Über allem schwebt ein Hauch von Glück, flüchtig wie ein Traum oder ein Sonnenstrahl in Mihálys Welt - und vielleicht auch in der unseren.

(Regina Károlyi)


Ernő Szép: "Die Liebe am Nachmittag"
(Originaltitel "Ádámcsutka")
Aus dem Ungarischen von Ernö Zeltner.
dtv, 2011. 307 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Ernő Szép, 1884 geboren in einer kleinen Stadt in der großen östlichen Ebene Ungarns, wuchs auf in ärmlichen Verhältnissen als Sohn eines Lehrers. Er kam als junger Mann nach Budapest, wo er zu einem der populären und gefeierten Schriftsteller wurde. Neben Sándor Márai und Antal Szerb zählte er zu den "Großen Eleganten". Nach dem Sturz der Räterepublik emigrierte Szép, der Jude war, 1919 für eine Weile nach Wien. Szép schrieb vier Romane, Stücke und Gedichte. Wie Antal Szerb wurde er 1944 in einem Arbeitslager interniert. Kurz vor der Deportation nach Auschwitz gelang es Raoul Wallenberg jedoch zu intervenieren und ihn zu retten. Szép entkam nach Schweden, wo er 1953 starb.