Ted Nield: "Superkontinent"
Das geheime Leben unseres Planeten: Eine abenteuerliche Reise durch die Erdgeschichte
Eine
imposante Quadrille oder
das gewaltige Schiebepuzzle auf unserem Planeten
Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Wachsen unserer
Zehennägel und den
driftenden Kontinenten der Erde? Was haben ein Schraubstock und darin
eingeklemmte, zusammengequetschte kalte Lasagne - kurz: die
"Lasagniden"
- mit europäischen und amerikanischen Gebirgsketten zu tun?
Ted Nield beleuchtet und erläutert auf überaus
interessante und verständliche
Art und Weise den gewaltigsten Kreislauf der Natur - den
Superkontinentzyklus
der Landmassen unseres Planeten.
"'Hinab, hinab, hinab. Wollte das denn nie ein Ende nehmen?
'Wie viele
Meilen ich wohl schon gefallen bin?', sagte sie laut. 'Weit kann es
nicht mehr
sein bis zum Erdmittelpunkt. Das wären dann, ja: sechstausend
Kilometer wären
das, ungefähr wenigstens.'" (Aus "Alice im
Wunderland").
Jeder hat schon einmal etwas von Lewis Carrolls berühmtem
Kinderbuch gehört,
es vielleicht gar gelesen. Die Titelheldin wird während eines
langweiligen
Picknicks mit ihrer Schwester auf ein weißes Kaninchen
aufmerksam, dem sie
schließlich in dessen Bau folgt und nach einem beinahe endlos
scheinenden Sturz
in einer traumartigen Unterwelt, die vor Paradoxa und
Absurditäten nur so
strotzt, landet.
Doch was hat die fiktionale Erzählung von Charles Lutwidge
Dodgson -
so der korrekte Name des Autors, der gleichzeitig Mathematikprofessor
in Oxford
war - mit dem vorliegenden Buch "Superkontinent" zu tun? Recht viel
sogar, denn "die geologischen Bezüge dieser
Geschichte [reichen] viel
tiefer als Alices (durchaus korrekte) Schätzung des Erdradius",
meint
der Autor und Wissenschaftsjournalist Ted Nield. Lewis Carroll wuchs im
englischen Ripon auf. Diese Gegend ist für ein unheimliches
geologisches Phänomen
bekannt: "Urplötzlich tun sich dort tiefe
Schlünde auf, manche mehr
als zehn Meter im Durchmesser, die in Sekundenschnelle Bäume,
Gärten, Garagen
und selbst ganze Häuser verschlingen." Die
geologische Ursache dieses
Mysteriums weiß Nield in dem vorliegenden Werk zu
erklären.
Das Innenleben unseres Planeten
In seinem hochinformativen, stets kurzweilig, lebendig und anschaulich
erzählten
Buch vermittelt er dem geologischen Laien eine noch relativ junge
wissenschaftliche Erkenntnis - die der Plattentektonik. Diese macht
endgültig
mit den Visionen um untergegangene und unentdeckte Kontinente Schluss.
Der
Autor, der für die "Geological Society of London"
arbeitet und
Herausgeber des Magazins "Geoscientist" ist, nimmt
den Leser
auf eine Reise rund um Globus mit, entlang seiner Naht- und
Bruchstellen, die
sich letztendlich als ein
"Archimedes-Palimpsest" seiner Vergangenheit
herausstellen.
Unser Planet besitzt unbestritten ein Innenleben: ein Leben, dessen
Wärme im
Inneren einen Langzeitzyklus tektonischer Aktivität mit sich
bringt. Dieses
Verschmelzen und Auseinanderbrechen geschieht in einem relativ
konstanten Zyklus
von ca. 750 Millionen Jahren, und seit 1912 besitzt man
darüber genauere
Kenntnisse. Und wenn wir noch ein "bisschen warten" - "nur"
250 Millionen Jahre - dann können wir einen grandiosen
Kollisionskurs der
driftenden Kontinente und gleichzeitig das Verschmelzen zu einem
einzigen
gigantischen Superkontinent erleben. "Einige" Jahre früher, in
ca. fünf
Millionen Jahren, wird das Mittelmeer von den Ozeanen der Welt isoliert
sein und
austrocknen, in 100 Millionen Jahren wird der Zusammenprall Australiens
mit
Asiens eine riesige Bergkette emporgehoben haben.
"Jener Superkontinent wird weder der erste noch der letzte
sein, der
sich auf der Erde bildet. Die Kontinente, wie wir sie heute kennen -
Afrika,
Nord- und Südamerika, Asien, Australien, Europa und die
Antarktis -, sind
Fragmente des letzten Superkontinents Pangäa, der Dinosaurier
hervorbrachte (...)
Superkontinente kehren so regelmäßig wieder wie der
Halleysche Komet",
so Ted Nield.
Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse
Neben den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen lässt der
Autor vor allem
aber auch die Visionäre und Rätselrater, die
wagemutigen Entdecker und
Hypothesenbildner, die wissenschaftlichen Außenseiter und die
mit Preisen
geehrten Professoren, die zur Aufklärung der Erdgeschichte
beitrugen und bis
heute beitragen, sowie skurrile und amüsante Seitenzweige der
Geologie-Geschichte Revue passieren.
Nield erörtert die "Wurzeln" der Gebirge und wie sie auf dem
Meeresboden schwimmen, beleuchtet das von recht simplen physikalischen
Größen
abhängige, trotzdem jedoch hochkomplexe System unseres
Erdklimas oder erklärt
die Effekte des nicht gleichmäßigen, elliptischen
Umlaufs unserer Erde um die
Sonne. Ferner unternimmt er einen Abstecher in die Evolution. Auch hier
haben
die Geologen entscheidend dazu beigetragen, dass man herausgefunden
hat, dass
Leben schon mindestens seit 3,5 Milliarden Jahren existiert.
Unterhaltsam und zuweilen witzig, aber immer souverän, einmal
im Plauderton,
dann wieder philosophierend, zuweilen mit einer überbordenden
Fülle von
Querverbindungen, greift Ted Nield vor, springt zurück, taucht
in das Denken früherer
Jahrhunderte ein, blickt in hochaktuelle Computerszenarien oder
imaginiert, was
dem blauen Planeten in Jahrmillionen bevorstehen wird.
Der Superkontinent mit Namen "Wissenschaft"
"Das Ungemütliche am Universum ist die Tatsache, dass
unsere Existenz
darin keinerlei Bedeutung hat; und das Ungemütliche an der
Wissenschaft ist,
dass sie diese Tatsache offenlegt, ein Vorgang, den man als die
'schrittweise
Entthronung' des Menschen bezeichnet hat", stellt der Autor
fest. Ted
Nield gelingt es, die eigene Existenz als unbedeutende Randerscheinung
in einem
ungeheuer großen Zyklus zu sehen - dem Pulsschlag unserer
Mutter Erde. Zwar
sind wir mit einem Gehirn gesegnet (oder gestraft), das in der Lage
ist, diese
grandiosen Dinge zu verstehen, aber trotz alledem erhebt sich so
manches Mal -
gerade gegenwärtig, wenn man die Diskussionen um das
Für und Wieder der
Versuche im "CERN" erlebt - jene Frage, die sich auch Ted Nield
stellt: "Werden wir es nutzen oder wie Albrecht
Dürers 'Melancholika'
dasitzen, umgeben von den Instrumenten, mit deren Hilfe wir die Welt
erklären können,
aber zu träge, sie zu gebrauchen? (...) Wer die Wissenschaft
irgendwo einschränken
will, beschädigt sie als Ganzes. In der Wissenschaft
hängt alles mit allem
zusammen - die Wissenschaft ist sozusagen ebenfalls ein Superkontinent."
Letztendlich bleibt die Erkenntnis: "Solange wir nicht ohne
die Erde
leben können, ist nicht die Erde Teil unserer Geschichte,
sondern wir sind Teil
ihrer Geschichte." Treffend beschrieb dies der schottische
Dichter Hugh
MacDiarmid:
"Was mit uns geschieht
Ist für die Erdgeschichte belanglos
Was aber in der Erdgeschichte geschieht
Ist für uns nicht belanglos."
Fazit:
"Wissenschaftler interessieren sich für die Wahrheit.
Sie wollen
wissen, wie die Welt wirklich beschaffen ist, und sie wollen dieses
Wissen
nutzen, um etwas in der Welt zu erreichen", schrieb die
Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes. Ted Nield versucht in seinem
Buch
"Superkontinent" Erkenntnisse der Geologie auf einem Streifzug durch
die Geschichte unseres Planeten dem interessierten Leser
verständlich zu
machen, was ihm unbestritten großartig gelungen ist.
(Heike Geilen; 10/2008)
Ted
Nield: "Superkontinent. Das geheime
Leben unseres Planeten: Eine abenteuerliche Reise durch die
Erdgeschichte"
(Originaltitel "Supercontinent. Ten Billion
Years in the Life of Our Planet")
Übersetzt von Gabriele Gockel und Thomas Wollermann.
Verlag Antje Kunstmann, 2008. 287 Seiten.
Buch
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