Michael Stavarič: "Magma"
Geschichte als Teufelswerk? Eine Evolution der Untergänge und ein humorvolles Globalepos des Bösen
Geschichte besteht bei Michael Stavarič aus Geschichten und
Geschichterln, aus solchen, die man als Allgemeinwissen kennt, und
anderen, die man eher zu den historischen Randnotizen zählt - doch
immer erzählt sie ein Zoohändler aus nächster Nähe,
meist ist auch sein Goldhamster Bruno nicht weit. Er wird zum langsam
erwachenden, unscheinbaren, aber nicht unsympathischen Chronisten, der
die Leserschar in seinen persönlichen Bann zieht und mit ihnen
durch die Epochen surft, wo er gleichsam wie im Internet alle Ereignisse und Suchergebnisse, egal ob aus dem Chatroom oder von der Akademie der Wissenschaften, mit gleicher Wichtigkeit und Erzähllust wiedergibt.
Besonders das Meer,
die Schifffahrt und seemännische Katastrophen ziehen den
Protagonisten an. Es fehlt auch nicht an Anklängen an Mythologie
und Literatur; die
Sintflut
wird zum Klassiker dieses mephistophelischen Katastrophentouristen und
seines pausbäckigen Pudels. Bekannte Untergänge und andere
Schreckensszenarien wie die der "Titanic", der "Achille Lauro" oder von
"La Méduse" zeigen ihre diabolische Wirkung. Die "Mayflower",
die zwar heil in Amerika ankam, deren Passagiere und erste Siedler von
Massachusetts aber zu einem großen Teil die ersten Jahre nicht
überlebten und den Tod in Form von ansteckenden Infektionen aus
Europa mitbrachten, wird in die desaströse Rundschau eingereiht.
Auch der Vulkanismus und andere letale Naturerscheinungen profitieren
von der Nähe dieses Anti- und Unterweltshelden und machen ihn zu
einer Grundfigur des Lebens und Lebensendes, der sich und den Lesern
die ewige Frage nach dem Bösen stellt. Die Antwort fällt
freilich nicht leicht; schließlich benötigte auch der
gelehrte Dr. Faust sechsunddreißig Jahre, um sein Leben in Taten
zu bejahen.
Formal ist "Magma" der letzte Teil einer Trilogie zu den Themen Angst
und Tod, die mit "stillborn" begann und deren zweiter Teil "Terminifera"
war. "Magma" ist eigentlich kein Roman mit Anfang und Ende, eher eine
Rundfahrt durch die Historie aus locker aneinander gereihten
Prosatexten, wenngleich auch hier poetische Elemente, Rhythmus und
Zitate aus Literatur und Liedtexten nicht fehlen. Es ist eine Literatur
der Anklänge und Allusionen an die Welt als Ganzes seit ihrem
Anbeginn, keine exemplarische Erzählung an einem Ort und in einer
Zeit, ein Welttheater in humorvoller Prosa, das die dramaturgische
Einheit sprengen muss.
Vielen Autoren wäre dieses Vorhaben vielleicht zu groß angelegt, sie müssten sich an
Johann Wolfgang von Goethe und an
Karl Kraus' "Letzte Tage der Menschheit" messen lassen. Michael
Stavarič, der 1972
in Brünn
geborene und in Österreich aufgewachsene Slawist, Publizist, Autor
und Übersetzer, wagte den faustischen Entschluss. Das leicht
lesbare - und dennoch schwer erklärbare - Globalepos des
Bösen in Auszügen ist gelungen.
(Wolfgang Moser; 12/2008)
Michael Stavarič: "Magma"
Residenz Verlag, 2008. 243 Seiten.
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