Martina Löw: "Soziologie der Städte"
Worin
unterscheiden sich Städte eigentlich, wenn man einmal von
örtlichen Sehenswürdigkeiten absieht? Warum schreibt
man den Menschen, die in einer Stadt leben, andere Züge zu als
Menschen aus einer anderen Stadt? Und hat dies überhaupt etwas
mit der Stadt an sich zu tun? Was prägt die Menschen einer
Stadt oder umgekehrt: Welche Faktoren spielen eine Rolle dabei, dass
eine Stadt diesen Ruf oder jene Bewohner hat?
Diese Fragen sind ungewöhnlich, erscheinen auf den ersten
Blick jedoch als leicht zu beantworten. Spätestens nach
einigen Sätzen ist die Ursachenforschung für den
Laien dann jedoch auch schon wieder beendet, und ratlos fragt man sich
dann: "Ja, was ist denn nun eigentlich genau der Grund dafür,
dass Städte so unterschiedlich wahrgenommen werden?"
Genau dieser Frage wendet sich Martina Löw zu. Die Professorin
der Soziologie
an der Technischen Universität Darmstadt wirft mit "Soziologie
der Städte" solche Fragen auf und versucht, entsprechende
Merkmale zur Einordnung von Städten in ihrem Buch festzulegen.
Gerade 292 Seiten umfasst dieses Werk, doch schnell merkt der Leser,
wie komplex das Thema ist und wie vielfältig die zu stellenden
Fragen sowie die möglichen Mittel zur Beantwortung sind.
Löw weiß beispielsweise davon zu berichten, dass die
Worte "Spaß" und "Arroganz" besonders von Hamburgern in
Suchmaschinen eingegeben werden, in Berlin eher "Melancholie" und
"Kultur", und in
München
liegen Worte wie "Karriere" und "Sport" ganz weit vorn.
Dass die Ergründung der Geheimnisse der
Städtesoziologie ein umfangreiches Unterfangen ist, zeigen die
von Löw schon anfangs aufgeworfenen Fragen wie die, wo die
Grenzen einer Stadt zu ziehen sind. Politisch können diese
Grenzen nämlich ganz anders gesteckt sein, als sie dies im
Erleben der Stadt durch die dort lebenden Menschen tatsächlich
sind. Da könnte es sein, dass Vorort X zur Stadt
zählt, Vorort Y hingegen nicht mehr.
Um eine Stadt und ihre Besonderheiten aus der soziologischen Sicht zu
fassen, gibt es also viele Aspekte zu beachten. Hierzu zählen
sicherlich die gegebenen Sehenswürdigkeiten und Besonderheiten
in baulicher Hinsicht, aber eben auch, wie diese von den Bewohnern der
Stadt erlebt und genutzt werden. Doch gibt es zudem bestimmte
Sprechweisen und sogar bestimmte Arten des Gefühlerlebens, die
in einzelnen Städten spezifisch verankert sind und das
Lebensgefühl einer Stadt beeinflussen. Stadtpolitik
zählt ebenfalls zu den wichtigen Aspekten. Sie entscheidet
nicht allein über die Zufriedenheit der Bewohner, sondern
lehrt über längere Zeiträume auch, wie mit
Entscheidungen umgegangen wird und wie sie getroffen werden, welche
Prioritäten gesetzt werden. Umgekehrt wird Stadtpolitik
wiederum von Menschen betrieben, die ihrerseits von eben dieser Stadt
geprägt wurden, so dass Wechselwirkungen zu beachten sind.
Was sich auf den ersten Blick als interessanter, aber eher unwichtiger
Blick auf die Besonderheiten von Städten darstellt, ist
letztlich ein wichtiger Punkt. Die Städtesoziologie
ermöglicht es nicht nur herauszufinden, wo welche
Besonderheiten liegen, sondern kann politisch und wirtschaftlich mit
ihren Erkenntnissen durchaus hohe Wirkung haben.
Wer weiß, wie sich das Selbstbild einer Stadt und seiner
Bewohner gestaltet und die Eigenlogik einer Stadt kennt, kann sich in
vielerlei Hinsicht besser auf sie einstellen. Werbemaßnahmen
und politische Entscheidungen können so spezifischer
geführt und getroffen werden, die Akzeptanz der Bewohner ist
in solchen Fällen anzunehmenderweise höher,
Fehlkalkulationen können abgemindert werden. Auch im
gesamtdeutschen und internationalen Vergleich sind so bessere
Strategien möglich, denn die Städtesoziologie
ermöglicht den Blick auf das Spezielle, das Eigene, und kann
so den Versuch verhindern oder zumindest abmildern, auf der "Welle"
einer anderen Stadt schwimmen und diese kopieren zu wollen.
Um Löws Werk ausreichend würdigen zu können,
ist ein Interesse am Thema unerlässlich, eine entsprechend
soziologische oder zumindest wissenschaftliche Vorbildung hingegen sehr
von Nutzen für den Leser. Löw argumentiert mit Hilfe
einer Vielzahl von Quellen und Zitaten, und die Lektüre
gestaltet sich insgesamt ziemlich wissenschaftlich und dröge.
Zwar wird der Text immer wieder einmal auch durch lebensnahe Beispiele
und Stadtvergleiche aufgelockert, doch im Gesamtbild sind diese
Auflockerungen eher rar gesät. Auch die vielen Relativierungen
und Hinweise darauf, dass die Städtesoziologie als
wissenschaftliche Disziplin noch einen weiten Weg vor sich habe,
ermüden den Leser schnell.
(Tanja Thome; 01/2009)
Martina
Löw: "Soziologie der Städte"
Suhrkamp, 2008. 292 Seiten.
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Weitere
Buchtipps:
Helmuth Berking, Martina Löw (Hrsg.): "Die Eigenlogik der
Städte.
Neue Wege für die Stadtforschung"
"Stadt" ist ein Thema von höchster Brisanz. Es gibt kein
Problem, das
nicht an und in den Städten imaginiert worden ist. Die
aktuelle
Perspektivenvielfalt der Stadtforschung aber verdeckt ihr
einheitsstiftendes
Fundament. Denn immer ist es die "Stadt", die für etwas
Anderes -
Gesellschaft, Moderne, Kapitalismus - steht. Die Autoren nehmen dieses
Dilemma
einer Stadtforschung, die sich für die konkreten
Konstellationen in einer Stadt
nicht interessiert, zum Anlass, um nach der Eigenlogik der
Städte
zu fragen.
Die Beiträge entwickeln Konzepte und
Forschungsansätze, mit denen die
individuelle Gestalt der Städte erschlossen und ins
Verhältnis gesetzt werden
kann. (Campus Verlag)
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Martina
Löw, Silke Steets,
Sergej Stoetzer: "Einführung in die Stadt- und Raumsoziologie"
Das Buch untersucht Stadt und Raum aus soziologischer Perspektive. Es
bietet
einen Überblick über den derzeitigen Stand der
Forschung zu beiden
Themenfeldern. Die gängigen Konzepte der Stadtsoziologie
werden durch die
aktuelle Raumsoziologie ergänzt und mit den wichtigsten
Vertretern, Konzepten
und Anwendungsbereichen vorgestellt. Ein Empirie-Teil sowie Tipps
für
Studierende runden das Ganze ab. Eine dringend notwendige
zeitgemäße und
zugleich "klassische" Stadt-Einführung.
Aus dem Inhalt: Stadt und Raum als Feld der Soziologie;
Raumkonzeptionen; Ökonomie
und Kultur der Stadt; (Video-)Überwachung,
Kriminalität und Raum; Empirische
Forschung; Tipps für Studierende. (UTB)
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Martina
Heßler: "Die
kreative Stadt. Zur Neuerfindung eines Topos"
Der Topos der kreativen Stadt stellt derzeit ein hochaktuelles Thema
dar. Die
Studie zeigt am Beispiel dreier Wissenschaftsorte in der Region
München auf,
wie dieser Topos in den letzten Dekaden neu erfunden wurde und dabei
auf alte,
bis in die Antike zurückreichende Konzepte des
Städtischen und der Agora als
genuine Orte von Kreativität und Kommunikation referiert.
Indem die Geschichten dreier Wissenschaftsorte erzählt werden,
die sich seit
den 1960er-Jahren in der Peripherie Münchens entwickelt haben,
wird das sich
wandelnde Verhältnis von Stadt und Wissenschaft nachgezeichnet.
Das Buch versteht sich dabei als eine Geschichtsschreibung aus der
Perspektive
von Orten. (transcript Verlag)
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Paul
Virilio: "Panische
Stadt"
Paul Virilio erzählt die tragische Geschichte unserer
Städte: Waren sie
einmal Herz der Zivilisation, so sind sie heute der Schauplatz ihrer
Zersetzung.
Die offene Stadt, Kosmopolis, weicht der Klaustropolis.
In "Panische Stadt" führt Paul Virilio den Leser durch
Paris
-
und erzählt dabei die Geschichte aller Städte; eine
Geschichte, die sich
allerdings als Tragödie erweist. War die Stadt einst Herz und
Hoffnung der
Zivilisation, so ist sie heute der Schauplatz von deren Zersetzung,
Schauplatz
kriegerischer und strategischer Auseinandersetzungen. Die
jüngsten
terroristischen Anschläge sind nur der sichtbarste Ausdruck
dieses Wandels:
Auch durch Einkaufszentren, das
ausgedehnte Netz
der
Überwachung, die
Privatisierung öffentlichen Raums und nicht zuletzt durch die
Massenmedien,
die
von geschürten Ängsten leben, werden die
Städte nach der Logik der Panik
rekonstruiert. Mit der neuen metropolitischen Kampfzone werden wir
Zeugen eines
in seinen Konsequenzen noch längst nicht absehbaren
historischen Wandels. (Passagen
Verlag)
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Andreas
O. Weber: "Städtische
Normen - genormte Städte: Zur Planung und Regelhaftigkeit
urbanen Lebens und
regionaler Entwicklung zwischen Mittelalter und Neuzeit"
Die geplante und genormte Stadt ist ein allgegenwärtiges
Phänomen, jedem präsent
in den "modernen" Hochhaus- und Plattenbausiedlungen, aber auch in der
Gleichförmigkeit von Reihenhäusern und
dörflichen Neubaugebieten - ein
starker Gegensatz zu den verwinkelten
Städten
des Mittelalters, wie etwa das
Paradebeispiel Rothenburg ob der Tauber zeigt. Aber auch eine solche
"gewachsene"
Stadt war durch Normen geprägt, wenn auch nicht in ihrer
Gesamtgestalt. Der
vorliegende Band geht den Einflüssen von Normen auf
Städte und den in Städten
entwickelten Normen in interdisziplinärer Vielfalt nach. Die
zeitliche
Perspektive reicht dabei vom hohen Mittelalter bis zu heutigen Fragen
der
Stadtentwicklung und Stadtplanung. (Thorbecke)
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