Joseph Roth: "Hotel Savoy"
Gelesen von Hans Korte
(Hörbuchrezension)
Verworrene Zeiten
"Ich komme um zehn Uhr vormittags im Hotel Savoy an. Ich war
entschlossen, ein paar Tage oder eine Woche auszuruhen. In dieser Stadt leben
meine Verwandten. Meine Eltern waren russische Juden. Ich möchte Geldmittel
bekommen, um meinen Weg nach dem Westen fortzusetzen. Ich kehre aus dreijähriger
Kriegsgefangenschaft zurück ..." So beginnen die schleppenden - von
Hans Korte intonierten - Worte des 1924 geschriebenen Romans "Hotel
Savoy" von Joseph Roth. Ein frühes, aber ebenso eindrucksvolles Werk des
ostgalizischen Autors.
Und in diesem Hotel, in einer
nicht benannten Stadt, aber alles deutet auf das (damals) ostpolnische Łódź hin,
spielt die gesamte - ungekürzt vorgetragene - Erzählung, die mit
dem Vorlesenden eine wunderbare akustische Aufwertung erfährt.
Der Ich-Erzähler Gabriel Dan macht auf seiner Heimreise Zwischenstation.
"Zum ersten Mal nach fünf Jahren stehe ich wieder an den Toren
Europas." Das
Hotel
verspricht ihm den lang vermissten europäischen Luxus: "Wasser, Seife,
englisches Klosett, Lift,
Stubenmädchen
in weißen Hauben, freundlich blinkende Nachtgeschirre (...) und Betten,
daunengepolsterte, schwellend und freudig bereit den Körper aufzunehmen."
Doch so glanzvoll es von außen scheint, so armselig ist sein Innerstes,
zumindest je höher man in seinen "Himmel" steigt.
Eine eigene Welt im Kleinen
Unterschiedlichste Menschen beherbergt es. Die Gutsituierten bewohnen die Zimmer
in den ersten Etagen. Hier scheinen die Wunschträume Gabriels Realität zu
sein. Doch je höher der Aufzug den Gast trägt, desto schäbiger ist das
Ambiente. In den obersten Stockwerken wohnen ähnliche Heimkehrer wie er:
Menschen die nach Hause gekommen sind, ohne zu Hause zu sein. Wünsche, Sehnsüchte
und Erwartungen bestimmen ihr Leben und begleiten ihren Tagesablauf. In Erfüllung
gehen sie allesamt bei den Wenigsten.
Charaktere aller Couleurs prallen im wahrsten Sinn des Wortes aufeinander.
Gabriel begegnet Halbkünstlern, Kommunisten, Soldaten, Bankrotteuren,
Devisenschiebern und einer Tänzerin. Immer mehr gleicht das Hotel einer
Wartehalle für bunte Existenzen in einer aus den Fugen geratenen Zeit. Den
Hotelbesitzer Kaleguropulos hat noch niemand gesehen. Er steuert den Betrieb
anscheinend durch Zettel an den Türen. Eine zwielichtige Gestalt scheint auch
der Liftboy Ignatz zu sein, der die Koffer der Gäste pfändet, wenn
diese ihre Miete nicht zahlen können.
Ein Hotel als Metapher für eine verworrene Zeit und ihre sonderbaren
Existenzen
Alles, womit sich der Ich-Erzähler Gabriel Dan auch auseinandersetzt, erweist
sich am Ende als Illusion, und jeder, mit dem er in Berührung kommt und auf den
er seine Hoffnungen setzt, enttäuscht ihn letztendlich. Die angekündigte
Ankunft des Millionärs Bloomfield aus den Vereinigten Staaten von Amerika, der
allerorts als Hoffnungsträger der Armen und Unglücklichen verkündet wird,
scheint die letzte Rettung zu sein. Doch auch sein Besuch erfüllt die
Hoffnungen nicht. So bringt der Romanschluss zwar letztendlich eine "Erlösung",
doch die Grundlage ist eine Apokalypse.
Hans Korte, der renommierte Schauspieler, bekannt unter Anderem aus Dieter
Wedels "Der große Bellheim", verleiht diesem ohnehin schon
eindringlichen Roman eine ungeheure Intensität. Der Schauspieler liest nicht
nur, seine Stimme spielt mit den Worten, hat für jede Stimmung, für jeden
kleinen Aspekt eine eigene Nuance. Er trifft mit seiner rauen und belegten,
zuweilen lethargisch schleppenden, manchmal feisten Erzählweise Roths
hoffnungslos-melancholischen Ton trefflich. Aber auch das von Zeit zu Zeit
Schneidende und Aufbrausende, das freudig Erregte, Spannende oder Todtraurige
weiß er vortrefflich zu intonieren. Die Empfindungen Gabriel Dans und
letztendlich des Autors macht er dadurch für den Hörer begreifbar. Korte
liefert mit seiner Stimme ein beeindruckendes Charakterbild der damaligen
Zwischenwelt. Er gibt dieser Erzählung den notwendigen akustischen Tiefgang.
Fazit:
Europa zwischen den beiden Weltkriegen, eine Welt, die aus den Fugen geraten
ist, so dass ihre Bewohner sich unversehens an immer neuen Orten finden, immer
wieder neu flüchten, sich in immer neuen Konstellationen wiederfinden - ein
eindringliches Frühwerk Joseph Roths, hervorragend intoniert von Hans Korte.
Und gibt es nicht auch heute noch
an einigen Ecken Europas dieses "Hotel Savoy"?
(Heike Geilen; 09/2008)
Joseph
Roth: "Hotel Savoy"
Gelesen
von
Hans Korte. Ungekürzte Lesung.
Diogenes, 2008. 3 CDs; Spieldauer ca. 227 Minuten.
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