Monique Schwitter: "Ohren haben keine Lider"
Zu
schreiben, das ist für die
Schauspielerin Monique Schwitter nichts völlig Neues. Schon
2005 veröffentlichte
sie einen Band mit Erzählungen. Als Roman jedoch ist "Ohren
haben keine
Lider" das Debüt der Schweizerin, das im Februar 2008 als
314-seitige
gebundene Ausgabe des Residenz Verlages erschien.
Die Protagonistin, eine zwanzig Jahre alte Ich-Erzählerin,
fühlt sich wohl in
ihrer Beziehung zu Fabian. Während sie noch
Zukunftspläne schmiedet, will er
jedoch eine Theorie beweisen: Nichts zu tun führt zu
grenzenloser Freiheit.
Etwas nur dann tun, wenn man es gerade möchte, frei von jedem
Zwang, aber genau
dann, wenn man es möchte, das ist Fabians Plan. Dass diese
Theorie ziemlicher
Unsinn ist, ahnt die Protagonistin schon gleich zu Anfang, aber dennoch
lässt
sie sich auf das Experiment ein, zieht mit Fabian zusammen in eine
kleine
Wohnung, verzichtet wie er auf geregelte Arbeit. Gelebt wird nur vom
Nötigsten,
nämlich Brot
und Milch, bezahlt wird alles von den
Ersparnissen und aus der
Erbschaft, die Fabian nach dem Tod seiner Oma erhalten hat.
Doch auch das Nichtstun
kann anstrengend sein, wie die
Erzählerin feststellt.
Sie denkt pausenlos nach, über die anderen
Hausbewohner,
Perspektiven, Möglichkeiten,
ihre Beziehung, die Karaokebar gegenüber ... und manchmal
entspinnen sich aus
ihren Gedanken ganze Dramen.
Eines Tages erwartet sie jedoch ein echtes Drama, denn Agnes, die immer
lächelnde
und freundliche Hausbewohnerin, die der Protagonistin ans Herz
gewachsen ist,
wird ermordet.
Doch an diesem Punkt endet die Geschichte nicht, sondern für
die Erzählerin
ist sie lediglich ein Höhepunkt, der sie zum Aktiven
drängt. Sie wartet nicht
mehr darauf, sich oder irgendwen oder irgendwas sonst zu finden,
sondern beginnt
selbst zu suchen.
"Ohren haben keine Lider" lässt sich schlecht in ein Schema
pressen,
was seinen Inhalt angeht. Zeitgenössische Literatur, moderne
Literatur, Drama,
Krimi, Liebesgeschichte, Roman einer persönlichen Entwicklung
- alles findet
sich ein Stück weit in diesem Roman wieder.
Dieses Sprunghafte, nicht klar zuzuordnende und zu Beginn vor allem
Plätschernde,
gestaltet die Lektüre zunächst ein wenig schwierig.
Man liest weiter, weiß
aber nicht genau, warum oder wie lange noch. Und auf einmal stellt man
fest,
dass das Buch einen längst gefangen genommen hat, dass man
über die Personen
und Geschehnisse nachdenkt, auch wenn man das Buch aktuell gar nicht in
den Händen
hält. Und wenn es dann zum "großen Knall" in diesem
Roman kommt,
findet man sich als Leser verstört, betroffen, verwirrt wieder.
Obwohl sich die Handlung danach noch weiter entwickelt, ist am Ende
doch noch so
einiges ungeklärt, Vermutung statt Fakt. Das ist so grandios
wie unbefriedigend
zugleich, aber wenn man das Buch zuklappt, geht es einem dann doch
letztlich wie
der Erzählerin: Man geht weiter, sieht nach vorn. Ein Buch wie
ein (Stück aus
einem) Leben.
(Tanja Thome; 03/2008)
Monique
Schwitter: "Ohren haben keine
Lider"
Residenz Verlag, 2008. 314 Seiten.
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Monique
Schwitter, geboren 1972
in Zürich, lebt als Schriftstellerin und Schauspielerin in
Hamburg. Sie erhielt
für ihren Erzählband "Wenn’s schneit beim
Krokodil" 2005 u. a. das
"Hermann-Lenz-Stipendium" 2004, den "Förderpreis der
Schweizerischen Schillerstiftung" 2006, den "Robert-Walser-Preis 2006".
Ein weiteres Buch der Autorin:
"Wenn's schneit beim Krokodil"
In den Erzählungen von Monique Schwitter wird gespielt, sehr
ernst und auf
hohem Niveau; ihre Personen wissen, dass sie spielen - auch wenn sie es
ernst
meinen. Sie können gar nicht anders: das Als-ob ist ihnen zur
Notwendigkeit
geworden, egal ob es um sexuelles
Begehren
geht oder um anderes, egal
ob sie
ihre eigene Ironie durchschauen oder nicht. Die Intelligenz, mit der
Monique
Schwitter diese ernsthaften und manchmal durchaus heftigen Simulationen
transparent macht, ist so groß wie das Vergnügen,
das die Lektüre bereitet.
Eine schonungslose und neugierige Erzählerin, und die
Erzählungen sind ihre
Sonden, mit denen sie das Unbekannte abtastet.
Diese Geschichten sind geschrieben mit einem unerbittlichen Auge
für
Situationen, in denen alles offen ist und aus denen noch alles werden
kann, und
mit dem scharfen Gehör für die Sätze, die
Menschen im Offenen miteinander
wechseln.
Zwei junge Frauen auf einer Parkbank, eine Rotweinflasche, und zwischen
ihnen
ein offenes Schweizermesser. Sie denken sich Indianernamen
füreinander aus, und
die Frage "Sag mal, wieviel Erfahrung hast du eigentlich mit Frauen"
hängt
in der Luft. Oder: Eine Frau kehrt auf Weihnachtsurlaub in die
Heimatstadt zurück;
diesmal erwartet sie ein anonymer Brief mit einer Verabredung im Zoo,
"wenn's
schneit beim Krokodil, sonst beim Kamel". Alle möglichen
Absender
passieren vor ihrem inneren Auge Revue - und damit auch alles,
wofür "Heimat"
steht, ein ganzes "Erinnerungspaket" aus Kindheit, Jugendzimmer,
Lehrerin, Männern. Oder: Eine Autofahrt mit einem fremden Mann
in einem fremden
Land, sie fotografiert durch die verschmierte Scheibe die
Straße voller
plattgefahrener Tiere, "soundsoviel
Katzen,
Frösche,
Füchse,
Marder,
Vögel."
(Literaturverlag Droschl)
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