Frank Meier: "Religiöser Fanatismus"
Menschen zwischen Glaube und Besessenheit
Nicht
daran glauben!
Wie sich 'Menschen zwischen
Glaube und Besessenheit' (Untertitel) von
der Antike
bis heute mitmenschengefährdend verhalten haben, erfahren wir
in diesem Buch.
Der Karlsruher Professor Meier stellt unmissverständlich fest:
"Extremismus,
Fundamentalismus, Terrorismus - religiöser Fanatismus ist eine
der größten
Gefahren unserer Zeit." Dabei beweist er aber, dass dies
keine
Erfindung der Moderne ist, sondern die Geschichte seit Jahrhunderten
als
sozialschädliches Verhaltensmuster durchzieht. Meier stellt
von Anfang an klar:
"Dieses für den interessierten Laien geschriebene
Buch ist einseitig,
spart die großen kulturellen Leistungen von Judentum,
Christentum und Islam ...
aus ... und konzentriert sich in bewusster und exemplarischer
Beschränkung auf
ihre gewaltsame Komponente" (vgl. Vorwort).
Das erste Kapitel präsentiert 'Religiöse Eiferer in
der Antike' - seit damals
zieht sich die blutige Spur der sogenannten Offenbarungsreligionen
durch die
Historie. Meier erinnert aber auch an die Christen, die bereit waren,
den Märtyrertod
für ihren Glauben zu erleiden. Interessant ist ja, wie durch
das Mailänder
Toleranzedikt von 313 aus Verfolgten Verfolger wurden. Darin lautete
einer der
zentralen Sätze: "Keinem Menschen soll die
Möglichkeit verweigert
werden, sein Herz entweder dem Kult der Christen zu weihen oder aber
der
Religion, die er selbst für die angemessenste hält."
Bereits 380
wurde das Christentum in Rom zur Staatsreligion erklärt und
man ging gegen
"Ketzer" vor. Wie eine Ironie wirkt da der von Thomas von Aquin
zitierte 1. Brief an die Korinther (Vers 19): "Denn
es muss
Irrlehren geben, damit unter euch deutlich wird, wer
zuverlässig ist."
Seit der Synode von Verona 1184 gingen Papst und Kaiser gemeinsam gegen
Häretiker
vor, woraus sich die systematische Inquisition entwickelte. In den
Massakern der
Kreuzzüge wurden Tausende "Ungläubiger"
niedergemetzelt.
Im Mittelalter wurde auf Katastrophen durch religiöse Riten
reagiert, woraus
sogar eine Art kollektiver religiöser Solidarität
erwuchs. Dazu stellt Meier
fest: "Krisenhafte Zeiten fördern also
religiösen Fundamentalismus -
heute wie früher." Eine Religion sieht sich im
Besitz der absoluten
Wahrheit und teilt die Menschheit in Recht- und Falschgläubige
ein. Schon im
Mittelalter sah sich die Amtskirche durch die
individuell-visionären
Glaubenspraktiken der Mystiker bedroht. Und aus der Religionspraxis des
einfachen Volkes und der Laienprediger entwickelte sich über
die
Gesellschaftskritik sogar Kirchenkritik. Als extreme Fanatiker traten
bis Ende
des 16. Jahrhunderts die Selbstgeißler auf; Wundermeldungen
wurden durch die
Jahrhunderte hin überliefert, zahlreiche Sekten bildeten sich
heraus, die v.a.
Askese praktizierten. In Kritik geriet das ausschweifende Leben der
Geistlichen
und die Pfründenwirtschaft der Kirchen - eine Folge davon war
die Reformation.
Der über Jahrhunderte hin virulente Hexen- und Teufelsglauben
eskalierte zum
eigentlichen religiösen Massenwahn, dem geistliche und
weltliche Obrigkeiten
gerne Vorschub leisteten. Seriöse Historiker rechnen mit bis
zu 70.000
vorwiegend weiblichen Opfern der
Hexeninquisitionen
- letzte Hexenhinrichtungen
sind z.B. noch 1782 in Würzburg überliefert. In der
katholischen Kirche ist
der Exorzismus noch heute fester Bestandteil der Lehre - der sogenannte
'Kleine
Exorzismus' befreit z.B. den Täufling von der
Erbsünde und dem Einfluss des
Teufels.
Auch der Antisemitismus ist durch das Christentum entstanden - mit
Zwangstaufen versuchte man seit dem frühen Mittelalter die
Zahl der Juden zu
vermindern. Im Vorfeld des
Ersten Kreuzzugs 1096 kam es zu zahlreichen
Pogromen.
Auch dem Islam gegenüber verhielt sich das Christentum
aggressiv intolerant,
und Mohammed galt sogar als der Sohn Satans. Der Kirchenlehrer
Augustinus
(354-430) hatte in seiner Schrift 'Der Gottesstaat' den Begriff vom "gerechten
Krieg" gegen Andersgläubige eingeführt -
Kreuzzüge galten demgemäß
auch als "bewaffnete Wallfahrt".
Quasi analog dazu gibt es im Koran den Begriff des "Dschihad" -
gefordert wird die Tötung von Nicht-Muslimen (Sure 9,5 und
9,29). All diese
Religionskriege und Tötungsaufrufe haben ihre Nachwirkungen
bis heute. Die
radikal-shiitischen Assassinen des 12. Jahrhunderts waren
womöglich "die
ersten Terrorboten der Weltgeschichte" (Meier). Junge
Männer wurden
unter Drogeneinfluss zu Attentätern gegenüber "Tyrannen".
Das
Problem mit religiösen Fanatikern bzw. Fundamentalisten ist,
dass ihre
Ansichten nicht hinterfragt oder gar lächerlich gemacht werden
dürfen.
Religionen machen unser Zusammenleben gefährlich. Meier endet
mit dem Appell,
sich vor den falschen Propheten zu hüten - besser noch, man
ignoriert jegliche
Propheten. Dieses detailreich entwickelte vorliegende Geschichtsbuch
sollte uns
in der Gegenwart klüger werden lassen.
(KS; 09/2008)
Frank
Meier: "Religiöser Fanatismus.
Menschen zwischen Glaube und Besessenheit"
Jan Thorbecke Verlag, 2008. 174 Seiten.
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