Helmut Qualtinger: "Das Qualtinger-Hörbuch"
Von
Kaiser Franz zu Herrn Karl
Weltgeschichte in Pantoffeln
"Aber
ma hat die Größe
gespürt!"
"Satire ist die Kunst, einem Anderen so auf den Fuß
zu treten, dass er
es merkt, aber nicht aufschreit." Diese Worte stammen aus dem
Mund
eines "rücksichtslosen anarchistischen Provokateurs",
wie die
Einen meinten. Andere wiederum sahen in ihm einen "der
zartesten,
sanftesten, verletzlichsten Menschen mit einem deutlichen Hang zur
Selbstzerstörung."
Wahrscheinlich ist in beiden Aussagen die Wahrheit über ihn
versteckt. Gemeint
ist der 1928 in Wien geborene und 1986 viel zu früh
verstorbene Schauspieler,
Satiriker, Schriftsteller, Rezitator und erfolgreichste
österreichische
Kabarettist der 1950er-Jahre: Helmut Qualtinger.
Bei Diogenes ist eine CD mit einigen seiner legendären
Aufnahmen und Liveauftritten
herausgekommen, die an "Herrn Karl" erinnern, der am 8. Oktober 2008
achtzig Jahre alt geworden wäre.
Apropos "Herr Karl": Noch heute identifiziert man Helmut Qualtinger
mit diesem gefährlichen, weil unberechenbaren
österreichischen Kleinbürger
und Mitläufer. Die Figur dieses typischen
Durchschnittsösterreichers machte
ihn weltberühmt, verschaffte ihm aber auch jede Menge Feinde.
Sogar
Morddrohungen brachte sie ihm ein. Natürlich darf diese
brillante Satire auf
der CD nicht fehlen. In einem elfminütigen Ausschnitt
drängt der "Herr
Karl" im Magazin einer Gemischtwarenhandlung einem unsichtbar
bleibenden jüngeren
Arbeitskollegen ("Se san a junger Mensch") seine
Erlebnisse über
"Gott und die Welt" auf. Scheinbar liebenswürdig, aber mit
einem bösartigen,
schleimigen, unverbesserlichen,
kleinbürgerlich-selbstzufriedenen Unterton,
latentem Opportunismus und einem ordinären Augenzwinkern
berichtet er dem
jungen Menschen von seinen Liebesabenteuern und seinen politischen
Ansichten.
Natürlich ist er sich keiner Schuld bewusst, obwohl er doch
einer der vielen
Mitläufer Hitlers war:
"Da san mer alle, i waaß noch, am Ring, am
Heldenplatz gestandn. Unübersehbar
woarn mir. Man hat gfühlt, man is unter sich, es war wie beim
Heurigen, es wa
wie aan riesiger Heuriger - aber feierlich, aan Taumel. (...) Die
Deitschn san
einmarschiert, mit klingendem Spiel... (summt)... die Polizei is
gestandn, mit
ihre Hakenkreuzbinden, fesch - furchtbar, furchtbar das Verbrechen, wie
man
diese gutgläubigen Menschen in die Irre geführt hat!
Der Führer hat geführt,
aber a Persönlichkeit war er! Vielleicht a Dämon?
Aber ma hat die Größe gespürt."
33 Jahre war Qualtinger jung, als er in nur neun Tagen diesen Charakter
ersann
und ihn gemeinsam mit seinem Co-Autor Carl Merz zu Papier brachte. Am
15.
November 1961 wurde das Stück erstmals im Fernsehen
ausgestrahlt.
Qualtinger - das Phänomen
Doch nicht nur seine Paraderolle enthält das Hörbuch.
Neben eigenen Texten des
100-Kilo-Intellektuellen (u. a. "Der Menschheit Würde",
"Hamlet
oder Der Schwierige", "Travnicek und die Wahlen", "Der
Alleinherrscher") rezitiert der geniale Stimmenimitator auch solch
großartige
Werke seiner Kollegen
Karl
Kraus, Peter
Altenberg und
Egon Friedell,
bevor diese wunderbare CD mit
dem dämonischen
Gebelfer Adolf Hitlers
aus "Mein Kampf" endet. Als Qualtinger einmal
gefragt wurde, weshalb er gerade dieses stilistische und inhaltliche
Monstrum
ausgewählt habe, meinte er in seinem unverfälschten
Wiener Dialekt: "Jo
waß't, des is jo des Depperte, dos neamand den Schaas g'lesen
hot ...
Wenigstens heit soll'n d'Leid wissen, wos der Hitler für an
Schmoarn
daherg'schrieben hot."
Auf alle Stücke dieser CD passt die Aussage eines Kritikers: "Der
Mann
hat einen großen bösen Verstand, er hat Gift im
Kopf, Schießpulver im Maul,
Dolche im Gewand, spießt uns auf Nadeln auf." Und
obwohl einige seine
Begebenheiten einer anderen Zeit entsprungen sind, kann man sie gut und
gerne
als einen immer noch gültigen Spiegel der jüngeren
Zeitgeschichte ansehen,
wiederholen sich doch die damaligen Phänomene in nur
unerheblichen Variationen
bis heute.
Helmut Qualtinger war "eine dynamische Kugel, ein Gehirn, das
nie zum
Stillstand kam", stellt die österreichische
Schauspielerin Louise
Martini noch heute staunend fest.
Qualtinger - das ist ein Phänomen! Diese CD zeugt davon.
Fazit:
Mit Auszügen aus seinen bitterbösen Sketchen
und Stücken, in denen er
seinen Landsleuten auf den Zahn fühlt und die
Österreicher mit schwärzestem
Humor überzieht, kann man sich noch einmal an den
großen Kabarettisten Helmut
Qualtinger erinnern, einen Mann, der bis zu seinem frühen Tod
in seiner Kritik
unnachgiebig blieb und das Spießertum, die
Mentalität der Duckmäuser und
Angeber der Angriffsfläche seines Spottes aussetzte.
(Heike Geilen; 10/2008)
Helmut
Qualtinger: "Das Qualtinger-Hörbuch.
Von Kaiser Franz zu Herrn Karl. Weltgeschichte in Pantoffeln"
Diogenes, 2008. 1 CD; Spieldauer 77 Minuten.
Hörbuch-CD
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Einige
Buchtipps:
Hilde Schmölzer: "Das böse Wien der Sechziger.
Gespräche und Fotos"
Es war eine revolutionäre Kunst, eine wütende Kunst,
die sich aus den
Frustrationen der 1950er-Jahre speiste. Ein zorniger Rundumschlag, der
sich
gegen alles Etablierte, Bürgerliche, Satte, Zufriedene
richtete. Es gab die
68er-Bewegung,
eine Aufbruchsstimmung, den Glauben an eine neue Freiheit, mehr
Emanzipation. In
Wien fand dieser Aufbruch vor allem in der Kunst statt.
Es war dieses "böse Wien", das Hilde Schmölzer als
junge, ebenfalls
von Welterneuerungs-Ideen bewegte Journalistin und Fotografin
faszinierte und
sie bewog, unter diesem Titel jene Künstler zu Wort kommen zu
lassen.
Der Titel benennt ein Klischee, einen Mythos, auf jeden Fall aber
bietet er eine
griffige Formel für die gesellschaftliche, geistige Situation
in dieser Stadt.
Was diese Interviews und Fotos mit den Künstlern reizvoll
macht: Dieser
Zeitgeist ist in ihnen eingefangen. Die Gespräche und Fotos
stammen aus den
Jahren 1964 bis 1972, die Fotos sind teilweise bislang
unveröffentlicht.
Gespräche mit und Fotos von
H.C.
Artmann, Christian Ludwig Attersee, Wolfgang Bauer, Gerhard
Bronner, Günter
Brus, Valie Export, Reinhold Federmann, Ernst Fuchs, Rudolf Hausner,
Alfred
Hrdlicka, Lotte Ingrisch, Michael Kehlmann, Georg Kreisler, Kurt Kren,
Peter
Kubelka, Helmut Leherb, Carl Merz, Otto Muehl, Hermann Nitsch, Peter
Patzak,
Helmut Qualtinger, Arnulf Rainer, Franz Ringel, Gerhard Rühm,
Peter Turrini,
Peter Weibel. (Mandelbaum Verlag)
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Friedrich
Weissensteiner: "Berühmte
Österreicher. 50 Porträts von Maria Theresia bis
Helmut Qualtinger"
Friedrich Weissensteiner zeichnet in diesem Buch in präzisen
Miniaturen Leben,
Charakter und Werk von 50 herausragenden österreichischen
Persönlichkeiten
nach. Sie haben auf den unterschiedlichsten Gebieten
Großartiges vollbracht -
von der Politik bis zum Kabarett, von der Musik und Malerei bis zur
Naturwissenschaft und Literatur. Aus der Zusammenschau entsteht
darüber hinaus
eine spannende Übersicht über die Geschichte
Österreichs von den Zeiten Maria
Theresias bis zur Zweiten Republik. (Kremayr &
Scheriau)
Buch
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Carl
Merz, Helmut Qualtinger: "Der
Herr Karl"
Im Magazin eines Gemischtwarenladens drängt der "Herr Karl"
dem
Publikum seine Erlebnisse auf. Bereits die erste Ausstrahlung des von
Carl Merz
und Helmut Qualtinger verfassten Monologs am 15. November 1961 im
Österreichischen
Rundfunk löste eine Protestwelle aus. Der Herr Karl wurde zum
Archetypus des
Kleinbürgers, der alles immer vorher schon wusste und der im
Nachhinein dann
nie dabei war.
Eine Neuausgabe dieses Klassikers der österreichischen
Literatur des 20.
Jahrhunderts mit einem ebenso kenntnisreichen wie pointierten Nachwort
von
Daniel Kehlmann und
Fotos von Franz
Hubmann. (Deuticke)
Leseprobe:
Nachwort
Daniel Kehlmann
Das österreichische Antlitz
Helmut Qualtinger war ein schlanker Mensch. Das
Gewichtig-Voluminöse,
das sich später seiner Statur anheften sollte,
gehörte
nicht wirklich zu diesem Mann. Wer frühe Interviews
betrachtet,
wer sich von Zeitgenossen erzählen läßt,
sieht einen blitzschnellen
Menschen vor sich, einen physisch wie geistig nervösen,
hochaufmerksamen und selbstverständlich keinen Dialekt
sprechenden
Intellektuellen. Gerade daß er innerlich überhaupt
nichts von
der Schwere seiner bekanntesten Figur besaß, machte es ihm
möglich,
solch einen erbarmungslosen, von keiner Sympathie getrübten
Blick auf die seelische Fettleibigkeit des Landes zu werfen, das
ihm Wohnort war und Stoff.
So konnte Herr Karl schnell zu einer Chiffre für eine Haltung
werden,
die sich stolz jeder politischen Wendung anschmiegt, ohne sich
dabei opportunistisch zu fühlen. Aber es geht um mehr: Denn
Karl
paßt sich nicht nur irgendwie an, er tut es willig und voll
Freude. Da
ist ein gut versteckter Sadismus hinter seiner Behäbigkeit,
der nur manchmal
wie ein Blitz durch seine Worte und die Züge des Schauspielers
Qualtinger schießt, da ist die Grausamkeit eines Wesens,
das eben nicht nur denunziert, weil man es verlangt, sondern weil
es das gerne tut. In diesen Momenten blicken wir, um Karl Kraus'
klassische Wendung zu gebrauchen, in das österreichische
Antlitz,
wie es unverstellter nie gezeigt wurde.
Und was geschah? Österreich erkannte sich selbst, war
für ein paar Stunden
empört und umarmte dann denjenigen, der ihm gnadenlos das
eigene Bild gezeigt hatte, so fest, daß er daran erstickte.
"Der Qualtinger!"
hörte ich einst eine alte Dame vor einem Herr Karl-Plakat
sagen. "Das war noch ein echter Wiener." Nur für einen Moment
vermag dies Land sich selbst zu sehen, dann schiebt es die Erkenntnis
ab in die Gefilde zuckriger Nostalgie. Die Nation, deren bitterste
Wahrheit er aufgeschrieben und gestaltet hatte, erklärte ihn
so
lange zum Original, zum vielgeliebten Quasi, zum von jedermann
umhalsten
Saufkumpan, bis er genau das wurde.
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