Hansjörg Schneider: "Hunkeler und die goldene Hand"

Der siebte Fall


Auf höchstem literarischen Niveau, mit viel kluger politischer Analyse und gesellschaftlich hintergründigem Witz

Peter Hunkeler war früher verheiratet, hat aus dieser Ehe eine erwachsene Tochter, mit der er keinen Kontakt unterhält. Seit vielen Jahren ist er mit Hedwig zusammen, einer engagierten Erzieherin, die es trotz allem Stress versteht, ihr Leben zu genießen und auf diese Weise Peter Hunkeler immer wieder einen Ruhepol bietet, auch wenn ihre Streitgespräche ein wahrer Lesegenuss sind. Besonders, wenn sie Wochenenden oder andere freie Tage in ihrem Häuschen im Elsass direkt hinter der französisch-schweizerischen Grenze verbringen.

Hunkeler hat eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich, die sich bei der kontinuierlichen Lektüre aller Bücher der Reihe entschlüsselt. In der Studentenbewegung engagiert, hat er sich eine libertär-liberal-linke Position bewahrt, die nie dogmatisch war oder wird. Vielleicht ist er darin das treue Abbild seines genialen Schöpfers. Er kennt in Basel Gott und die Welt, und seine sozialen Kontakte machen vor Klassenschranken und sozialen Milieus nicht Halt. Er verkehrt mit Schriftstellern, Künstlern, Lebenskünstlern, halbseidenen Figuren an der Grenze zur Unterwelt. Er trifft sie auf der Straße, in Cafés, vor allem abends und nachts in den alten Basler Beizen, die vom Aussterben bedroht sind, und denen Hansjörg Schneider in seinen Büchern so nebenbei ein Denkmal setzt.

Er liebt Menschen und ihre Geschichten, die mit ihnen verbunden sind. Und weil er sich so gut in Menschen hineinversetzen kann, löst er alle seine Fälle mit diesem "Gespüri". Seine Kollegen halten Distanz zu ihm - seine Eigenständigkeit und innere Ruhe machen ihnen Angst. Der Staatsanwalt Suter, der in allen Büchern Schneiders immer wieder auftaucht, achtet Hunkeler und unterstützt ihn heimlich. Denn die Erfolge des Kommissars sprechen für sich. Ohne sie wäre Hunkeler schon längst in den Ruhestand versetzt worden.

In seinem neuen Roman "Hunkeler und die goldene Hand" steigt der Autor tief in die Schweizer, insbesondere die Rheinfeldener, Frühgeschichte hinab und folgt den Spuren des sagenumwogenen Rudolf von Rheinfelden, der, wären die Umstände damals günstiger gewesen, durchaus für höhere Aufgaben, wie zum Beispiel die deutsche Kaiserkrone, geeignet gewesen wäre.

Der krankgeschriebene, unter starken Rückenschmerzen leidende Peter Hunkeler befindet sich auf einer Badekur im Solebad Marina in Rheinfelden. Als er gerade im Außenbecken liegt und seinen Rücken pflegt, sieht er einen seltsamen Taucher vorbeitreiben. Doch der "Taucher" ist schon tot. Als die Leiche geborgen wird, wird der Tote als Roger Ris identifiziert, ein homosexueller, stadtbekannter Kunsthändler. Zeugen sagen aus, dass sie einen Schrei gehört hätten. Dieser Schrei kam von Roger Ris’ Partner Rebsamen, der den toten Geliebten entdeckte und barg. Er wird sofort als Tatverdächtiger verhaftet, denn er trug ein Messer bei sich und beginnt in der Haft einen Hungerstreik, um die Beamten von seiner Unschuld zu überzeugen. Hunkeler ist von Anfang an klar, dass Rebsamen nicht der Täter sein kann und sieht die Katastrophe, die sich mit dem inhaftierten Rebsamen anbahnt, schon lange vorher kommen.

Wie schon im letzten Roman, beginnt Hunkeler mit der Billigung seiner Vorgesetzten zu ermitteln; mit seinen Methoden. Und er führt den Leser wieder ins benachbarte Elsass, zu Menschen, die wie Indianer leben und sich zum Ziel gesetzt haben, die verstreuten Teile des sogenannten Löser-Altars wieder, durch Diebstähle allerdings, zusammenzuführen. Schnell ist Hunkeler klar, dass diese Menschen bei aller Dubiosität nichts mit dem Mord zu tun haben. Er findet heraus, dass die seltsamen Zeichen "LR", die er bei seinen Ermittlungen überall findet, zu den "Merseburger Zaubersprüchen" gehören. Bald hat er einen stadtbekannten Anwalt im Visier, der früher der homosexuelle Partner von Roger Ris war, der im Übrigen allerorten in der Szene promiskuitiv tätig war.

Zwischendrin kommt Hunkeler ins Nachdenken über seine persönliche Zukunft:
"Er grinste bitter. Er war jetzt so alt, dass er bereits von der heutigen Jugend redete. Dabei war seine eigene Jugend noch immer zum Greifen nahe, jedenfalls in der Erinnerung. Er dachte an seine Tochter Isabelle, von der er seit Jahren nichts mehr gehört hatte. Eines Tages würde sie wieder auftauchen, da war sich sicher. Mit einem Kind vielleicht? Er wünschte sich das, schon seit langem. Obschon er nie darüber redete. Auch mit Hedwig nicht. Aber sein Haus im Elsass schien ihm zunehmend leerer zu werden. Ein bisschen Kinderlachen oder Kindergeschrei hätte die Stimmung durchaus belebt.
Es fiel ihm auf, dass er an den Tod dachte. Ans spurlose Verschwinden, wenn man keine Nachkommen hatte. Wer sollte das Haus einmal erben? Hedwig vielleicht? Die hatte auch eine Kinder."


Hunkeler löst neben dem auch historisch gesehen sehr interessanten Fall dieses Problem ebenfalls auf seine eigene subtile und unspektakuläre Weise. Er schafft, gegen den anfänglichen Widerstand Hedwigs, drei Schweine an und baut ihnen einen Stall um.

Es ist zu vermuten, dass diese Ausgangslage es Hansjörg Schneider ermöglichen wird, seinen Peter Hunkeler quasi aus dem Ruhestand heraus im Elsass im Spezialauftrag von Staatsanwalt Suter weitere interessante Fälle ermitteln zu lassen. Eine eingeschworene Fangemeinde wird es ihm danken, und eine ganz außergewöhnliche und in ihrem Charakter und ihrer Lebensphilosophie einzigartige Polizistenfigur wird uns hoffentlich noch lange ergalten bleiben.

(Winfried Stanzick)


Hansjörg Schneider: "Hunkeler und die goldene Hand. Der siebte Fall"
Diogenes, 2015.
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Weitere Bücher des Autors (Auswahl):

"Hunkeler und die Augen des Ödipus"

Ein havariertes Hausboot auf dem Rhein. Ein Theaterskandal. Und ein paar alte Rechnungen. Wo steckt der Theaterdirektor Bernhard Vetter?
Sein Hausboot ist herrenlos beim Stauwehr von Märkt aufgefunden worden, von ihm selbst fehlt jede Spur. Und das wenige Tage, nachdem eine Inszenierung von "König Ödipus" in Basel die Gemüter erhitzt hat - so sehr, dass eine Dame aus der feinen Gesellschaft dem Regisseur des Stücks mit ihrem Granatring zwei Zähne ausgeschlagen hat. Die Presse überschlägt sich mit Spekulationen: Liegt der Intendant auf dem Grund des Rheins? War es die Rache des Bürgertums an einem kompromisslosen Theatermann?
Peter Hunkeler, Kommissär des Kriminalkommissariats Basel, steht sechs Wochen vor der Pensionierung. Aber ist er bereit, von der Bühne abzutreten? Mit gemischten Gefühlen taucht er ein ins Theatermilieu, zu dem er als junger Mann selbst gehört hat. Er begegnet alten Bekannten wieder, die alle mit dem Theaterdirektor eine Rechnung offen haben. Und gerät in die schillernde Halbwelt des Basler Rheinhafens, in das Niemandsland zwischen der Schweiz, Deutschland und Frankreich, wo ganz andere Mächte Regie führen ... (Diogenes)
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"Hunkelers Geheimnis. Der neunte Fall"
Peter Hunkeler, inzwischen pensionierter Kommissär des Kriminalkommissariats Basel, ist nach einer Operation im Krankenhaus und teilt das Zimmer mit einem alten Bekannten: Stephan Fankhauser, einer schillernden Figur. Einst ein wilder Achtundsechziger, ist er im Laufe der Jahre durch die Institutionen marschiert und Leiter einer Bank geworden, der Basler Volkssparkasse. Nun ist er schwer krank. Eines Nachts, Hunkeler hat bereits ein Schlafmittel erhalten, beobachtet er, wie eine Krankenschwester mit einem Rubinring an der Hand dem Zimmernachbarn eine Spritze setzt. Merkwürdig nur, dass Fankhauser sich so heftig dagegen wehrt. Und trug die Nachtschwester sonst nicht immer einen Diamantring? Am nächsten Morgen, als Hunkeler aufwacht, ist Fankhauser tot. Hat Hunkeler alles nur geträumt? Er ist sich nicht sicher, aber er ist entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen ... (Diogenes)
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"Nilpferde unter dem Haus"
Das Tagebuch eines Schriftstellers, der sich die Fähigkeit zu staunen bewahrt hat: über den Weg, den er zurückgelegt hat, über die Schönheit der Natur und die Unzulänglichkeit der Menschen, über den neuen Tag und über die Nacht, in der er das erste Mal von Nilpferden träumte. Über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg hat Hansjörg Schneider Tagebuch geführt. Er notiert Lektüren, Begegnungen, Projekte. Er hält die Glücksmomente fest, die der Tag bringt, und die Alpträume, die ihn in der Nacht heimsuchen. Und immer wieder führt die dichteste Gegenwart zurück in die Vergangenheit, die ihn nicht loslässt: seine Jugend im sinnenfeindlichen Mief der 1950er- und 1960er-Jahre, das Leben mit seiner verstorbenen Frau Astrid, seine Erfolge und Niederlagen als Schriftsteller. In der direkten, klaren Sprache, die seine Leser aus den "Hunkeler"-Romanen schätzen, protokolliert Hansjörg Schneider sein Leben - schonungslos gegen sich und die Welt, berührend und mit lakonischem Humor. (Diogenes)
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Leseprobe:

Peter Hunkeler, Kommissär des Kriminalkommissariats Basel, ehemaliger Familienvater, jetzt geschieden, lag im Solebad des Hotels Marina in Rheinfelden/Schweiz und hatte eine Depression. Er lag im Außenbecken an der Massagedüse vier, die ihm warmes Salzwasser gegen die Lendenwirbel spritzte, heraufgepumpt aus tausend Metern Tiefe, wo früher der Meeresboden gelegen hatte.
Hunkeler versuchte, ans Meer zu denken. An sich brechende Wogen, an ihr Ausrollen auf Kies oder Sand, an den Geruch von Tang. Es gelang ihm nicht, es roch nicht nach Meer hier, sondern nach Solebad.
Rechts von ihm, und das ärgerte ihn besonders, suhlten sich zwei alte Frauen, direkt vor Düse fünf. Schon gut zehn Minuten lagen sie dort, ohne Anstalten zu treffen, sich weiter zu Düse sechs bewegen zu wollen, wie man eigentlich hätte erwarten dürfen. Niemand hatte das Recht, eine Düse für längere Zeit zu blockieren. Es gab noch andere Kunden hier, die es vielleicht gerade auf diese Düse fünf abgesehen hatten. Aber darum scherten sich die beiden nicht. Die eine trug eine Badekappe mit roten Blumen, die andere eine mit blauen Schuppen. Lächerlich war das. Und natürlich redeten sie einen Dialekt aus dem Badischen. Hotzenwald vielleicht oder Dinkelberg, dachte Hunkeler mit verstecktem Ingrimm. Die schauten genau so aus, als wären sie von den einsamen Höhen jenseits des Rheins extra herunter gekommen, um Düse fünf zu blockieren. Als ob es drüben keine Heilquellen gegeben hätte.
Draußen in der Mitte des Bassins crowlte ein junger Mann, von links nach rechts, dann wieder von rechts nach links. Er hatte ein beachtliches Tempo drauf, das mußte man anerkennen. Am linken Oberschenkel trug er ein Tauchermesser. Auf seinen Oberarmen waren Tätowierungen zu sehen, irgend etwas Vogelartiges. Gut, der mußte sich austoben. Aber mußte das unbedingt hier sein, in diesem Reservat für ältere Menschen, die der Ruhe bedurften?
Hunkeler beschloß zu handeln. Er stellte die Fußsohlen hinten gegen die Bassinwand, holte Luft und stieß sich ab. Tauchend gedachte er, die beiden Hotzenwälderinnen zu umschwimmen. Da fuhr ihm der Schmerz in den Rücken, wie immer genau über den Lendenwirbeln. Fast hätte er geschrien, aber das ging nicht gut unter Wasser. Er tauchte auf und atmete durch.
"Gehts Ihnen nicht gut?" fragte die mit den roten Blumen auf dem Kopf, "können wir helfen?"
"Danke Madame", sagte Hunkeler hart und knapp, "es geht immer noch."
Langsam ruderte er sich Richtung Düse sechs, steif wie ein Brett, sorgsam darauf achtend, daß er den Rücken nicht bewegte. Nur keine Schwäche zeigen, vor den beiden alten Frauen schon gar nicht. Er erreichte Düse sechs, hielt sich an der Querstange fest und versuchte, ruhig zu atmen.

Es war der 13. August, ein für die Jahreszeit kühler Montagmorgen, kurz nach neun. Das warme Wasser des Solebads dampfte. Nebel trieb vorbei, ein Vorbote des nahen Herbstes. Ein verregneter Sommer war es gewesen. Erst ein brütend heißer Juni, daß man es in Basel kaum mehr aushielt. Dann Kälte und Regen. Eines Morgens auf dem Vita Parcours, als er sich an einer Reckstange hatte hochziehen wollen, der plötzliche Schmerz. Seither war er krank geschrieben, abkommandiert zur Kur auf Kosten der Krankenkasse, bis auf weiteres. Was das hieß, war Hunkeler sofort klar gewesen. Man wollte ihn abschieben, direkt in die Rente.
Er gehörte also zum alten Eisen. Zu den alten Knackern, die sich in der Umkleidekabine kaum mehr selber umziehen konnten. Zu den unförmigen Leibern, die ängstlich zur Dusche tappten. Zu den Hinkebeinen, die es nur noch mit Mühe ins Schwimmbecken schafften. Und seine Gespielinnen würden fortan alte Hotzenwälderinnen mit Blumen und Schuppen auf dem Kopf sein.
Zum Glück hatte er Hedwig, dachte er. Aber hatte er sie tatsächlich? Sie war nicht an seiner Seite, sie war zur Kur in der Schönheitsfarm Helena in Todtnauberg oben auf tausend Metern Höhe, in der frischen Schwarzwaldluft. Bloß die letzte Woche der Ferien, hatte sie gesagt, zur Erholung, bevor der Kindergarten wieder aufmachte. Von was mußte sie sich denn erholen? Vielleicht von Hunkeler, von seinen Altersgebrechen, von seinem Altersstarrsinn gar? Aber nein, er war noch immer beweglich, mobil in Körper und Geist. Jedenfalls fühlte er sich so, bis auf den Rücken natürlich. Aber den würde er schon wieder hinkriegen.
Er verließ Düse sechs und stakte hinüber zu einer Stelle, wo er sich hinsetzen konnte. Er lehnte sich zurück und schaute hoch ins Geäst einer Tanne. Dort oben saßen zwei Krähen, reglos, als würden sie nichts sehen und nichts hören. Der junge Crowler tauchte auf aus dem Nebel, er steuerte genau auf Hunkeler zu. Im letzten Moment drehte er ab, schlug an und wendete mit kräftigem Stoß. Er trug Badehosen mit Leopardenmuster, eine Schwimmbrille und im rechten Ohr einen Brillanten.
Hunkeler haßte sich. Was tat er hier, auf was wartete er? Die warme Salzbrühe würde nichts nützen, da war er sich sicher. Sein Rücken war nun einmal kaputt. Die beiden Wirbel, die ihn plagten, hatten zu lange aneinandergeschabt, da war kein Knorpel mehr dazwischen.
"Das Rückgrat ist nicht gemacht für den aufrechten Gang", hatte ihm Dr. Neuenschwander erklärt, nachdem er ihn untersucht hatte. "Es ist im Grunde keine tragende Säule. Eher ist es konstruiert wie eine Hängebrücke, für den Gang auf allen vieren. Wenn es dazu noch einen Bierwanst tragen muß, wie Sie einen haben, nützt es sich ab, bevor Sie sterben. Damit müssen Sie leben."
Sollte er sich vielleicht auf allen vieren durch Basels Straßen bewegen, als wandelnde Hängebrücke? Woher hatte er überhaupt den Schaden? War nicht die jahrzehntelange Arbeit auf dem Kommissariat schuld daran? Das öde Sitzen auf hartem Stuhl während der Rapporte? Hatten nicht die verschiedenen Neu- und Umstrukturierungen des Kommissariats, die sich folgten wie die Jahreszeiten, an seinem Rückgrat geschabt wie die Feile am Eisen? Wo war sein Charakter, seine Persönlichkeit geblieben? War es überhaupt noch möglich, in dieser leerlaufenden Maschinerie Rückgrat zu zeigen? Er zweifelte daran. Hier wurde mit dem groben Hobel gearbeitet, mit der elektrischen Fräse, die jede Verwachsung, jedes Astloch in Sekundenschnelle wegfraß. Ziel war einzig und allein das gut geölte Laufen der Maschine, die sich Kriminalkommissariat nannte. Die Beamten waren die Rädchen darin. Wenn ein Rädchen nicht mehr einwandfrei funktionierte, wurde es ausgewechselt.
Hunkeler fand sich zum Kotzen. Warum hatte er so lange ausgeharrt in diesem üblen Männerverein? Er hätte den Dienst schon längst quittieren müssen, spätestens dann, als ihm der Schmerz zum ersten Mal so richtig in den Rücken gefahren war. Auswandern in sein Haus im Elsaß hätte er sollen. Gurken und Tomaten anpflanzen. Ein paar Schweine halten, ihren Speck und Schinken in die Rauchkammer auf dem Estrich oben hängen. Behutsam Scheite in den Ofen schieben, damit stets ein bißchen Rauch im Kamin war und die Fliegen vertrieb. Ab und zu ein paar Wacholderbeeren in die Glut streuen, damit der Speck den richtigen Geschmack bekam.
Bald war Herbst, dachte er. Bald würden Eicheln und Roßkastanien von den Bäumen fallen, ein gefundenes Fressen für jede Sau. Und Hunkeler beschloß, sein Leben zu ändern.
Er schaute hinüber zu den beiden Frauen. Sie hatten sich noch keinen Meter weiterbewegt. Die eine redete, die andere hörte zu. Vermutlich waren sie bloß hier, um sich ungestört unterhalten zu können.
Rechts, gegen den Kurpark hin, tauchte hin und wieder ein Männerkopf mit rot-weiß gestreifter Badekappe aus dem Nebel auf. Er trug einen dunklen Schnauzbart, er schien zu schlafen. Er bewegte sich auch nicht, als ein alter Mann dicht an ihm vorbeischwamm, das Gesicht im Wasser. Ein geübter Taucher offenbar, der es lange ohne zu atmen aushielt. Seine Badehose schimmerte rot.

Etwas später lag Hunkeler im Ruheraum, geduscht und schamponiert, mit einem vorgewärmten Badetuch um den Leib. Vor sich hatte er die Glasfront aufs Außenbecken hinaus. Im Ohr leise Musik, wie sie in Flughäfen und Pissoirs üblich war, endlos und langweilig wie die Ewigkeit. Im Rücken, dort, wo der Schmerz saß, spürte er den Knick des Liegestuhls, den irgendein Idiot konstruiert hatte, um ein rückenfreundliches Liegen zu garantieren. Davon hielt Hunkeler gar nichts, er hätte sich lieber flach auf den Boden gelegt. Aber das ging wohl nicht in diesem noblen Etablissement.
Nebenan lag ein Dutzend weiterer Badegäste auf den Stühlen, griesgrämig vor sich hin dösend. Auch der junge Crowler war da. Hunkeler hatte beim Hereinkommen genau hingeschaut. Die Vögel auf den Oberarmen waren Adler mit ausgebreiteten Schwingen.
Da hörte er Frauenstimmen kreischen. Sie kamen von draußen, vom Schwimmbecken her. "Um Gottes willen, Hilfe, Hilfe!"
Er war sofort auf den Beinen. Er trat an die Glasfront und schaute hinaus. Er sah die beiden Frauenköpfe vor Düse fünf, rote Blumen und blaue Schuppen, darunter schreckensstarre Gesichter. Ausgestreckte, kräftige Frauenarme, die etwas, das bei ihnen andocken wollte, wegstießen in die Strömung hinein. Es war ein Mann, der auf dem Bauch trieb, den Kopf im Wasser. Rote Badehose, um den Hals ein rötlicher Schimmer.
Hunkeler zögerte nicht und ging hinaus. Er sah den Mann davontreiben, mit seltsam verrenkter Kopfhaltung. Er sah eine Blutspur, er wußte sogleich, daß da eine Leiche im Wasser trieb.
"So helfen Sie doch", sagte die mit den blauen Schuppen, "tun Sie was, der ist am Ertrinken."
Er schüttelte den Kopf und schaute hinüber, ob der Mann mit dem Schnauzbart noch dort war. Er war nicht mehr dort.
Da erschien der Crowler am Beckenrand. Er faßte den treibenden Körper ins Auge. Er sprang kopfüber hinein, tauchte bei der Leiche auf, umschlang sie mit beiden Armen. Er stieß einen Schrei aus, eigentümlich und wild. Es standen inzwischen mehrere Menschen am Beckenrand, niemand war im Ruheraum geblieben. Niemand rührte sich, die Szene war zu erschreckend, zu ergreifend. Schweigend sahen sie zu, wie der junge Mann die Leiche zum Ufer trug. (...)

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