Fredrik Sjöberg: "Die Fliegenfalle"

Über die Seele eines Sammlers, Fliegen und das Leben mit der Natur


Auf den Spuren des René Malaise

René Malaise? Nie gehört. Wer ist das? So oder ähnlich mag wohl die erste Reaktion manch eines Lesers ausfallen, wenn sein Augenmerk auf die Überschrift dieser Rezension fällt. Deshalb möchte ich diesen interessanten Mann zunächst einmal kurz vorstellen. René Malaise (1892-1978), trotz seines französisch klingenden Namens ein Landsmann Fredrik Sjöbergs, ein Schwede also, war Forscher, Abenteurer, Kunstexperte und Insektensammler (Spezialgebiet Blattwespen) in einer Person. Unsterblich gemacht aber hat er sich mit der Konstruktion der nach ihm benannten Malaise-Falle. Das ist eine Falle, um Insekten damit zu fangen, namentlich Fluginsekten wie Fliegen, Wespen oder Käfer. Jeder Entomologe (Insektenforscher) kennt sie oder hat sogar ein Exemplar davon in seinem Garten aufgebaut, sehr zum Erstaunen seiner Nachbarn vermutlich. Und nicht zuletzt auf diese Falle bezieht sich auch Fredrik Sjöbergs Titel "Die Fliegenfalle".

Fredrik Sjöberg ist ein passionierter Fliegenfänger und Sammler. Aber nicht nur damit wandelt er auf den Spuren des Rene Malaise. Er war und ist auch so manchem Geheimnis auf der Spur, das sich um die Person des Rene Malaise rankt, und davon gibt es nicht wenige. Noch weitere bemerkenswerte Persönlichkeiten oder Originale aus dem entomologischen Forscher-Milieu werden dem Leser vorgestellt, so beispielsweise der Mann, der bombastische Mengen an Zitronenfaltern züchten wollte, um die Konfettibranche dadurch das Fürchten zu lehren. Doch in erster Linie geht es in diesem wunderbaren Buch natürlich nicht um Menschen, sondern um Fliegen, präziser gesagt: um Schwebfliegen. Und diese Schwebfliegen sind nun wieder das Spezialgebiet Fredrik Sjöbergs, eines studierten Biologen, der heute als freier Journalist, Schriftsteller und Übersetzer arbeitet.

Was treibt jemanden dazu, solch verrufenen Kreaturen wie den geradezu epidemisch verbreiteten Fliegen nachzustellen? Einem lästigen Ungeziefer, seien es nun Stubenfliegen, Bremsen oder Schwebfliegen, welcher Laie macht da schon einen Unterschied? Fliegen sind halt Fliegen. Bibliophile kennen vielleicht noch die "Eichborn-Fliege". Es lohnt sich aber, sich ein wenig mit Fliegen oder anderen Insekten zu befassen, sie zu beobachten, zu studieren, vielleicht sogar selbst zu sammeln oder sie einfach nur zu bewundern und zu bestaunen. Und es lohnt sich ebenso, Sjöbergs "Fliegenfalle" zu lesen. Er präsentiert uns die Faszination Fliege auf unnachahmliche Art und Weise und versteht es dabei meisterhaft, das Interesse seiner Leser für die Fliegen zu beflügeln, um vielleicht im Laufe der Lektüre Bewunderung oder sogar Sympathie für diese Tiere zu entwickeln. In seiner sympathisch lockeren Art zu schreiben, einem Stil, der sich von unverständlicher Gelehrsamkeit ebenso zu distanzieren weiß wie von naturschwärmerischer Biedermeierseligkeit, geht Fredrik Sjöberg nicht nur der Fliegenseele auf den Grund, er lotet nebenbei auch die Psychologie des typischen Sammlers aus, der nach Meinung einiger Freudianer über einen analen Charakter verfügt, weil er als Kind nicht lange genug mit seinen Exkrementen spielen durfte. Und dies wird natürlich nirgends deutlicher als beim Entomologen, der in Kuhfladen und in Pferdeäpfeln nach Käfern und Fliegen forscht, um ihnen anschließend in seinem Tötungsglas den Garaus zu machen.

Auch über die Einsamkeit des Entomologen macht sich Fredrik Sjöberg so seine Gedanken. Einsam ist er vor allem, weil seine Leidenschaft für Insekten nur von wenigen Menschen geteilt wird, es sei denn, er hätte sich auf Schmetterlinge spezialisiert, die in Mitteleuropa - im Gegensatz zu Fliegen, Käfern und Wespen - in einer überschaubaren Anzahl von Arten vertreten sind. Das hat für den passionierten Sammler jedoch den Nachteil, dass seine Sammlung über kurz oder lang einmal vollständig werden könnte. Eine komplettierte Sammlung ... der Alptraum eines jeden Sammlers! Dann sind Entomologen fast ausschließlich männlichen Geschlechts. Deshalb Sjöbergs Rat an alleinstehende Damen auf Partnersuche: Besuchen Sie einen Entomologen-Kongress, denn das ist ein wahres Eldorado für die einsamen Herzen alleinstehender Frauen. Und vielleicht wird dann eines Tages sogar eine neu entdeckte Fliege nach Ihnen benannt, denn das ist die gängige Liebeserklärung eines Entomologen, wie wir von Sjöberg erfahren, und er muss es ja wissen.

Jeder Entomologe, der Insekten sammelt, ob er dieser Tätigkeit nun berufsmäßig oder als Hobby nachgeht, sieht sich gezwungen, sich auf eine "Insel" zurückzuziehen, um nicht im Überfluss den Überblick zu verlieren. Fredrik Sjöberg lebt auf einer richtigen kleinen Insel und sammelt nur die Schwebfliegen, die dort auch vorkommen oder zur Zwischenlandung ansetzen. So eine "Insel" kann aber auch der eigene Garten sein. Wer also einen Garten sein eigen nennt, der kann sich, soweit er mit offenen Augen darin lustwandelt, über eine Vielzahl gekerbter, sowohl geflügelter als auch ungeflügelter Besucher freuen. Den Zierrasen sollte er dann natürlich gegen eine bunte Blumenwiese austauschen. Man kann übrigens auch eine fotografische oder filmische Sammlung von Insekten anlegen. Das würde mir persönlich auch eher zusagen, als die Tiere zu töten und auf Nadeln zu spießen, um sie dann in Kästen für ein paar Jahrhunderte zu konservieren.

"Malaise war ein guter Erzähler", schreibt Fredrik Sjöberg. Das vermag ich nicht zu beurteilen. Aber: Fredrik Sjöberg ist ein guter Erzähler, ein famoser, brillanter Erzähler sogar. Selbst diejenigen, die keinerlei Neigung verspüren, sich mit den Insekten anzufreunden, werden sich kaum langweilen, wenn sie Sjöbergs "Fliegenfalle" zur Hand nehmen und gelegentlich darin schmökern, besser wäre es natürlich, das komplette Buch zu lesen. Es lohnt sich!

(Werner Fletcher; 05/2008)


Fredrik Sjöberg: "Die Fliegenfalle. Über die Seele eines Sammlers, Fliegen und das Leben mit der Natur"
(Originaltitel "Flugfällan")
Aus dem Schwedischen von Paul Berf.
Eichborn Berlin, 2008. 240 Seiten.
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Fredrik Sjöberg, geboren am 31. August 1958 in Västervik (Schweden), hat zahlreiche Aufsätze verfasst, an mehreren Anthologien mitgearbeitet und viele Bücher aus dem Englischen, Französischen und Norwegischen ins Schwedische übersetzt. Sein 2004 in Schweden erschienenes Buch "Die Fliegenfalle" war für den renommierten schwedischen "Augustpreis" nominiert.

Leseprobe:

FLUCH DER VERHUNGERNDEN KLASSE

Es war zu der Zeit, als ich abends mit einem Lamm im Arm durch die Häuserblocks um den Nybroplan spazierte. Ich erinnere mich so gut. Es war Frühling geworden. Die Luft war trocken und gleichsam staubig. Der Abend war kühl, aber in der Luft lag noch der Duft des lauen Tags von Erde und sonnenwarmem Vorjahrslaub. Das Lamm blökte verlassen, als ich die Sibyllegatan überquerte.
Tagsüber wohnte dieses Tier bei den verwöhnten Pferden des Königs im Hofstall, unten am Strandvägen, und uns war durchaus bewußt, daß es sich als Außenseiter empfinden mußte, auch abends, im Theater. Ich verstehe nichts von Lämmern, aber alt war es nicht, ein paar Wochen vielleicht. Als lebende Metapher auf der Bühne zu agieren, muß eine Prüfung gewesen sein, nicht zuletzt, da das Stück - Sam Shepards amerikanisches Drama Fluch der verhungernden Klasse - stellenweise selbst für erwachsene Menschen sowohl brutal und polternd als auch schwer verdaulich war. Das arme Tier biß vermutlich die Zähne zusammen und dachte an etwas anderes. Möchte man hoffen. Jedenfalls wuchs es, und zwar schneller, als irgendwer erwartet hatte.
Das war und blieb einzig und allein mein Problem. Eine nebulöse Mischung aus Strebsamkeit und Zufällen hatte zu meiner Anstellung am Königlich Dramatischen Theater geführt, und da meine Arbeit seit zwei Jahren darin bestand, als Requisiteur die oft einigermaßen merkwürdigen Requisiten der verschiedenen Inszenierungen zu verwalten, hatte ich die Aufgabe, das unglückliche Lamm vor jeder Aufführung aus dem Hofstall zu holen. Ich trug es auf dem Arm. Vermutlich waren wir an diesen Frühlingsabenden zusammen ausgesprochen niedlich anzuschauen. Wenn sich dann der Vorhang hob, sollte das Lamm (später Schaf) diverse Male auf die Bühne und wieder herunter, still sein und tunlichst nicht die Kulissen beschmutzen, und das alles mit der gleichen untrüglichen Präzision wie bei jedem anderen Szenenwechsel auch. In völliger Dunkelheit.
Vor der Premiere, während der Proben, hatten wir uns ein mechanisches Lamm vorgestellt, ein zottiges, ausgestopftes Ding mit beweglichem Kopf und einem eingebauten Lautsprecher, der auf einen simplen Knopfdruck des Bühnentechnikers im exakt richtigen Moment ein putziges Blöken ertönen lassen würde. Doch als der Regisseur den kostbaren Roboter schließlich zu Gesicht bekam, gestand er sich kaum mehr als vier Sekunden Bedenkzeit zu, ehe er den Versuch auch schon als fruchtlos verwarf. Fort damit. Steht in den Regieanweisungen ein lebendes Lamm, muß ein lebendes Lamm her, kein Spielzeug. Damit war die Sache entschieden. Mir wurde die Verantwortung für das Lamm übertragen. Und so kam es, daß ich mich in jenem Frühjahr zu fragen begann, was ich dort eigentlich machte, und warum.
Nun kann man sich ohnehin fragen, was ein junger Entomologe überhaupt am Theater zu suchen hatte. Das ist eine wahrhaft beklemmende Frage, in die wir uns meines Erachtens nicht zu sehr vertiefen sollten. Außerdem ist das alles schon so lange her. Lassen Sie uns der Einfachheit halber annehmen, er wollte nur den Mädchen imponieren. Auf diesem Gebiet fällt einem Entomologen eher selten etwas in den Schoß. Oder sagen wir vielleicht lieber, daß wir alle von Zeit zu Zeit blindlings fliehen müssen, um nicht zu Kopien der Erwartungen unserer Umgebung zu werden, vielleicht auch, um uns einiger jener großen, verwegenen Gedanken zu entsinnen, die das Kind mitten in der Nacht aufstehen und mit klopfendem Herzen ein heimliches Gelübde für sein Leben niederschreiben ließen.
Wie auch immer, es war ein spannender Job. Interessant und faszinierend für einen Zugezogenen. Nichts kann Angst so mit Haut und Haaren schlucken wie ein großes Theater in einer fremden Stadt, nichts berauscht mehr als die Träume, die dort in den Wänden sitzen. Sicher, es gab vieles, was sich mir an den Kunstgriffen der Dramaturgie oder den unausgesprochenen Untertexten des Manuskripts niemals erschloß. An den Nuancen und kleingedruckten Fußnoten. Doch das machte mir nichts aus, anfangs jedenfalls nicht.
Ingmar Bergman war aus München zurückgekehrt, und alles war ein Fest. Auf der großen Bühne wurde mit mächtigem Spektakel Shakespeare gegeben, und wir, die wir lautlos über den Schnürboden und in den Kulissen tapsten, konnten noch jeden flüchtigst erhaschten Blick auf den Meister in Anekdoten über seine Launen und legendäre Magie verwandeln, in kleine, geglättete Geschichten, die in den Kneipen der Stadt immer besser und kühner wurden und sich mühelos in Neid und Interesse für den Erzähler umwandeln ließen. Gogol rollte heran wie ein Panzerkreuzer, und Norén zermürbte den Widerstand noch des hartgesottensten Publikums. Strindberg, Molière, Tschechow. Ich ging mit all dem möglicherweise entspannter um als andere junge Bühnenhandwerker, Requisiteure, Ankleider, Statisten und Assistenten mit unklaren Aufträgen, von denen das Theater nur so wimmelte, da sie fast ausnahmslos selber berühmte Schauspieler im Scheinwerferlicht werden wollten und angesichts ihrer Sehnsucht schwer unter den Erfolgen anderer und dem unberechenbaren Regiment der Aufnahmeprüfungen zur Schauspielschule litten.
Die Arbeit selbst war selten anstrengend. Man begleitete eine Inszenierung von den ersten Proben bis zu ihrer Absetzung. Zu Anfang galt es, den Regisseur und vor allem den Bühnenbildner zu verstehen, was eine Kunst für sich ist, später die Szenenwechsel mit dem Ensemble einzuüben und die Requisiten zu testen, die nach und nach aus Magazinen und Werkstätten auftauchten. Bei der Premiere beherrschten wir in der Regel alles wie im Schlaf.
Besagtes Stück aber war speziell. Nicht genug, daß dieses immer unhandlichere Lamm ein ständiger Grund zur Sorge war. Es handelte sich zudem noch um ein Essensstück, also um ein Stück, in dem auf der Bühne Essen zubereitet wird, was sich selbstverständlich auf unterschiedliche Art und Weise relativ leicht lösen läßt, aber manche Regisseure und Bühnenbildner wollen sich das Leben partout schwer machen; will sagen, soll gekocht werden, dann wird gekocht. Basta. Cognac und Bier können zwar Apfelsaft sein, das Essen aber ist echt. In diesem speziellen Fall sollten Nierchen gebraten werden. Der Geruch gebratener Nierchen füllt einen Theatersaal nämlich in Windeseile, was wohl einer gewissen Authentizität zuträglich sein sollte. (...)

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