Peter Schneider: "Rebellion und Wahn"
Mein '68
Eine
autobiografische Erzählung
Unter den zahlreichen Büchern von Zeitzeugen, Historikern und
an den einstigen
Auseinandersetzungen direkt beteiligten "Führungsfiguren", die
im
Frühjahr 2008, vierzig Jahre nach "1968", erschienen sind,
ragt das
vorliegende von Peter Schneider in mehrfacher Hinsicht besonders
positiv heraus.
Geschrieben hat Schneider es als "autobiografische
Erzählung".
Er stützt sich dabei auf seine damaligen
Tagebuchaufzeichnungen, die er neben
den sehr viel später veröffentlichten und von
etlichen, unter anderen auch von
Jutta Ditfurth regelrecht für ihre Interessen
ausgeschlachteten, Tagebüchern
von Rudi Dutschke als wohl Einziger systematisch verfasst und vor allen
Dingen
aufgehoben hat. Immer wieder werden Passagen aus diesem Tagebuch kursiv
in
seinem Buch abgedruckt, wodurch dem heutigen
Leser auch
sprachlich ein Eindruck von den damaligen Geschehnissen und davon, wie
Peter
Schneider diese höchstpersönlich erlebte
und teilweise mitgestaltete, vermittelt wird.
Neben der rasanten politischen Entwicklung und der sich immer mehr
zuspitzenden
Situation infolge des Attentats auf Rudi Dutschke und vieles Andere,
worauf an
dieser Stelle nicht eingegangen wird, beschäftigt den Autor
damals eine Amour
Fou, die ihn nicht weniger aufwühlte als seine
revolutionären Leidenschaften.
Peter Schneiders Buch ist kein nostalgischer Rückblick, es ist
die
Dokumentation des inneren Streits des nunmehr 68-jährigen mit
dem "68’er"
von damals. Er macht dabei mit dem damaligen Anspruch radikal ernst,
das
Politische sei privat und das Private politisch. Bei keinem anderen
Autor hat
der Rezensent im Frühjahr 2008 eine ernsthaftere sowie
intellektuell und für
ihn als Autor auch künstlerisch anspruchsvollere und
selbstkritischere
Darstellung der damaligen Ereignisse gelesen als bei Schneider.
Während Jutta Ditfurth nach wie vor die Revolution und die
revolutionäre
Gewalt verklärt, und Götz Aly sich vor allem an
seinem Vorwurf abarbeitet,
1939 und 1968 seinen sozusagen geistige Geschwister gewesen,
während Thomas
Schmid in einem persönlichen Editorial in der "Welt am
Sonntag"
erläutert, warum er das geworden ist, was er ist,
nämlich Chefredakteur im
damals heftig bekämpften "Springer"-Konzern, erzählt
Peter Schneider
einfach, wie er diese bewegte Zeit selbst erlebt hat. Dabei mischt sich
der
68-jährige immer wieder skeptisch in die Erinnerungen des
"68'ers",
wobei er sowohl die glorifizierende als auch die radikal verdammende
Ex-Post-Betrachtung wohltuend vermeidet.
Schneider erzählt von Begebenheiten, über die der
Rezensent in keinem der
bisher auch schon anno 1978, 1988 und 1998 erschienenen Bücher
über 1968
gelesen hat. "Rebellion und Wahn" kann sowohl für die
Jahrgänge ab
etwa 1954, die wie der Rezensent die Nachwirkungen der 68-er Bewegung
an der
Universität und auch im privaten Bereich erlebt haben, aber
auch für die
jungen Leser, die schon in einer durch 1968 mitveränderten
Kultur und
Gesellschaft aufgewachsen sind, als hervorragende Lektüre
bezeichnet werden.
Man muss einfach wissen, was damals geschehen ist, sonst begreift man
vieles
nachfolgend Geschehene nicht.
Auf zwei Hinweise Peter Schneiders sei hier näher eingegangen,
weil der
Rezensent diese so vorher noch nie beschrieben las.
Zum Einen befasst sich der Autor immer wieder mit der Rolle Hans-Magnus
Enzensbergers und seinem Einfluss auf die "Bewegung":
"Es war Enzensbergers Pech, dass jedes, auch jedes unbedachte
Wort von
ihm kraft seiner enormen Autorität Folgen hatte. Man
würde gern einen
glitzernden Essay von
Enzensberger über seine Einlassungen in
der Spät- und
Verfallszeit der antiautoritären Bewegung lesen, eine
Abrechnung mit seinen
eigenen ideologischen Verrennungen. Er fand nie etwas dabei, eine alte,
inzwischen überlebte Erkenntnis durch eine neue zu ersetzen.
Rückbesinnung und
Selbsterforschung gehören nicht zu seinen Stärken.
Sobald eine alte
Überzeugung Risse zeigte, ist er, ohne sich noch einmal
umzudrehen, zu neuen
Ufern aufgebrochen. Im 'Nouvel Observateur' hat Enzensberger sich
kürzlich - am
26. September 2007 - als einen 'Beobachter' der revolutionären
Wirren jener
Jahre bezeichnet. Ich halte diese Selbsteinschätzung - mit
Verlaub - für ein Understatement.
Nein, ein Beobachter ist Enzensberger nicht gewesen, sondern ein
mutiger,
manchmal tollkühner Antizipator der revolutionären
Ideen jener Zeit. Wie
andere, weniger berühmte Intellektuelle hat er sich dabei
verirrt und Konzepte
vertreten, die nicht mehr in sein Selbstbild passen. Aber was ist
eigentlich so
schlimm an seinen Irrungen und Wirrungen? Nächst den
Erkenntnissen gehören
eingestandene und intelligent analysierte Irrtümer zum besten,
was
Intellektuelle zum Fortschritt beizutragen haben."
Ja, denkt der Rezensent, das würde man sich wohl bei dem Einen
oder Anderen
wünschen. Mit Bloßstellungen öffentlicher
Art, wie sie Götz Aly in seinem
Buch "Unser Kampf" besonders am Anfang präsentiert, ist dieser
Sache
aber nicht gedient; im Gegenteil.
Zum Anderen sei auf eine Begebenheit mit Rudi Dutschke hingewiesen, die
Peter
Schneider schildert, und in der es um den Holocaust geht, den die
"68'er"
nun überhaupt nicht auf ihrer Agenda hatten.
"Tilman Fichter, der durch das Buch 'Aufstieg und Fall des
Dritten
Reiches' von William Shirer früh auf das Nazithema
gestoßen war, erinnert sich
eines denkwürdigen Gesprächs mit Rudi Dutschke. Der
lesebegierige Dutschke,
der damals wie Fichter im SDS-Zentrum wohnte, habe
eifersüchtig auf den
1000-Seiten-Wälzer von Shirer geblickt und gefragt, was
Fichter denn da lese.
Fichter habe mit einer Gegenfrage geantwortet: Ob es nicht einmal an
der Zeit
sei, 'vom SDS aus etwas über den Judenmord zu machen', statt
immer nur über
Afrika und Vietnam. Nach einer Pause, nach langem Überlegen
habe Dutschke
geantwortet: Wenn wir das anfangen, verlieren wir unsere ganze Kraft.
Eine
solche Kampagne ist von unserer Generation nicht zu verkraften, aus
dieser
Geschichte kommen wir nicht mehr heraus. Man kann nicht gleichzeitig
den
Judenmord aufarbeiten und die Revolution machen. Wir müssen
erst einmal etwas
Positives gegen diese Vergangenheit setzen.
Vierzig Jahre später darf man - ohne gleich den von der 'political
correctness' gestreckten Zeigefinger zu erheben - fragen, ob
Dutschkes
Einschätzung nicht ziemlich realistisch war.
Sicher: Hätten die 68'er ihre Kräfte auf die
Erforschung und Aufarbeitung der
Naziverbrechen konzentriert, so wären die Al-Fatah-Schals, die
Dieter
Kunzelmann und viele Linke nach dem Sechstagekrieg trugen, wohl nicht
so schick
gewesen; der vom Genossen Henryk M. Broder früh bemerkte
'linke Antisemitismus'
und die falsche Unschuld, mit der sich Berliner Revoluzzer als 'neue
Juden'
stilisierten, hätten sich nicht so leicht entfalten
können; der Brandanschlag
auf das Jüdische Gemeindehaus in Berlin im Herbst 1969, die
von Ulrike Meinhof
gebilligte Mordaktion gegen israelische Sportler in München
1972, die
Selbstverständlichkeit, mit der sich die RAF von arabischen
Terroristen und
geschworenen Judenfeinden in Jordanien ausbilden und finanzieren
ließ, wären
wohl auch von der radikalen Linken als ungeheuerlich
empfunden worden und
hätten die Sympathien für die RAF von Anfang an
gestoppt. All diese
unverzeihlichen Verirrungen hätte es so nicht geben
können. Aber auch nicht
den Traum, eine neuen Gesellschaft nach neuen Regeln aufzubauen."
Die letzten Sätze dieses seiner grundsätzlichen
Bedeutung wegen langen Zitats
sind absolut typisch für das gesamte Buch Schneiders. Ehrlich
und teilweise
betroffen über soviel historischen und politischen Unverstand,
verteidigt er
dennoch immer wieder den Versuch so vieler Menschen, eine neue
Gesellschaft
aufzubauen. Man möchte so manchem Vertreter der neuen "linken
Szene"
im Umfeld von "Attac" "Rebellion und Wahn" ans Herz legen;
der bisweilen dort um sich greifende Antisemitismus und sowie die
Verklärung
der Palästinenser und ihres Terrors ist besorgniserregend.
"Es war eine schöne und schreckliche Zeit",
beendet Peter
Schneider sein sehr empfehlenswertes Buch. "Meinen Kindern
sage ich: Es
ist nötig - und wird immer wieder nötig sein und Mut
erfordern -, gegen
selbsternannte Herren der Welt und eine feige oder
übergeschnappte Obrigkeit zu
rebellieren. Aber noch mehr Mut gehört dazu, gegen die
Führer in der eigenen
Gruppe aufzustehen und zu sagen: 'Ihr spinnt! Ihr seid
verrückt geworden!' -
wenn eben dies der Fall ist."
(Winfried Stanzick; 05/2008)
Peter
Schneider: "Rebellion
und Wahn. Mein '68"
Kiepenheuer & Witsch, 2008. ca. 256 Seiten.
Buch
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Peter
Schneider wurde 1940 in Lübeck
geboren und wuchs in Freiburg auf, wo er sein Studium der Germanistik,
Geschichte und Philosophie aufnahm. Im Bundestagswahlkampf von 1965
schrieb er
Reden für SPD-Politiker. 1967/68 avancierte Schneider zu einem
der Wortführer
der 68er-Bewegung. Er beendete seine Ausbildung 1972 in Berlin. 1973
Berufsverbot als Referendar.
Er schrieb Erzählungen, Romane, Drehbücher und
Reportagen sowie Essays und
Reden, die in pointierter Weise zu den politischen und ideologischen
Fragen
seiner Zeit Stellung bezogen. Zu seinen wichtigsten Werken
zählen "Lenz",
1973; Wiederveröffentlichung im Frühjahr 2008, "Schon
bist du ein
Verfassungsfeind", 1975, "Der Mauerspringer", 1982, "Vati",
1987, "Paarungen", 1992, "Eduards Heimkehr", 1999, "Und
wenn wir nur eine Stunde gewinnen", 2001 und "Skylla", 2005. Seit
1985 unterrichtet Peter Schneider als Gastdozent an us-amerikanischen
Universitäten;
seit 1996 lehrt er als "Writer in Residence" an der
Georgetown
University in Washington D.C.
Ein weiteres Buch des Autors:
"Lenz"
Fünf Jahre nach Ausbruch der Studentenrevolte machte ein
schmaler Band
literarisch Furore: Peter Schneiders Neuerzählung von
Büchners Novelle
avancierte binnen kürzester Zeit zum Kultbuch einer ganzen
Generation.
Lenz, Student in einer Großstadt, irrt durch sein Leben:
Seine Beziehung
scheitert, politische Aktivitäten erschöpfen sich in
fruchtlosen Diskussionen,
der Versuch, sie durch die Arbeit in einer Fabrik endlich lebendig
werden zu
lassen, bleibt ergebnislos.
Um der drückenden Stagnation zu entkommen, löst er
eine Fahrkarte nach
Italien. In Rom begeistern ihn die Farben, das Miteinander der
Menschen, die
Lebenskunst. Aber rasch gerät er an die Kulturschickeria, in
der das
Politisieren längst dem Psychologisieren Platz gemacht hat.
Ein Angebot, sich
selbst einem Analytiker anzuvertrauen, lehnt er ab; eine
Affäre mit einer
Italienerin endet schnell. Wieder bricht er auf - diesmal nach
Norditalien. In
Trento trifft er auf eine Gruppe linker Studenten und Arbeiter, die ihn
brüderlich
aufnehmen. Dieses andere Italien wird für Lenz zur Befreiung.
Peter Schneider erzählt eine beeindruckende Geschichte
über den Mut zur Veränderung
und die Suche nach einem authentischen Leben. Sie hat bis heute nicht
an Kraft
und Brisanz verloren. "Lenz" ist zu einem modernen Klassiker geworden.
(Kiepenheuer & Witsch)
Buch
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Weitere Buchtipps:
Götz Aly: "Unser Kampf. 1968"
Die Achtundsechziger bekämpften den Staat und das Kapital,
genannt "das
herrschende System". Die Rebellen- und Gendarm-Spiele von 1968 tobten
in
den Puddingbergen des Wirtschaftswunderlandes. Die Angegriffenen
reagierten
konfus, aber weit vernünftiger, als die Legende behauptet.
Anders als die gängige
Veteranen-Literatur zum Thema 68 untersucht Götz Aly, wie die
Gegenseite damals
dachte.
Er benutzt die Akten des Bundeskanzleramts, des Innenministeriums, des
Verfassungsschutzes und die Nachlässe aus der Emigration
zurückgekehrter
Professoren wie Richard Löwenthal und Ernst Fraenkel. Er
prüft, was
Zeitgenossen wie Peter Wapnewski,
Josef
Ratzinger
oder Joachim Fest zu
der plötzlichen
Unruhe in der Jugend zu sagen hatten. Er zeigt, was die
damaligen Maoisten über
die Verbrechen Mao Tse-tungs hätten wissen können und
wie sie vor der
geschichtlichen Last des Väterlands in die Verherrlichung
ferner Guerilleros
flohen. Gleichzeitig schreibt Aly aus eigener Erfahrung. Er
gehörte selbst zu
den Achtundsechzigern und findet heute: "Es ist schwer, den
eigenen Töchtern
und Söhnen zu erklären, was einen damals trieb."
Anhand der Quellen analysiert er die "Bewegung" von 1968 als speziell
deutschen Spätausläufer des
totalitären
20. Jahrhundrts und kommt zu dem
Schluss: Die revoltierenden Kinder der
Dreiunddreißiger-Generation waren ihren
Eltern auf elende Weise ähnlich. (S. Fischer)
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Norbert
Frei: "1968. Jugendrevolte und globaler
Protest"
Die Chiffre "68" steht für ein Jahrzehnt der Rebellion. Nicht
nur in
der Bundesrepublik, in ganz Europa und rund um den Globus war eine
kritische
Jugend damals auf den Straßen, einen kurzen Sommer lang sogar
hinter dem
Eisernen Vorhang.
Norbert Frei sieht die Anfänge der weltweiten Bewegung in den
USA. Im Kampf um
die Gleichberechtigung der Schwarzen entstanden dort schon seit den
fünfziger
Jahren die später prägenden Formen des Protests: "Sit-ins",
"Go-ins",
"Happenings". Doch so sehr sich die Bilder glichen -
unterschiedliche Gründe speisten die Unruhe einer ganzen
Generation. In
Deutschland war die "unbewältigte Vergangenheit" eine
wesentliche
Antriebskraft, in Frankreich war es der Verdruss an den neuen
Universitäten. In
England stand die Pop-Kultur im Vordergrund, und überall war
der Protest
gegen
den Vietnamkrieg ein brennendes Motiv. 1968 hatte viele
Gesichter. (dtv)
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Wolfgang Kraushaar: "Achtundsechzig. Eine
Bilanz"
1968 - das Jahr, an dem sich bis heute die Geister scheiden.
Für die einen
bedeutet es Aufbruch, Revolte und Emanzipation, für die
anderen "Flirt"
mit dem totalitären Kommunismus, Werteverfall und
Geburtsstunde des
RAF-Terrors. Was wollten die
Achtundsechziger, was haben sie erreicht?
Vierzig
Jahre danach zieht der Historiker Wolfgang Kraushaar, einer der besten
Kenner
der 68er-Bewegung, kritisch Bilanz. Kraushaar, seit vielen Jahren
Mitarbeiter
des "Hamburger Instituts für Sozialforschung", hat sich als
scharfer
Kritiker der 68er-Mythen einen Namen gemacht. Ob Internationalismus,
antiautoritäre
Erziehung oder sexuelle Befreiung - alles stellt er auf den
Prüfstand und kommt
zu verblüffenden Erkenntnissen. Führenden
Köpfen der Bewegung weist er eine
problematische Nähe zur Gewalt, antisemitische oder
nationalistische Tendenzen
sowie ein unausgegorenes Verhältnis
zur deutschen NS-Vergangenheit nach. Hinter
revolutionär-emanzipatorischer Fassade verbargen sich
tiefsitzende
Ressentiments aus dem Gepäck der verachteten
Vätergeneration. Wer die
68er-Bewegung in ihrer historischen Bedeutung wirklich verstehen will,
kommt um
dieses Buch nicht herum. (Propyläen)
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Rudolf Sievers (Hrsg.): "1968. Eine
Enzyklopädie"
Diese Enzyklopädie bietet eine Sammlung der wichtigsten
Bezugstexte der
Bewegung sowie einen Überblick über die 365 Tage des "dichtesten
Jahres der Weltgeschichte" (Sloterdijk). (edition suhrkamp)
Buch
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Franz-Maria Sonner (Hrsg.): "Was war, was bleibt.
Die
68er und ihre Theoretiker"
In diesem Audiopaket kommen die wichtigsten Theoretiker zu Wort, an
denen sich
die so genannten 68er gemessen haben - Theodor W. Adorno, Max
Horkheimer,
Herbert
Marcuse,
Alexander Mitscherlich und Rudi Dutschke legen in
für den
Rundfunk geschriebenen Essays ihre Positionen und Visionen dar. Auch
wenn die
Einschätzungen, inwiefern die Studentenbewegung die
bundesrepublikanische
Gesellschaft verändert hat, auseinandergehen - dass eine
kulturelle Revolution
das Land verändert hat, ist unbestritten. Zeitzeugen wie
Daniel Cohn-Bendit,
Joschka Fischer, Ulrike
Meinhof, aber auch Rainer Barzel machen in diesen
legendären
Tondokumenten die Faszination dieser Epoche erfahrbar. (Kunstmann)
Hörbuch-CDs
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Ingrid Gilcher-Holtey: "1968. Eine Zeitreise"
30. Januar 1968: Beginn der Tet-Offensive; 3. April:
Kaufhausbrandstiftung in
Frankfurt; 4. April: Mord an
Martin Luther
King; 6. April: Premiere von Kubricks
"2001: Odyssee im Weltraum"; 11. April: Schüsse auf Rudi
Dutschke;
11. Mai: Generalstreik in Paris; 6. Juni: Tod Robert F. Kennedys;
20./21.
August: Niederschlagung des Prager Frühlings; 18. Oktober: Bob
Beamon springt
Weltrekord; 22. November: Veröffentlichung des
"Weißen Albums" der
"Beatles"; 21. Dezember: Apollo VIII umkreist den Mond.
In ihrer historischen Reportage sucht Ingrid Gilcher-Holtey die Orte
des
Geschehens auf, die Historikerin spricht mit Zeitzeugen und
spürt den
Verbindungen zwischen den Ereignissen nach. So entsteht ein
Porträt dieses
"dichtesten Jahres" der jüngeren Geschichte. (edition suhrkamp)
Buch
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Kanzleiter / Stojakovic (Hrsg.): "1968 in
Jugoslawien. Studentenproteste und kulturelle Avantgarde zwischen 1960
und 1975
- Gespräche und Dokumente"
Demokratie, Selbstbestimmung und Anti-Nationalismus: Die Proteste von
1968 in
Jugoslawien führten die Impulse der globalen Studentenbewegung
aus Ost und West
auf einmalige Weise zusammen. Dieser Band gibt Einblicke in die
kulturelle und
politische Blütezeit des "anderen" Jugoslawien, das nicht nur
den
westdeutschen Linken der Sechziger- und Siebzigerjahre als
"sozialistische
Oase" inmitten der realsozialistischen Tristesse des Ostblocks
erschien.
(Verlag J.H.W. Dietz)
Buch
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Josef
Koudelka: "Invasion Prag 1968"
In den späten Abendstunden des 20. August 1968 marschieren
Truppen von fünf
Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei ein. Panzer rollen
über die
Straßen von Prag, Transportflugzeuge setzen Truppen ab.
650.000 Soldaten sollen
die Ordnung im sozialistischen Bruderstaat wiederherstellen, die der
"Prager Frühling" unter Dubcek und Svoboda angeblich
gefährdete. Die
Welt hält den Atem an, ein Krieg scheint unvermeidlich. Doch
dann geschieht,
was später das "Sieben-Tage-Wunder von Prag" genannt wurde:
Unbewaffnete Bürger stellen sich zu Tausenden den
Invasionstruppen entgegen,
der zivile, gewaltlose Widerstand hat begonnen. 2008 jährte
sich dieser
historische Moment zum 40. Mal. Der tschechische Fotograf Josef
Koudelka, 1938
geboren und seit 1971 Mitglied bei "Magnum", hat die Ereignisse
miterlebt und in bewegenden Bildern festgehalten, die er rechtzeitig
außer
Landes bringen konnte. Sie gelangten ein Jahr später mit Hilfe
von "Magnum
Photos" anonym an die Öffentlichkeit. Koudelka wurde
für sie - ebenfalls
anonym - mit der "Robert Capa Goldmedaille" ausgezeichnet und musste
wenig später sein Land verlassen. Die Bilderchronik, die er
vierzig Jahre nach
der Invasion aus seinem Archiv zusammenstellte, lässt die
Stimmung der
heroischen sieben Tage von Prag eindrucksvoll wiederaufleben. Mit
Texten von Jirí
Hoppe, Jirí Suk, Jaroslav Cuhra u.A. (Schirmer/Mosel)
Buch
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Jens Kastner, David Mayer: "Weltwende 1968? Ein
Jahr
aus globalgeschichtlicher Perspektive"
"Der Spiegel": 'Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch
in Ordnung ...' Adorno: 'Mir nicht.'
Die Interpretation der weltweiten Ereignisse 1968 engte den Blick in
der
deutschsprachigen Zeitgeschichts- und Sozialforschung lange auf
bestimmte
gesellschaftliche Gruppen und auf nationale Rahmen ein. So wurde
bislang immer
von "Studentenunruhen" oder einem "Generationenkonflikt"
(Norbert Elias) gesprochen.
Nach 40 Jahren bietet sich die Chance für neue Deutungen.
Ausgehend von
Immanuel Wallersteins These einer Weltrevolution 1968 bieten die
geschichtswissenschaftlichen Diskussionen der letzten Jahre die
Gelegenheit, die
Frage zu stellen: Steht das Jahr 1968 - bzw. der Zeitraum 1965-1973 -
tatsächlich
für eine Weltwende?
Aus globalgeschichtlicher Perspektive werden in diesem Band "Mythos,
Chiffre und Zäsur" (Kraushaar) von 1968 neu diskutiert. Dabei
geht es zunächst
darum, den eingeschränkten Blick auf die Weltwirtschaft in
dieser Zeit zu
erweitern (Ende des "Fordismus"; Beginn der ersten großen
Krise seit
1948; "Ölschock"). Zweitens ist es ein Anliegen, den
nichtstudentischen Bewegungen - insbesondere den Kämpfen der
Arbeiter und
Arbeiterinnen, die um 1968 nicht nur in Frankreich und Italien
geführt wurden,
sowie der Neuen Frauenbewegung -, größere Beachtung
zu schenken. Anschließend
werden Umbrüche und Mobilisierungen in der so genannten
Dritten Welt,
insbesondere jedoch aber in der damals noch existierenden "Zweiten
Welt" des realen Sozialismus ins Bild gerückt. (Mandelbaum
Verlag)
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Bernd Guggenberger: "1968. Was bleibt und bleiben
sollte"
Das magische Jahr gilt bis heute als politischkulturelle Vergleichs-
und
Deutungsebene. Ohne die erhellenden Erfahrungen von 1968 kann man
Peymanns
Theater, Wim Wenders' Filmästhetik oder Sozialtypen wie "Punk"
oder "Yuppie" schwerlich verstehen. Der Geist jener
Zeit des
"großen Tumults" wirkt fort im zeitgenössischen
Feminismus wie in
den Attacken der
Globalisierungsgegner
und den punktgenauen
Nadelstichen der
"Greenpeace"-Aktivisten. Das gilt bis hin zu jüngsten
Stichwort- und
Vorbildgebern "linker" Theorie und Praxis, aber auch für
anarchische "Politclowns" wie
Michael
Moore und "Borat". Nicht zu vergessen: Die 68er, die jetzt in
Rente gehen, werden die erste Generation der "neuen Alten" sein.
(Rotbuch)
Buch
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Leseprobe:
Frühjahr 1967... Das Spektakel während einer
Demonstration vor dem Gerichtsgebäude
in Moabit. Zwei berittene Polizisten stürmen auf Pferden in
die vordere Reihe
der Demonstranten und hauen mit langen Stöcken auf sie los.
Die Demonstranten
stieben und stürzen auseinander, Angst- und Protestgeschrei.
Einer, ein
untersetzter Kerl mit rabenschwarzen Haaren, löst sich aus der
Gruppe der Flüchtenden,
geht den beiden Reitern unerschrocken entgegen, weicht ihren
Schlägen wie ein
Boxer mit gelassenen Schwüngen seines Körpers aus und
krallt sich nach einem
Sprung am Schweif eines Polizeipferdes fest. Der Reiter gibt dem Pferd
die
Sporen, aber der Angreifer läßt sich nicht
abschütteln. Halb mitrennend, halb
sich schleifen lassend, hält er sich an dem Schweif fest und
läßt erst ab,
als das Pferd steigt und den Reiter abwirft. Danach geht er
lässig zur Seite,
als wäre nichts geschehen. Erst im Weggehen, kurz bevor er von
Demonstranten
schützend umringt wird, erkenne ich in dem tollkühnen
Kerl
Rudi
Dutschke. Der
große Redner und Stratege - gleichzeitig ein
Draufgänger mit Stuntman-Qualitäten?
Das Bild des in Panik steigenden Pferdes, des zur Seite
abstürzenden Reiters
und des zwischen den Hinterbeinen hin- und hergerissenen Rudi Dutschke
setzte
sich in meinem Gedächtnis fest. Meine Bewunderung war
grenzenlos. So etwas würde
ich nie und nimmer schaffen - oder am Ende doch, wenn ich meine Angst
durch
Schulung überwunden hätte?
Wenig später stand ich unter einer Gruppe von Aktivisten, von
denen einige auf
dem Boden knieten und mit Taschenmessern Pflastersteine aus dem
Trottoir wühlten.
Als ich genauer hinschaute, entdeckte ich mehrere quadratische
Aussparungen im
Kopfsteinpflaster, in denen nur noch schwarze Erde zu sehen war. Eine
schmalschultrige Blondine mit Kurzhaarschnitt blickte zu mir hoch und
bot mir
einen Pflasterstein an. Unschlüssig blieb ich mit dem Stein in
der Hand stehen.
Als wolle sie mir ein Beispiel geben, richtete sie sich auf und
schleuderte
einen Wacker in die Kette der Polizisten. Im Gedränge konnte
ich nicht
verfolgen, wo ihr Geschoß landete, aber ihrem Fluch entnahm
ich, daß der Wurf
zu kurz gewesen war. Ich blickte auf die Polizisten - in der Mehrzahl
schlecht
ausgerüstete Zwanzigjährige mit Schirmmützen
auf dem Kopf und kurzen Knüppeln.
Die Vorstellung, daß der scharfkantige Stein in meiner Hand
das Gesicht eines
Menschen treffen könnte, bereitete mir Unbehagen. Die Werferin
drehte sich zu
mir um. "Was ist los mit dir, Ladehemmung?"
Ich ließ den Stein fallen und ging weiter. "Feigling!" rief
sie mir
nach.