Joseph Roth: "Die Geschichte von der 1002. Nacht"
Ungekürzt
gelesen von Michael Heltau
(Hörbuchrezension)
Die
verruchten Perlen des
Orients
Der Schah von Persien macht während seines Besuchs in der
Donaumetropole Wien
einer Dame der Gesellschaft ein unmoralisches Angebot. Der Diogenes
Verlag hat
"Die Geschichte von der 1002. Nacht" im Rahmen seiner
Joseph
Roth-Reihe mit einem großartigen Michael Heltau als
Sprecher herausgebracht.
Als der Autor 1939 seinen letzten Roman schreibt, ein Buch zwischen
Märchen und
Desillusion, hat er sein Leben bereits hinter sich. Hoffnungslos und
sturzbetrunken, wie immer in letzter Zeit, kann man den emigrierten,
heimatlosen, jüdischen Romancier aus Galizien in Paris auf dem
Rinnsteig hocken
sehen. Seinem Kollegen Walter Mehring, der ihn in diesem
erbärmlichen Zustand
von der Straße aufliest, antwortet er auf dessen
Feststellung, dass er sich aufgrund
seines exorbitanten Alkoholkonsums ruinieren würde, nur: "Und
warum
trinken Sie nicht, Mehring? Glauben Sie, dass Sie davonkommen werden?
Auch Sie
werden zugrunde gehen." Kurze Zeit später ist Roth
tot.
Zum letzten Mal ist dem Meister der Sprache ein großartiges
Werk gelungen.
Warum es bis dato kaum bekannt ist, ist eigentlich nicht
nachvollziehbar. "Mit
Menschenkenntnis, Sprachgewalt und echter, liebesgieriger Verzweiflung
schafft
Roth die stummen Tragödien der schlichten Herzen, die
intelligente Poesie im
Dasein der Einfältigen, das wundervolle Leben der Leute von
der Straße, in den
abgelegenen kleinen Städten. Er malt einen
alt-österreichischen Exotismus,
eine Art von verschollenem und märchenhaftem Wild-Ost'',
findet Roth-Kenner
Hermann Kesten die treffenden Worte.
Dem Tod die Tür geöffnet
Titel und Rahmenhandlung von Roths letztem Buch muten
märchenhaft an und wecken
Assoziationen an die berühmte Sammlung aus dem Orient. Doch
was so zauber- und
mythenhaft beginnt, endet alles Andere als romantisch, sondern eher
irreal und
desillusioniert. Der Schah von Persien - seines Harems und dessen 365
Frauen überdrüssig
-, verspricht sich im Kaiserreich der Habsburger Abwechslung. "Alle
Freuden, die ihm das Geschlecht der Frauen gewähren konnte,
hatte er ja bereits
genossen. Ihm fehlte nur noch eins: der Schmerz, den nur die Einzige
bereiten
kann." Auf einem ihm zu Ehren gegebenen Ball findet die
Gräfin W. sein
ausnehmendes Interesse. Er bedingt sich ihre "Anwesendheit"
für eine
Nacht aus, was jedoch der Moral im Lande keineswegs entspricht.
Rittmeister Taittinger, Vertreter des österreichischen
Militärs, weiß die höchste
Peinlichkeit gerade noch abzuwenden. Eine ehemalige Geliebte - Mizzi
Schinagl,
die mittlerweile im "professionellen Rotlichtmilieu" ihr Dasein
fristet und mit der er ein uneheliches Kind hat - sieht der
Gräfin W. verblüffend
ähnlich. Die Mogelpackung fliegt nicht auf, offenbart sich
jedoch als eine
Büchse
der Pandora. Zwar findet man Mizzi noch mit einer
sündhaft teuren Perlenkette
ab, aber fortan geht es bergab, mit allen, die in dieses unsaubere
Geschäft
involviert waren. Das Bordell verliert nach und nach seine Kundschaft,
Mizzi
landet im Frauengefängnis, und der Rittmeister wird
unehrenhaft entlassen.
Die schöne Scheherazade hat nach
1001
Nacht und ihren Geschichten den wilden Sultan
gezähmt und ihren Tod
abgewendet, Joseph Roth jedoch lässt ihn in der 1002. Nacht
hinein.
Der Autor hat mit seinem letzten Roman erneut ein für ihn so
typisches Werk
geschrieben. Ein Buch, das jede Menge tiefer Verstrickungen deutlich
werden lässt,
die jenseits der so genannten angeblichen Moral, in einer frivolen Welt
verkommener Eleganz liegen. Er erzählt von Menschen, ihren
Träumen, Sehnsüchten,
Nöten, aber auch ihren Fehlern, Makeln sowie den daraus
erwachsenden Selbstlügen
und einer großen Verlorenheit: "Verloren, Herr
Baron, das ist es nicht.
Sie kennen nicht Verlorene. Die Welt, in der Sie leben, verzeihen Sie,
ist nicht
die Welt, in der man wirklich verloren sein kann. Die wirkliche Welt
ist sehr
groß, und sie hat ganz andere Möglichkeiten der
Verlorenheit." (Baron
Taittingers Untergebener Zenower)
Gelebte Interpretation
Einzigartig ist erneut seine Sprache - geistreich-klangvoll wie Beethoven
und
melancholisch-elegisch wie
Franz Schuberts
Kompositionen, geprägt von einer großen
nostalgischen Sehnsucht nach der untergegangenen Doppelmonarchie und
einer fein
nuancierten genauesten Beobachtungsgabe. Ein (Hör-)Buch mit
weichen Farben,
aber harter Kontrastierung gemalt.
Roths "Helden" wirken bindungsunfähig und entwurzelt wie ihr
Verfasser: "Für die Dauer einer Stunde oder zwei sah
der Rittmeister a.
D. die ganze Vergeblichkeit seines Lebens." Erneut analysiert
der
Schriftsteller Hermann Kesten Joseph Roth am besten: "Durch
seine Romane
schreiten Verzweifelte, besonders Jünglinge, in den Untergang.
Er liebte die
Leidenschaften. Wahrheit und Gerechtigkeit, Maß und Melodie,
Vernunft und
Reinheit sind die Merkmale seiner Schriften. Er war ein Romantiker,
aber mit den
Augen eines Realisten. Er kam aus dem Osten und ging in den Westen."
Es hätte keine bessere Besetzung gefunden werden
können, als der österreichische
Schauspieler und Wienerlied-Interpret Michael Heltau. Er scheint mit
seinem
unnachahmlichen Wiener Dialekt und dem kräftigen rollenden "R"
wie
aus der damaligen Zeit entstiegen. Heltaus Stimme offenbart einen
nahezu
magischen Klang, seine Intonation erweckt die k.u.k.-Zeit zum Leben.
Seine gelebte Interpretation, die mit unglaublichem Charme,
Einfühlungsvermögen
und Empathie für die "armen Helden" vorgetragen wird,
lässt das Hörbuch
zu einem auditiven Erlebnis par excellence werden.
Fazit:
Trotz seines Lebensüberdrusses und des bevorstehenden Todes
ist Joseph Roth mit
"Die Geschichte der 1002. Nacht" ein wahres Meisterwerk der
Liebenswürdigkeit
gelungen, dem bis heute nichts Verstaubtes anhängt. Das
Hörbuch ist durch die
hervorragende Interpretation ein zusätzlicher Anreiz, sich dem
Werk des Österreichers
zu nähern. Es wird nicht nur gelesen, es wird durch Michael
Heltau gelebt.
(Heike Geilen; 07/2008)
Joseph
Roth: "Die Geschichte von der 1002. Nacht"
Ungekürzt gelesen von Michael Heltau.
Diogenes, 2008. 8 CDs; Spieldauer ca. 543 Minuten.
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Ein Buchtipp:
Monika Mertl: "Auf Stichwort: Michael Heltau"
Michael Heltau wird von seinem Publikum verehrt und geliebt. Der
Schauspieler,
der seine Ausbildung am Reinhardt-Seminar in Wien gemacht hat, spielte
im Laufe
seiner Karriere an nahezu allen großen deutschsprachigen
Bühnen. Bei den
Salzburger Festspielen, wo er regelmäßig engagiert
war, arbeitete er 1965
erstmals unter der Regie von Giorgio Strehler. Seit Jahrzehnten
gehört Michael
Heltau dem Ensemble am
Wiener
Burgtheater an, dessen Doyen er seit 1993
ist. Bis
heute begeistert er sein Publikum im Theater, als Chansonnier und
Interpret von
Jacques Brel. Die Verehrung, die dem Künstler entgegengebracht
wird, das
Phänomen Michael Heltau, kann man vielleicht damit
erklären, dass es ihm auf
der Bühne in ganz besonderer Weise gelingt, Träume
zum Leben zu erwecken.
Im Gespräch mit der Autorin und Journalistin Monika Mertl ist
die erste, lang
erwartete Biografie dieses "Bühnenmenschen" entstanden.
(Zsolnay
Verlag)
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