Herbert Rosendorfer: "Kadon, ehemaliger Gott"


Nicht der große Wurf

"Der Alte würfelt nicht", meinte Einstein. Eine Aussage, die Herbert Rosendorfer in Zweifel zieht. Und er muss es wissen, denn Kadon, seines Zeichens Gott im Ruhestand, hat unseren Autor schließlich ins Vertrauen gezogen. Kadon heißt er also, oder Cadon, Kaedhon, Cadonch, Kahtong oder auch Anton. Ich denke da an Herbert Rosendorfers "Großes Solo für Anton", ein von der Thematik her ähnlicher Stoff. Doch schließlich ist es ja völlig gleichgültig, unter welchem Namen man Gott anruft, denn er existiert ja gar nicht. Oder? "Gott gibt es, weil es ihn nicht gibt", lässt Rosendorfer seinen Kadon, Gott und Ich-Erzähler dieser obskuren Geschichte, erklären und auch pseudophilosophisch begründen. Ob Gott aber existiert oder nicht, und ob der existierende, nichtexistierende Gott nun würfelt oder nicht, das sei erst einmal dahingestellt. Herbert Rosendorfer ist mit seinem "ehemaligen Gott Kadon" jedenfalls nicht der große Wurf gelungen, oder sagen wir einschränkend, mit einem tiefgefühlten Kotau vor Rosendorfers grandioser Erzählkunst, nicht der ganz große Wurf. Dies gilt meines Erachtens vor allem für den Beginn der Geschichte. Mit platten Kalauern und sinnlosem Wortgestammel von der Haspel gelassen, spult Rosendorfer anfangs seinen Erzählfaden ab, um später aber dann doch noch zu der von ihm erwarteten Höchstform aufzulaufen. So, als hätte der Autor seine wortschöpferische Fantasie nach fadem Beginn erst auf Touren bringen müssen. Oder lag es an mir, an dem fehlenden Verständnis des Rezipienten? Ich war plötzlich unsicher, las also noch einmal von vorn, ist ja auch kein Problem bei den circa 120 Seiten. Doch meine Einschätzung sah ich dann leider bestätigt. Der Beginn des Romans ist schwach. Wortspiele, Wortkaskaden, weder originell noch sinnreich, fressen sich wie Schmarotzer am Gehaltvollen durch den Text. "O, unsel'ges Gefion! O, selige Gefion, St. Gefion! Beata Ghefione, Santa Guefionna, Haghia Ghephyona", dann weiter: "Abraham oder Bebraham oder Cebraham", oder auch: "eingesogen, eingebranntsogen, eingeseeltbrandgesogen, gesogengebranntherzzerrisswundert ..." ich erspare dem Leser den bandwurmlangen, absurden Rest.

Und nun ein paar Worte zur Geschichte: Rosendorfer persifliert in der ihm eigenen skurril-humorigen Art und Weise die anthropomorphe Sicht, mit der die meisten Religionen ihr Gottesbild erstellen. Kadons Reich besteht aus einer Insel (St. Gefion) in Form eines gigantischen Thronsessels mit zwei hohen Stuhllehnen, auch als die Zwillingstürme einer Kathedrale zu betrachten, oder als eine zweizinkige Gabel, ein Symbol des drohenden, furchterregenden, rachsüchtigen, alttestamentarischen Gottes. Bezeichnenderweise wird Kadon erst durch einen Unglücksfall zum Gott. Nach einer Schiffshavarie wird er auf die Insel gespült und mit ihm siebzehn andere Havarierte, die aber nach und nach alle sterben. Kadon bleibt schließlich als Einziger übrig und empfindet sich als göttlich, als Gott zumindest dieser Insel. Es stellt sich bald heraus, dass die Insel essbar ist, und die drei zum Zeitpunkt dieser Entdeckung noch am Leben gebliebenen Schiffbrüchigen essen von den Felsen der Insel, die in etwa die Konsistenz harten Brotes haben.

Als sei dieses Felsenbrot eine Art himmlischen Mannas, werden von da an die philosophischen, spirituellen Reflexionen und Monologe des Gottes Kadon substanz- und gehaltvoller. Aber auch nur allmählich, der geistige Verdauungsprozess erstreckt sich noch über etwa zwanzig zähe Seiten. Gedanken über den Urknall, das Sein und das Nichts, leiten dann endgültig die Wende ein. Man könnte nun die Metapher von einem Urknall auch auf Rosendorfers Roman anwenden. In einem Urknall explodiert die Fabulierkunst Rosendorfers, nachdem sie zuvor im Nichtigen dahingedümpelt war. Es folgt noch ein Rückfall ins Banale, eine von gehaltlosem Geschwafel geprägte Diskussion über das Phänomen Zahnschmerzen. Dann aber hat der Leser auch diesen Schmerz hinter sich und kann sich ganz dem Vergnügen hingeben, Herbert Rosendorfer von seiner besten Seite zu genießen. Immer häufiger blitzt nun das satirische Gefunke in Rosendorfers Text auf. Und es entwickelt sich zu einem geistigen Ping-Pong-Spiel, einem fortwährenden Abfeuern nun auch sinnträchtiger Gedankenhülsen, ohne dass dem Autor jedoch der finale Blattschuss gelingen würde. Manchmal fliegen dem Leser die Projektile aus Rosendorfers Wort-Arsenal nur so um die Ohren. Ja, manchmal ist es selbst für einen eingestandenen Rosendorfer-Fan zu viel des Guten, denn ungeachtet aller Brillanz will keines so richtig ins Schwarze treffen.

Summa summarum ist dies sicher nicht das beste von Herbert Rosendorfers Werken, doch lesenswert ist der Roman allemal. "Die Welt besteht aus Kalauern. Kalau ist der Mittelpunkt der Welt. In Kalau treffen sich die Leitlinien aller Politik und Geschichte. Kalau ist der Baustein der Welt." So schreibt Rosendorfer und kommt der Wahrheit damit gewiss nahe. Gläubige, praktizierende Christen, insbesondere Katholiken, mögen vielleicht Anstoß nehmen an einigen Verunglimpfungen christlicher Symbole und Glaubensinhalte, und diesbezügliche sarkastische Bemerkungen Rosendorfers als Blasphemie einstufen. Doch sollten sie bedenken, dass der Gottesbegriff jenseits dessen steht, was sich lästern oder beleidigen lässt. Das sollten sich aber auch Vertreter und Anhänger anderer Religionen endlich vergegenwärtigen.

(Werner Fletcher; 03/2008)


Herbert Rosendorfer: "Kadon, ehemaliger Gott"
dtv, 2008. ca. 120 Seiten.
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