Evelio Rosero: "Zwischen den Fronten"
Dieser Roman von Evelio Rosero
spielt in einem kleinen Dorf namens San José in Kolumbien. Ein Land, das seit
langem zerrissen ist von einem bürgerkriegsähnlichen Kampf zwischen einer
Guerillatruppe, dem staatlichen Militär und zahlreichen bandenartig
zusammenarbeitenden paramilitärischen Gruppen.
Die arme Bevölkerung steht dabei immer "Zwischen den Fronten",
ohne Hoffnung auf eine Besserung der Lage und permanent davon bedroht, dass eine
der drei Gruppen ins Dorf einfällt und die Bewohner tötet oder vertreibt.
Rosero lässt einen alten Mann als Ich-Erzähler auftreten, den ehemaligen und
jetzt pensionierten Lehrer Ismael. Der lebt mit seiner Frau Olivia, auch sie ist
Lehrerin im Ruhestand, in San José. Ismael hat zum Leidwesen seiner Frau schon
immer gern nach anderen Frauen geschaut, dabei wohl auch die eine oder andere
voyeuristische Akrobatik veranstaltet, ist aber im Grunde genommen immer harmlos
dabei geblieben und hat keiner Frau jemals etwas zuleidegetan. Nun, wenn er am
Nachmittag seine Siesta hält, beobachtet der alte Lehrer heimlich über die
Mauer seine Nachbarin Geraldina, eine mit einem Brasilianer verheiratete rassige
Frau, die sich vorzugsweise nackt den Sonnenstrahlen und den von ihr durchaus
wahrgenommenen lüsternen Blicken des Nachbarn darbietet.
So beginnt auch der Roman, doch diese Idylle währt nicht lange. Denn Ismael erfährt,
dass Geraldinas Mann von Soldaten entführt worden ist. Ismaels Frau Olivia hat
das auch mitbekommen und ist ins Dorf geeilt, um ihren Mann zu warnen.
Ismael, voller Angst, sucht sie, findet sie nicht und verzweifelt fast. Denn in
der Zwischenzeit haben sowohl die Guerillas als auch die Paramilitärs San José
überfallen, morden und plündern und treiben den Rest der Bevölkerung in die
Flucht.
Auch Ismael könnte fliehen, doch er bleibt, immer in der Hoffnung, seine Frau
Olivia könnte zurückkehren, obwohl er längst ahnt, dass auch sie der brutalen
Gewalt schon zum Opfer gefallen ist.
Tapfer nimmt er Abschied von der getöteten Geraldina und wartet auf seine Mörder,
die kommen werden:
"Ich werde (ihnen) sagen, das ich
Jesus Christus heiße, ich werde
sagen, dass ich Simon Bolivar heiße, ich werde sagen, dass ich keinen Namen
habe und wieder lachen, sie werden denken, dass ich mich über sie lustig mache,
und schießen, so wird es sein."
Fazit:
Ein intensiver Roman, der zeigt, wie hinter brutaler
Gewalt
immer wieder die Menschlichkeit aufblitzt, die versucht, inmitten des Chaos ihre
Würde zu bewahren. Ein Roman, der von der großen Sehnsucht der Menschen nach
Frieden erzählt in einem von Gewalt und Korruption geschundenen Land.
(Winfried Stanzick; 12/2008)
Evelio Rosero: "Zwischen den Fronten"
(Originaltitel "Los ejércitos")
Aus dem Spanischen von Matthias Strobel.
Berlin Verlag, 2008. 176 Seiten.
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Evelio Rosero, am 20. März 1958 in Bogotá
geboren, zählt zu den wichtigsten Repräsentanten der kolumbianischen
Literatur. Sein Werk, darunter die Trilogie "Primera vez", wurde
mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem "Premio Nacional del Cuento" und
dem "Premio Nacional de Literatura." Sein Roman "Zwischen den Fronten"
erhielt anno 2006 den "Premio Tusquets Editores". Die Jury lobte die außergewöhnliche
Eleganz und Meisterschaft, mit der Rosero das schwierige Thema der Gewalt
behandelt.
Ein weiteres Buch des Autors:
"Gute Dienste"
Jede Kirche, "die etwas auf sich hält, stellt ihren Buckligen zur Schau",
sagt Tancredo, ein junger Quasimodo, der in Pater Almidas Pfarrei am Rande von
Bogotá lebt. Gemeinsam mit den anderen Bewohnern - der Küster Celeste Machado,
seine sexbesessene Patentochter Sabina Cruz und die drei Haushälterinnen, "die
Lilias" genannt - bildet er einen bizarren Mikrokosmos. Das zerbrechliche Gefüge
gerät ins Wanken, als an einem Donnerstag Pater Almida und der Küster überstürzt
aufbrechen müssen, um einen wichtigen Wohltäter der Gemeinde zu treffen. Eilig
wird eine Vertretung herbeigerufen: San José Matamoros, ein dem Alkohol
zugeneigter Geistlicher, der in einer denkwürdigen Nacht Tancredo und die Lilias
zu unerhörten Geständnissen und Taten bringt. (Berlin Verlag)
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Weitere Lektüreempfehlungen:
Tomás González: "Die Teufelspferdchen"
Der Protagonist dieses Romans hat keinen Namen. Er wird "der, der sich
zwischen den Pflanzen verliert" genannt. Man kennt ihn bereits aus Tomás
González' früher erschienenen Romanen: In "Horacios Geschichte" ist
er noch ein Jugendlicher, einer von lvaros Söhnen, Jeronimo Guillermos Vetter,
J.s und Davids Bruder und wird als "der, der etwas von Bäumen
verstand" vorgestellt. In "Am Anfang war das Meer" ist er der
"Verwandte", von dem sich J. um seine Erbschaft betrogen fühlt und
der am Ende J.s Beerdigung effizient und herzlos in die Hand nimmt.
Der Roman beschreibt, wie der Protagonist eine Finca am Rand der Großstadt
Medellín erwirbt und bewirtschaftet. Diese Bewirtschaftung - ein
kontinuierlicher Ausbau und eine ständige Verschönerung des kleinen Landguts
-, die er und seine Frau Pilar mit eigenen Händen betreiben, führt die beiden
in eine immer größere Einsamkeit. Es ist ein vielschichtiger, tiefgründiger,
geheimnisvoller Roman, das Charakterbild eines Mannes, der - vor einer Schuld
fliehend? - sich zunehmend von der Welt abkapselt und von der Vegetation, die er
selbst hervorbringt, schlucken lässt. Mit der Finca schafft sich der
Protagonist durch unermüdliche Arbeit ein von der verpesteten, habgierigen,
gewalttätigen Außenwelt abgenabeltes Mikroparadies, das zugleich eine Hölle
ist, weil ein Übermaß an Schönheit und Perfektion etwas Erstickendes hat und
weil er sich selbst nicht entfliehen kann. Neben dem Protagonisten und seiner
Frau werden mehrere Familienangehörige - unter anderen J. als junger Heißsporn
in Medellín und David, das alter ego des Autors - und viele Nebenfiguren
lebendig.
Kurz gesagt: Das Buch ist die spannende, brillant erzählte Geschichte eines
Scheiterns innerhalb eines Scheiterns, der persönliche
Schiffbruch
des Protagonisten innerhalb des Niedergangs der kolumbianischen Gesellschaft
(hier aufgezeigt am Beispiel der Stadt Medellin). (Edition 8)
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Marco Schwartz: "Das Karibische Testament"
Dies ist die Geschichte der Entstehung eines Stadtteils am Rand einer südamerikanischen
Großstadt. Unschwer ist die Karibikregion im Norden
Kolumbiens zu erkennen. Die
ersten Siedler nennen ihr neues "Barrio" selbstironisch "Chibolo",
die Beule. Es sind ihrer dreißigtausend, die eines Morgens mit ganzen Karawanen
von Autobussen angekarrt werden, um das vorgesehene Land zu besetzen und ihre
Parzelle in Besitz zu nehmen. Ermutigt und unterstützt wird der Exodus vom Land
durch einen Senator, der in seinem Wahlkreis Stimmen braucht. Es entsteht das,
was wir gemeinhin als Slum bezeichnen, doch während uns Slums
geschichts- und gesichtslos vorkommen mögen, verleiht Marco Schwartz seinem Chibolo
beides: Er greift weit zurück in die Geschichte dieses Landstrichs und seiner
Bewohner. Und Chibolo ersteht in der mitreißenden Erzählung als ein
ganzer Kosmos, der uns an
García
Márquez' in der gleichen Gegend angesiedeltes Macondo erinnert.
Es geht im Wesentlichen um die Landfrage, die in Lateinamerika immer noch im
Zentrum der meisten sozialen und politischen Kämpfe steht. Und Schwartz erzählt
große Geschichten, die immer wieder an biblische Geschichten erinnern:
Vertreibung aus dem Paradies, Brudermord, Landverheißung, Exodus, Messias. Doch
so, wie Marco Schwartz es hier tut, kann man die Bibel nur in Lateinamerika und
in der Karibik schreiben. (Rotpunktverlag)
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Memo
Anjel: "Das Fenster zum Meer. Erzählungen"
Memo Anjel hat einmal gesagt, er habe zwei Kulturen: eine jüdische und eine
tropische. Diese faszinierende Mischung zeichnet auch die hier vorgelegten Erzählungen
aus und macht den Autor zu einer einzigartigen Erscheinung in der
lateinamerikanischen Literatur. So führt er mit der Titelerzählung und der
Kurzgeschichte "Die Hauskatze" in den Lebensraum seiner
sephardischen Vorfahren und mit "Ein Tag für den Johnny" in
die sinnliche Welt der karibischen Küste.
Alles, was Memo Anjel auf seinen Wegen auffällt, versteht er durch längeres
Hinsehen und ein kleines Verrücken der Realität in Literatur zu verwandeln.
Die Operation seiner kleinen Tochter María José in Medellín nimmt ihn nicht
nur seelisch mit, sondern macht das zermürbende Warten im
Krankenhaus
zu einem surrealen Abenteuer. Der Besuch von Christian Brückners zehnstündiger
Marathon-Lesung am 23. Juni 2002 in Frankfurt am Main wird für ihn Anreiz zu
einer literarischen Hommage an "die Stimme". Bei einem
abendlichen Bier in
einer Schwarzwald-Gaststube entdeckt er die unheimliche Doppelnatur des dicken
Wirts. Beim Beobachten von Abfall fressenden Leguanen in der Tierra caliente
Kolumbiens geht ihm eine selbstkritische Erkenntnis auf.
Vierzehn Erzählungen von der Magie des Menschlichen. (Rotpunktverlag)
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